Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #27

Heiligendamm war kein grosser Einschnitt fuer die globalisierungskritische Bewegung – haette aber einer werden koennen. Diie Proteste gegen die G8-Politik 2007 zeigten fuer die Bewegung vor allem eines: Sie lebt, sie wird wahrgenommen, und zwar vor allem dann, wenn sie auf gesetzte Themen wie auf ein Treffen der so genannten G8-Repraesentanten angemessen reagiert. Es hatte zahlreiche Abgesaenge gegeben; die Strasse war im Rahmen der Auseinandersetzung mit der globalisierungskritischen Bewegung immer wieder als eine Art romantischer oder >naiver Ort< interpretiert worden.

Den aktiv kritischen Kritikern neoliberaler Politik war – zum Teil sicher berechtigterweise das Durchhaltevermoegen abgesprochen worden. Heiligendamm zeigte: So ist es nicht. Die Bewegung spielt als Akteur eine Rolle. Dennoch steckt die Bewegung in einer schwierigen Phase – aber in der steckt sie ja immer. Die Kritik, die etwa an Attac geuebt wird, trifft ja durchaus einen wunden Punkt: Die Bewegung ist zu heterogen, um konkret handlungsfaehig zu sein, und [was ein Hemmschuh ist, den man allerdings gerne traegt] zu basisorientiert, um selbst Themen setzen zu koennen. Die Themensetzung ist oft ein Produkt aeusserer Umstaende.

Tschernobyl machte die Umweltbewegung stark. Al Gore, den man nicht zwangslaeufig als Erzeuger der Umweltbewegung sehen muss, sondern auch als eines ihrer Produkte sehen kann, macht sie nun wieder stark. Der 11. September dagegen machte die Neoliberalen stark; die globalisierungskritische Bewegung bekam damals, kurz nachdem sie es in Genua geschafft hatte, als politischer Akteur ernst genommen zu werden, den Ruch des Terroristischen. Das ist Chance und Dilemma. Die Bewegung kann politische Erfolge nicht planen. Sie kann nur ihre transnationale Infrastruktur verbessern.

Wegen der Ungleichzeitigkeit der Geschehnisse ist das aber enorm schwierig. Finden in Deutschland Hartz-IV-Proteste statt, ist in Frankreich gerade die Atomkraftlobby im Blick der Akteure, waehrend man sich in Schweden mit unfairem Kleidungshandel und schlechten Loehnen beschaeftigt. Vielleicht gehen 2008 vietnamesische Kaffeebauern auf die Strasse und bekommen durch Zufall – vielleicht machen ja ein CNN-, ein BBC- und ein Spiegel-Journalist dort gerade gemeinsam Urlaub – wider Erwarten viel Oeffentlichkeit. Vielleicht waere das dann ein Ereignis, das die Bewegung stark macht. Vielleicht werden zwei Dutzend Spitzenmanager bei einem schmierigen Geschaeft erwischt.

Vielleicht geht irgendwo ein Kraftwerk hoch. Diese Notwendigkeit, auf Stimmungslagen reagieren zu muessen, ist Chance und Dilemma fuer die Bewegung. Dilemma, weil man doch Akteur sein will, nicht Re-Agierender. Chance, weil jedes dieser Themen heute an den abstrakten Komplex >Globalisierung< geknuepft ist. Insofern gibt es auch die Moeglichkeit, von einem Thema auf andere zu verweisen. Die Rede von der >Globalisierung< ist der rote Faden der Protestkultur. Attac hat deshalb eine Schluesselfunktion. Die Organisation war zwar nie ein Vorreiter der globalisierungskritischen Bewegung und hat sich auch nie so verstanden. Die Organisation, die doch vor allem aus Basisgruppen besteht, hat eigentlich noch nicht einmal die Infrastruktur, um das zu sein. Attac wurde aber in der Genua-Zeit in die Rolle des Vorreiters hineingeschrieben, und dank der relativen Prominenz koennte Attac als Repraesentant der Bewegung wahrgenommen werden. Dass Attac angekuendigt hat, das Thema der demokratischen Kontrolle der Wirtschaft noch staerker in den Blick ruecken zu wollen, ist nachvollziehbar. Das Thema, das Ausgangspunkt der Entstehung von Attac war, ist wichtig fuer die Frage, wie ernst die Protestbewegung gegen neoliberale Politik genommen wird. Die Devisensteuer durchzusetzen waere jedenfalls das wichtigste mir vorstellbare Symbol fuer die Bedeutung der globalisierungskritischen Bewegung. Insofern ist es aus Sicht der Bewegung sicher richtig, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Doch wie gesagt: Die Bewegung kann eigentlich vor allem auf vorhandene Stimmungen reagieren, und wie Heiligendamm gezeigt hat, am besten ereignisgebunden. Dann findet sie Gehoer. Sie braucht Geduld, um ihre eigenen Ideen umzusetzen. Dass es in Heiligendamm den Anschein hatte, als habe sie die, ist in meinen Augen das Signal des Jahres 2007. [Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Redakteur bei der taz.]

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