Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #19

Grosse Teile der Medien und der offiziellen Politik wurden die letzten Jahre nicht muede zu betonen, die globalisierungs- kritische Bewegung laufe aus: die grossen Schlachten waeren laengst geschlagen [und verloren], die grossen Buecher waeren laengst geschrieben [und wieder vergessen], das Establishment habe [wieder einmal] den laengeren Atem gehabt. Der ehemals naive, weil zu radikale Protest, so wurde suggeriert, wurde institutionalisiert und pragmatisiert – und siehe an, diese jungen Menschen sind keine solchen Wirrkoepfe, zum Teil sagen die ganz schlaue Sachen und das mit den unterbezahlten Praktika ist wirklich eine Sauerei.

Diese Beschreibung des Niedergangs der globalisierungs- kritischen Bewegung [oder ihrer Zaehmung zu einer blossen Reformbewegung] wurde durch viele andere Faktoren plausiblisiert: den konservativen Backlash der letzten Jahre, all das Lob der Disziplin, die neue Froemmelei. Wenn man ueber die neue Generation las, dann viel oefter ueber Benimmkurse als ueber politische Aktivitaeten. Wenn Heiligendamm eines gezeigt hat, dann das: auch wenn es euch so gepasst haette, dass zur Tagesordnung zurueckgekehrt wird, mit der globalisierungskritischen Bewegung geht es weiter.

Ich masse mir hier nicht an, programmatisch zu bestimmen, welche Strategien in Zukunft notwendig und eventuell sogar erfolgsversprechend sind. Ganz grundsaetzlich kann man aber sagen, dass linke Politik heute [aber wahrscheinlich auch schon immer] ein Problem damit hat, dass sie an zwei Fronten kaempft: zum einem fuer mehr Gleichheit, fuer einen Abbau der okoenomisch bedingten Benachteiligungen, zum anderen fuer mehr indviduelle Freiheit, oder realistischer: fuer einen Erhalt der eh drastisch im Schwund begriffenen Freiheiten.

Da werden Kaempfe gefuehrt, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben: auf der einen Seite alte Gewerkschafter, die gegen das Abrutschen in die Armut auf die Strasse gehen, auf der anderen Seite die digitalen Bohemiens vom Chaos Computer Club, die gegen die moegliche Ueberwachung durch RFID-Chips mobil machen. Beides sehr legitime Anliegen und beide irgendwie genuin links, was aber dann dieses Linke genau ausmacht, das laesst sich eigentlich nicht mehr sagen. Natuerlich plaediere ich nicht dafuer, diese partiellen Interessen einzustellen und auf einen linken Mainstream a la Lafontaine einzuschwenken.

Ich glaube fest daran, dass es so etwas wie eine Substanz linker Politik gibt, die alle partikularen Interessen integrieren und sowohl zur Frage der Gleichheit als auch der Freiheit schluessige Antworten geben kann. Das muss aber intellektuell geklaert werden, Hardt und Negri haben das ja versucht, auch wenn die Antwort noch sehr schwammig und etwas unbefriedigend aussieht. An diesem Thema zeigt sich wieder einmal, dass Theorie eine Form von Praxis sein kann.

Ich finde das Beispiel Heiligendamm eigentlich sehr ermutigend: das waren zum Grossteil Gruppen, die seit Jahren ihre Arbeit machen: mit Illegalen, in oekologischen Projekten, als Medienaktivisten. Die Oeffentlichkeit nahm davon kaum Notiz und war dann angesichts des Medienevents umso ueberraschter, was es alles an kreativen Protestformen so gibt. Natuerlich ist so ein Vorgehen reaktiv: man reagiert auf Events, die andere setzen. Man koennte aber auch sagen: parasitaer und dann klingt das ganze schon nicht mehr so schwaechlich… In der bestehenden Aufmerksamkeitsoekonomie entkommt man dem Spektakel nicht – es kommt drauf an, was man draus macht.

Neue Medien und der Medienaktivismus spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind es Medienaktivisten, die vielen Gruppierungen erst einmal eine mediale Infrastruktur zur Verfuegung stellen. Etwa unabhaengige Serverbetreiber, die Illegalen, die sich einen normalen Zugangen zum Internet einfach nicht leisten koennen, Kommunikation ermoeglichen. Oder aber einer Antifa-Gruppe in Ostdeutschland ihre Seite ins Netz stellen und sich nicht von den Nazi-Anwaelten abschrecken lassen, die neuerdings auf die pfiffige Idee kommen, linke Kommunikationsstrukturen mit Verleumdungsklagen lahm zu legen.

Zum anderen ist Medienaktivismus verdammt wirksam, wenn er sich parasitaer in etablierte Kommunikationsstrukturen einschleicht und diese offenlegt: Etwa die tollen Yes Men, die sich den inhaltsleeren PR-Talk der grossen Firmen mimetisch-perfekt angeeignet haben und dann mit Inhalten fuellen, die den Unternehmen alles andere als Recht sind. Da wird dann das Spektakel gegen sich selbst gewendet. Und das Ganze ist nebenbei auch noch ein Riesenspass.

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