Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #34

Die neoliberale Globalisierung ist praegend fuer eine passive Revolution kapitalistischer Entwicklung – passiv: weil sie zwar alle gesellschaftlichen Verhaeltnisse umwaelzt, neue Produktivkraefte, Arbeits- und Geschlechterverhaeltnisse, veraenderte staatliche Formen und Lebensweisen mit sich bringt, buergerliche Herrschaft entwickelt, dabei aber die Beherrschten in einer passiven, untergeordneten Position haelt und zugleich verschaerfte Ungleichheiten produziert. Diese Widersprueche gilt es zu begreifen, wenn es um die Organisation von Widerstand geht, um die Entwicklung einer freien und solidarischen Gesellschaft jenseits der kapitalistsichen – ein simpler Verelendungsdiskurs und Antikapitalismus im Sinne >einfacher Negation< hilft da nicht.

Globalisierung ist bekanntlich kein Naturphaenomen, sondern ein politisch in Bewegung gesetzter Prozess. Staaten spielen dabei nach wie vor eine wesentliche, wenn auch veraenderte Rolle. Von einer Entmachtung der Politik kann keine Rede sein. Die G8 bilden dabei, ebenso wie andere Institutionen wie der IWF oder die WTO, transnationale Verdichtungen und Konzentrationen von Machtverhaeltnissen. Sie sind wesentliche Subjekte der Koordination, Steuerung und Reregulierung, insofern ist der Protest gegen ihre Politik, der Versuch ihrer Delegitimierung sinnvoll. Weniger sinnvoll ist eine Erwartung, ueber Appelle an die G8 eine Aenderung dieser Verhaeltnisse erreichen zu koennen. Dies wird nur geschehen, wenn es vorab gelingt die gesellschaftlichen Kraefte- verhaeltnisse wesentlich nach links zu verschieben.

Und wenn es gelingt, einen Bruch mit diesen Politikformen zu vollziehen, die Entscheidungen gewissermassen in die Gesellschaft zurueck zu holen. Da ist eben nicht in erster Linie der Staat entscheidend, als vielmehr der Kampf um Hegemonie in der Zivilgesellschaft und um ein neues Verhaeltnis von Selbstorganisation und Repraesentation. Die Transnationali- sierung der Produktion und ihre Finanzialisierung haben zu einer Schwaechung von Lohnabhaengigen und Gewerkschaf- ten gefuehrt, zu neuen Arbeitsformen und Taetigkeiten, damit zum Abbau fordistischer Arbeitsverhaeltnisse, der Entwicklung neuer Berufe und Branchen sowie zu neuen Spaltungen innerhalb und zwischen den verschiedenen Gruppen von Beschaeftigten.

Eine zunehmende Verbreitung unsicherer Arbeits- und Lebensverhaeltnisse ist die Folge. Diese Prekarisierung trifft immer groessere Teile der Bevoelkerung auf sehr unterschiedliche Weise, je nach Klassenzugehoerigkeit, geschlechtlichen, ethno-nationalen oder anderen Zuschreibungen. Aus der Analyse der daraus erwachsenden Subjektivitaeten und Gruppenlagen gilt es zusammen mit den Prekaeren Politiken zu entwickeln, die den spezifischen Interessen der Einzelnen entsprechen und zugleich eine gruppenuebergreifende Perspektive und Organisierung ermoeglicht. Ziel waere eine Neudefinition und -verteilung aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit fuer alle und die transnationale Verallgemeinerung sozialer Rechte.

Globalisierung heisst fuer die Forschung, dass Fragestellungen, die den Kontext veraenderter gesellschaftlicher Verhaeltnisse im gloablen Kontext vernachlaessigen, Verzerrungen produzieren, relativ egal ob es sich um die Entwicklung familiaerer Verhaeltnisse dreht, um die Zunahme psychischer Krankheiten [durch Unsicherheit und Leistungsdruck] oder um lokale Stadtentwicklung – globale [oekonomische] Prozesse sind hier wesentliche Bestimmungsfaktoren. Eine kritisch eingreifende Forschung darf sich daher nicht auf Einzeldisziplinen und empiristischen Kleinstudien reduzieren lassen.

Sondern Zusammenhaenge verdeutlichen, das Wechselverhaeltnis von Mikro- und Makroveraenderungen. Dabei ist es wesentlich darin Macht- und Herrschaftsverhaeltnisse aufzudecken, auch die Rolle der Subjekte in der aktiven Reproduktion dieser Verhaeltnisse, was nicht zuletzt fuer die Wissenschaft selbst gilt. Und zuguter letzt sollte es nicht bei der Analyse bleiben, sondern darin Ansatzpunkte und Perspektiven der moeglichen Veraenderung dieser Verhaeltnisse offen gelegt werden. Nach den Anstrengungen der G8-Mobilisierung in Deutschland sind nun erst einmal die japanischen Kollegen dran. Es hat auch nicht jeder die Moeglichkeit, zum Protest nach Japan zu jetten.

Solche Protest-Events sind wichtig, aber die Aktivitaeten sollten sich nicht darauf reduzieren und dem globalen Jetset der Herrschenden hinterher reisen. Wichtig ist es parallel die eigene Agenda zu bestimmen: z.B. steht im Herbst das naechste Europaeische Sozialforum an, dieses mal in Malmoe. Die Vorbereitungen haben bereits begonnen. Noch wesentlicher ist es jenseits der Grossevents, die Vermittlung zur Alltagsorganisierung zu schaffen, die Kooperation zwischen den unterschiedlichen politischen Gruppierungen der Linken zu staerken, zwischen Bewegungen, NGOs, Gewerkschaften und der ein oder anderen Partei.

Und nicht zuletzt gilt es weiter theoretische und analytische Instrumente fuer eine entwickelte Kritik neoliberaler Globalisierung zu produzieren, etwa mit Bezug auf Ursachen und Folgen der aktuellen Finanzkrise und vieles andere mehr.

[Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist wissenschaftlicher Referent fuer Kapitalismuskritik und Gesellschaftsanalyse bei der Rosa Luxemburg Stiftung.]

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