Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #48

Wenn ich ganz kurz sagen sollte, um welches Thema mein Interesse an der sog. >Globalisierung< kreist, dann waere dies die Frage, welche Wirkungen >Globalisierung< auf kleinere Kulturen und Sprachen und hinsichtlich unserer individuellen Identitaetsbildung entfaltet. Konkret: Wir sind im Zuge der >Globalisierung< allen moeglichen Einfluessen ausgesetzt. Wie gelingt es uns, uns das Fremde bzw. Andere anzuverwandeln? Wie gehen wir [als Individuen und als Kollektive] mit rasant zunehmender Beschleunigung bei gleichzeitiger Verdichtung von kulturellen Prozessen um? Wie veraendert das hochkomplexe und in sich gespannte Buendel von Entwicklungen, die wir nun >Globalisierung< nennen, unsere Wahrnehmung, unsere Sprache und Begriffe, unser Herangehen an die Welt?

Welche Konfliktlinien entstehen daraus und wie gelingt es uns, Modi zu finden, die eintretenden Spannungen auszuhalten? Das sind die Fragen und Zusammenhaenge, auf die ich immer wieder komme und die mich in meiner Arbeit als philosophisch interessierten Volkswirt aber auch als Ideenhistoriker umtreiben. Mein Herangehen ist ein fragendes, suchendes; letzte Antworten kann ich nicht bieten, mich interessieren Fragen und Probleme. >Globalisierung< ist ein hochkomplexes kulturelles Phaenomen, auch wenn es immer wieder vorschnell auf den oekonomisch-kommerziellen Aspekt reduziert wird. Die Kulturwissenschaften und vielleicht auch die Philosophie kommen angesichts dessen unter einen erheblichen Erklaerungsdruck. Es wird deutlich, dass isolierte Ansaetze nicht mehr erfolgreich sein koennen, sondern dass die Integration verschiedener Methoden und Perspektiven angezeigt ist. Die einzelnen Fachdisziplinen bewegen sich aufeinander zu, nehmen Fuehlung miteinander und Transdisziplinaritaet – bisher mehr ein Schlagwort in den Reden von Bildungspolitikern – beginnt tatsaechlich Realitaet zu werden. Ich beobachte mit einiger Freude ein wachsendes Interesse an so genannten Hybridstudiengaengen, die fachliche Spezialisierungen mit der Schulung des Blicks fuer das Ganze, fuer Zusammenhaenge, verbinden. In Cottbus haben wir seit nun drei Jahren mit >Kultur und Technik< so einen Studiengang am Laufen. Dieser Studiengang wird sehr gut nachgefragt und verlangt auch uns als Lehrenden viel ab. Wir muessen einerseits unsere Spezialfaecher gut beherrschen und zugleich die Schnittstellen zu den Nachbarfaechern im Auge behalten. Urteilskraft und Grenzbewusstsein fuer die eigenen Ansaetze entwickeln sich so auf beiden Seiten simultan – auf der Seite der Studierenden und auf der der Lehrenden. Die Frage nach dem >Globalen< richtet beinahe sofort den Blick auch auf das >Lokale< – beide Seiten stehen in enger Beziehung zueinander, sie sind hoechst spannungsvoll miteinander verbunden. Globales wirkt sich lokal aus und Lokales kann Eingang finden in globale Strukturen. Die Perspektive muss somit wohl verschraenkt doppelt sein, sonst ist doch gar nichts zu sehen; der Begriff >global< ist ohne seinen Gegenbegriff >lokal< nur wenig sinnvoll. Fuer mich sind diese Zusammenhaenge keineswegs nur von nuechtern-wissenschaftlichem Interesse, sie durchziehen vielmehr mein ganzes Leben, sie sind eines meiner zentralen Lebens-Themen, die ich auf ganz unterschiedliche Weisen zu bewaeltigen suche. Ich bin Sorbe und gehoere damit dem kleinsten slawischen Volk an, das seit Jahrhunderten in der Lausitz lebt, niemals eigene staatliche Strukturen hatte und dennoch auf geradezu wundersame Weise seine Sprache und Kultur bis heute bewahren konnte. Auf einen ersten Blick nimmt durch die Entwicklungen, die wir >Globalisierung< nennen, der Assimilationsdruck noch einmal zu. Insbesondere die haeufig oekonomisch erzwungene Abwanderung gerade junger Leute aus den beiden Lausitzen mindert natuerlich die Chancen fuer den Erhalt und die Weiterentwicklung der lokalen sorbischen Sprache[n] und Kultur. Andererseits waechst angesichts der >Globalisierung< aber auch der Wunsch, in lokalen und regionalen Zusammenhaengen Identitaet und Halt zu finden. Menschen leben nun einmal immer in einer konkreten lokalen und regionalen Umgebung und schoepfen daraus ihre Identitaet. Auf der >globalen Ebene< lebt hingegen niemand. Ich beobachte ein zunehmendes Interesse an den eigenen Wurzeln, die Frage nach der eigenen Herkunft wird gerade von Juengeren haeufiger gestellt. Und seit ein paar Jahren nimmt auch die Zahl derer, die Sorbisch lernen, langsam aber nachhaltig wieder zu. Ich bin guter Dinge, dass die Einstellung >Lieber die Weltsprache Englisch statt Sorbisch