Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #32

Fuer Veranstalter und Kritiker der G8-Gipfel bedeutet der jaehrliche Rhythmus Kontinuitaet: Nach dem G8-Gipfel [2007 in Heiligendamm] ist vor dem G8-Gipfel [2008 in Japan]. Seit dem G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 sind die regelmaessigen Gipfeltreffen der grossen Industriestaaten eine wichtige Plattform fuer die globalisierungskritische Bewegung geworden. Die Versammlung politischer Entscheidungstraeger und die Aufmerksamkeit der weltweiten Massenmedien bieten das noetige Umfeld, um die Anliegen der Bewegung publikumswirksam in Szene zu setzen. Doch die wiederholte Konfrontation mit der staatlichen Politik ist fuer soziale Bewegungen eine zweischneidige Sache.

An wen sollen sie ihre Forderungen richten, wenn nicht an die Politik? Aber was geschieht mit den Protestthemen, wenn sie zum Gegenstand routinisierter Politik werden? Aus diesem Blickwinkel war Heiligendamm vielleicht kein Wendepunkt in der Geschichte der globalisierungskritischen Bewegung. Doch der G8-Gipfel 2007 zeigte eindrucksvoll, wie stark die subpolitische Bewegung und die offizielle Politik aneinander gekoppelt sind. Einerseits stand der viel beachtete Zaun rund um den Tagungsort fuer den mit viel Aufwand betriebenen Versuch, den Protest auf Distanz halten. Andererseits zeigten Tages- ordnung und offizielle Berichterstattung das Bemuehen, sich Themen der Kritiker anzueignen.

Angesichts der wenig substantiellen Ergebnisse stiess diese Strategie auf viel Kritik. Sie ist aber Zeichen einer Entwicklung, die sich schon laenger angedeutet hatte: Politiker und Wirtschaftsfuehrer haben erkannt, dass die globalisierungs- kritische Bewegung eine Reihe von Anliegen und Befuerch- tungen formuliert, die auf grosse Resonanz stossen. Indem sie diese Themen nun aufnehmen, vollziehen sie ein bekanntes Muster nach. Soziale Bewegungen irritieren die Regierungs- und Parteipolitik mit neuen Fragen, Themen, Problemen. Nicht alle, aber viele dieser Themen werden zum Gegenstand politi- scher Entscheidungsprozesse.

Die Routine der Politik tritt an die Stelle des Spektakels des Protests. Heisst das, dass die globalisierungskritische Bewegung ueber kurz oder lang von der Partei- und Regierungspolitik absorbiert werden wird? Fuer zentrale Themen der Bewegung gibt es Anzeichen dafuer: Die Meinungen zu Umweltschutz und globaler Armut gehen auseinander, doch die Relevanz der Themen wird von niemandem bestritten. Dennoch wird sich so schnell nichts daran aendern, dass sich die globalisierungskritische Bewegung von der internationalen staatlichen Politik dadurch unterscheidet, dass sie laengst laenderuebergreifende Organisationsformen gefunden hat.

Die Transnationalitaet der Bewegung bedeutet nicht, dass wir von ihr die Patentloesung globaler Probleme zu erwarten haetten. Vielmehr ist und bleibt die Bewegung deshalb interessant, weil sie bereits heute ein Labor globalisierter Politik ist – und nicht zuletzt deren Schwierigkeiten vor Augen fuehrt.

[Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Professor am Institut fuer Soziologie Universitaet Muenchen

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