Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #20

Ob Heiligendamm tatsaechlich einen gravierenden Einschnitt darstellt, erscheint fraglich – und ist vielleicht auch gar nicht so wichtig. Die Ereignisse um den G8-Gipfel stellen eher eine weitere, relativ konsequent verfolgte Etappe in der Modernisierung und Professionalisierung der Proteste dar. Mit Blick auf eine gewisse Konkurrenzsituation zwischen etablierten und Protest-Medien, die bisher stets um die Errichtung einer >alternativen Oeffentlichkeit< bemueht waren, scheint es an der Zeit, die bisherigen Strategien zur Aufmerksamkeitsgewinnung vor Ort bzw. in den Medien zu ueberdenken.

Nicht zuletzt durch die umfangreiche und professionelle Arbeit zahlreicher Globalisierungskritiker hat der Meinungsmainstream sowohl Positionen wie auch bisweilen Praesentationsformen der Kritik gegenueber den [politischen] Adressaten integriert. Zumindest in seiner Groessenordnung neu ist der >Celebrity-Protest<: Grossverdiener der Aufmerksamkeits- oekonomie wie Bono, Bob Geldof oder Herbert Groenemeyer draengen mit ihren Aktionen die Arbeit klassischer Protest- akteure in den Hintergrund. Zugleich wird durch den privilegierten Zugang dieser Protest-Unternehmer zu den politischen Akteuren das Feld der Globalisierungskritik neu konfiguriert. Die Protestbasis erhaelt zwar Unterstuetzung fuer ihre Anliegen, jedoch kommuniziert die Protest-Prominenz haeufig auf einem anderen Akteursniveau und schafft so Potenzial fuer zusaetzliche Unruhe innerhalb der ohnehin fragmentierten Landschaft der Globali¬sierungskritik. Im grossen und ganzen scheint die Agenda nach wie vor durch die Globalisierung der Arbeits- und Finanzmaerkte bestimmt zu sein, hier liefert wohl auch Naomi Kleins These vom >Schock-Kapitalismus< nur bedingt neue Impulse. Die von Klein skizzierte Problematik scheint fuer eine Adressierung durch Akteure der Globalisie- rungskritik nicht geeignet.

Im Zuge der nach wie vor immer noch vorhandenen und punktuell wachsenden Macht international agierender Konzerne scheint dieses Feld doch viel versprechender zu sein – zumal sich hier in den vergangenen Jahren allmaehlich so etwas wie ein wenigstens in Ansaetzen verantwortliches Konzernhandeln zu entwickeln scheint. Ein produktives Umlenken von Energien der Globalisierungs¬kritik als Impulsgeber oder auch Partner in Bereichen der >Corporate Social Responsibilty< koennte hier eine nachdenkenswerte Richtung sein. Mit Blick auf die Gesetzmaessigkeiten der globalen Aufmerksamkeitsoekonomie und den allgemeinen Dispositionen zu eher kurzfristigem und punktuellen gesellschaftlichem Engagement erscheinen Konzentration und Verdichtung die Erfolg versprechenderen Strategien zu sein. Durch die vielfaeltige Vernetzung von Einzelinitiativen und einem geografisch wie kalendarisch umfassenden >Programm der Globalisierungskritik< ergibt sich in der Summe ohnehin die Anmutung kontinuierlicher Praesenz. Das Beispiel Heiligendamm zeigt dabei, dass ausgewaehlte Gipfelereignisse aus dem Grundrauschen herausragen koennen und durch gut geplante und vorbereitete Aktivitaeten auch eine globale Reichweite erzielen koennen, in dem sie die vorhandene Basis-Aufmerksamkeit nutzen und zu instrumentalisieren suchen. Die Nutzung neuer Medien ist aus der Praxis der Globalisierungskritik laengst nicht mehr wegzudenken. Ohne die weitraeumige und differenzierte Planung im Vorfeld von Grossereignissen scheint eine wirksame Inszenierung von Protestereignissen von weltweitem Interesse unmoeglich geworden – dies gilt insbesondere mit Blick auf die stetig wachsenden Moeglichkeiten zur selbststaendigen Produktion und Distribution von Medieninhalten. Das sprichwoertlich als >Mitmach-Netz< bekannte Web 2.0 mag als tatsaechlicher Austragungsort von Protesten zwar nicht sonderlich attraktiv sein, doch bietet die flexible Online-Kommunikation Chancen zur Verbindung einer immer staerker zer¬fasernden Oeffentlichkeit der alten Massenmedien. In Zeiten, da die alten >Einzelmedien< [Print, Hoerfunk, TV] mit schwindenden Reichweiten zu kaempfen haben, ist durch die strategischen Einsatz von Online-Medien [gemeinschaftliche Kommunika¬tion ueber Blogs, Bereitstellung und Distribution multimedialer Inhalte, virale Kampagnen¬fuehrung] eine Verzahnung kleinerer Teil-Oeffentlichkeiten denkbar. Ansaetze koennte hier ein Weiterdenken des >Long Tail<-Ansatzes liefern: dabei geht es nicht um die Schaffung und Besetzung immer kleinerer Nischen, sondern um deren Verbindung – Globalisierungs¬kritik als System miteinander verkoppelter Nischen, als eine Art >Strong Tail<.[Anm. d. Red.: Der Autor ist Professor am Zentrum fuer Medien und Interaktivitaet der Universitaet Giessen]

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