lernen< bald der Haltung >Die Weltsprache Englisch und Sorbisch lernen< gewichen sein wird. Akademisch ausgedrueckt heisst dies die Gleichzeitigkeit von Heterogenitaet und Konnexion. Nach meinem Eindruck koennen Globalisierungsprozesse kleine Kulturen, lokale und regionale Zusammenhaenge und die Besinnung auf die eigene Geschichte gerade auch staerken und nicht nur schwaechen. Dies kann freilich auch zu gefaehrlichen Tendenzen fuehren, die wir unbedingt mitbedenken und im Auge behalten muessen: Ich kann an dieser Stelle nur auf einige zunehmend aggressive Nationalismen verweisen, die hohes Konfliktpotential und Kriegsgefahren in sich bergen. Philosophie, das hat mir mein Doktorvater Hans Poser immer wieder verdeutlicht, bedeutet >harte Arbeit am Begriff<. So verstanden stellt die Philosophie eine unverzichtbare Ressource dar, denn Begriffe zeitigen ganz handfeste Konsequenzen fuer das Begreifen und Gestalten unserer kulturellen Welt. Begriffsbildungen und –verwendungen, Sprache und Sprechen sind eine enorme kulturgestaltende Macht – >Globalisierung< ist ja heute einer der ganz grossen, Handeln orientierenden Leitbegriffe. Der Philosophie kommt dabei die dauernde Aufgabe zu, die Bedeutungsspektren von Begriffen zu untersuchen, auf die Grenzen von begrifflichen Fassungen hinzuweisen und gegen Begriffsverwirrungen Einspruch einzulegen. Mit Einschraenkungen kann und darf Philosophie keine reine akademische Veranstaltung mit stark autistischem Einschlag sein, wo >Kollegen< in obskuren Fachzeitschriften mehr oder weniger verstaendliche Aufsaetze fuer andere >Kollegen< schreiben, sondern sie hat eine oeffentliche Funktion und muss sich mit den Problemen unserer Kultur engagiert auseinandersetzen. Philosophie [und Philosophen!] muessen im Alltag praesent sein und zu Alltagsproblemen etwas sagen koennen! Die Gegenwartsphilosophie aus Frankreich kann hierfuer als Beispiel dienen. Noch etwas in diesem Zusammenhang: Ich sehe die Hauptaufgabe der Philosophie und ihre Staerke gar nicht so sehr in der Lieferung von sicheren Antworten und Letztbegruendungen, sondern im Formulieren von Fragen, im Problematisieren. Damit stellt sie sich gegen die Tendenz hin zum Abschluss und Abschliessen, verweist darauf, dass alle Loesungen und Antworten immer nur vorlaeufigen Charakters sind und sorgt so fuer prinzipielle Offenheit des Denkens und Wahrnehmens. Das ist wichtig. In Hinblick auf die sog. >Globalisierung< liegt nach meiner Beobachtung eine solche Begriffsverwirrung vor, ueber die die Philosophie aufklaeren kann und muss. Denn das, was von den meisten Kritikern als >Globalisierung< kritisiert und angegriffen wird, ist so weit ich sehe doch gar nicht die >Globalisierung< insgesamt, sondern ein Teilaspekt, naemlich die globale Ausbreitung des amerikanischen Wirtschaftsstils. Und diesen oekonomistischen Teilaspekt wuerde ich als >Globalismus< bezeichnen. Wenn dieser >Globalismus< des amerikanischen Wirtschaftsverstaendnisses nun zur >Globalisierung< schlechthin erklaert wird, dann geraet wieder einmal das Teil unzulaessigerweise zum Ganzen – und darauf muss die Philosophie aufmerksam machen. In umgekehrter Richtung wird die Philosophie von der >Globalisierungskritik< daran erinnert, dass es ihre ureigenste Aufgabe ist, fuer Zusammenhaenge zu zeugen. Diese Aufgabe der Philosophie ist wichtiger denn je, denn wissenschaftliches Wissen hat sich in dramatischer Weise fragmentiert und spezialisiert. Es bedarf dann unbedingt einer Instanz, die fuer Verbindungen und Integration sorgt und Sinnfragen stellt. Die Auseinandersetzung mit den komplexen Prozessen der Globalisierung kann ein wichtiger konkreter Anreiz sein, ueber Zusammenhaenge, Differenzen, Verdichtungen in der Kultur nachzudenken. Das kann auch helfen, die Erdgebundenheit von Philosophie [und Philosophen] wieder zu staerken. In diesem Semester halte ich in meinem Studiengang >Kultur und Technik< u.a. Lehrveranstaltungen zum Zusammenhang von Volkswirtschaftslehre und Philosophie. Vor dem Hintergrund des G8-Gipfels wird es eine Vorlesung zum sog. >Neoliberalismus< geben – auch so ein Begriff, um den eine unglaubliche Verwirrung herrscht. In einem Seminar werden wir die dominierende Globalisierungsrhetorik kritisch auseinandernehmen. Mein Ziel ist es, dass meine Studenten bewusster mit Sprache umgehen, Zusammenhaenge erkennen, Urteilskraft entwickeln und sich aktiv an oeffentlichen Diskursen beteiligen. [Anm.d.Red.: Der Verfasser ist Mitarbeiter des Lehrstuhls Technikphilosophie an der BTU Cottbus.]

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