Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #44

Tibet zieht an durch das Geheimnisvolle, verstaerkt durch die lange Abgeschlossenheit im Hochland des Himalaya; die besondere Auspraegung des tibetischen Buddhismus mit seiner Vielzahl von Heiligen und seinen tantrischen Ritualen; ein zutiefst religioeses Volk mit dem charismatischen Dalai Lama als religioeser Fuehrer im Exil – aber auch die bei uns vorhandene idealisierende Wahrnehmung des >Mythos Tibet<. Eine traditionelle feudale Gesellschaft, mit Adel und Kloestern als deren Stuetze, die jahrhundertelang in relativer Autonomie gelebt hat, ist seit dem Einmarsch der Chinesen 1950 mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert.

Einerseits durch die unmittelbare Eingliederung in den chinesischen Machtbereich und den damit verbundenen unterschiedlichen Werte- und Gesellschaftsvorstellungen, zum anderen in den Wirkungsbereich der Marktgesetze, die die chinesische Oekonomie seit der Transformationspolitik bestimmen. Wie kann unter diesen Bedingungen die kulturelle Identitaet der Tibeter bewahrt werden? Auch Tibet wird so, wenn auch am Rande, in die globalisierte Oekonomie einbezogen. Die jetzigen Debatten zeigen aber auch, wie Auseinandersetzungen um strategisch wichtige Regionen wie Tibet zum Zankapfel der Grossmaechte werden koennen bzw. als Argument in der globalen Machtpolitik dienen koennen.

Eine Erfahrung, die Tibet nicht zum ersten Mal macht. Im 19. Jahrhundert waren es z.B. die Versuche Englands und Russlands, die die Schwaeche des chinesischen Reiches nutzen wollte. Dass die faktische Unabhaengigkeit zwischen 1911 und 1945 nicht zur formalen wurde, hatte u.a. seinen Grund in der Zurueckhaltung der Westmaechte. In den 50er Jahren aenderte sich das Bild und das CIA finanzierte bewaffnete Aktionen gegen die chinesischen Truppen in Tibet. Und heute stellt sich die Frage, ob die berechtige Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Tibet nicht zur Isolierung Chinas genutzt werden soll.

Ein Teil der Tragik Tibets – wie das anderer nationaler Minderheiten in China oder in anderen Laendern liegt auch in der Unterwerfung ihrer Lebensraeume durch ihre Nutzbarmachung fuer den kapitalistischen Weltmarkt bzw. der dominierenden Nationaloekonomien. Diese unterminiert auch ohne politische und religioese Unterdrueckung die traditionellen Grundlagen der Gesellschaft. Sind es in Tibet Mineralien und Wasserressourcen, muessen in anderen Regionen Regenwaelder daran glauben – sei es fuer Holzproduktion oder neuerdings Biosprit.

In der Analyse des Zusammenhangs von Lebensstilen bei uns und den Folgen fuer Natur und Umwelt koennen sich die Globalisierungskritiker in beiden Regionen befruchten und auf die Suche gemeinsamer Loesungen begeben. Zur Zeit bestimmt die Debatte ueber einen Olympia-Boykott die Auseinandersetzung. Auf dem kommenden G-8-Gipfel in Japan wird dieses Thema sicherlich zur Sprache kommen. Es waere im Sinne der Loesung des Tibetkonflikts, wenn diese Gelegenheit nicht zu leeren Drohgebaerden gegenueber der chinesischen Regierung genutzt wird, sondern Signale fuer notwendige Verhandlungsloesungen gesendet werden.

[Anm.d.Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Geschaeftsfuehrer des Asienhaus.]

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