Ist das ein Einrichtungskatalog oder ein Zuhause? Diese Frage drängt sich auf, wenn man Blogs über private Inneneinrichtungen liest. Berliner Gazette-Autor Mario Laatsch hat sich die Behausungen der hippen Schrippen angesehen und formuliert eine empirische Kritik der Gentrifizierung von innen.
*
Was tun mit einem 500-Quadratmeter-Loft in Berlin-Schöneberg? Richtig, alles schön leer stehen lassen! Die Tapeten vom Putz reißen. Sich um nix kümmern. Hier und da mal einen Stuhl in einer Ecke abstellen, damit das Auge etwas zum Festhalten hat. Wartehallencharme. Einbrecher würden das Kotzen kriegen.
Potenzielle Bewohner solcher Behausungen suchen in den angesagten Metropolen der Welt nach maßgeschneiderten Wohnungen. Sie ziehen den viral gehypten Trends hinterher. Sie wollen alles authentisch haben, vielleicht färbt dieses „Authentische“ doch etwas auf die verkorksten Charaktere ab. Doch was dabei herauskommt, ist neurotische Künstlichkeit. Gentrifizierung nennt man dieses leidliche Phänomen in den Städten.
Der janz normale Durchschnittsbürger findet ditt aber ja nich so lustich, weil durch die Ansiedlung solchen halbgaren Neo-Spießertums das ursprüngliche Klima aus dem Kiez verschwindet (in Berlin mit den Jahren: Friedrichshain, Prenzlberg, Kreuzberg, Wedding, Schöneberg, Neukölln). Die Mieten steigen, alteingesessene Läden weichen solchen, die das hippe neue Publikum bedienen. Mit solchen Leuten hält das Unechte Einzug, die Alltagswelt wird synthetisch verdreht.
Da die neuen Nachbarn geil aufs Zeigen und Präsentieren sind, gibt es Webseiten, auf denen man ihnen in ihre schicken Wohungen gucken kann. Eine davon ist das in Berlin ansässige, aber betont internationale Interviewmagazin freundevonfreunden.com.
Freunde von Freunden zeigen, was sie haben
Da sind dann überall Küchen, denen man ansieht, dass sie seltenst benutzt werden, und die oft nach industrieller Großküche im Kleinformat aussehen. Die Apparaturen wirken wie steampunkige Operations- oder Folterinstrumente. Aber was geht das uns an? Werden Kinder, die nicht von den Eltern, sondern von Kindermädchen erzogen werden, erwachsen, schaffen sie sich eben solche Küchen an.
Es fällt auf: Die Leute haben entweder erstaunlich viele oder erschreckend wenige Bücher in ihren Regalen. Aber auch das ist sofort wieder egal, denn viel Zeit zum Lesen werden die geschäftigen Agentur-LeiterInnen, Mode-DesignerInnen und KünstlerInnen ohnehin nicht haben. Weiße Regale sind derzeit das Nonplusultra! Gemütlichkeit und Behaglichkeit sind dagegen fast überall abwesend. Pure Einsamkeit weht allzuoft um jede harte, kalte Möbelkante.
Einsam „in Szene gesetzte“ Blumentöpfe, Teller, Bilderrahmen oder anderer Nippes fristen lustlos ihr Dasein vor kalten Hintergründen. Oberstes Gebot: Jedes verflixte Utensil muß etwas ausdrücken, muss etwas (re)präsentieren, eine Message an den betrachtenden Besucher übermitteln. Einfach nur so für sich leben ist nicht möglich. Der Gedanke: „Was die anderen über mich denken sollen, wenn sie mich hier besuchen.“, springt den Betrachter förmlich an. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich bietet sich die eigene Wohnung geradezu an, seine Persönlichkeit auszudrücken, beinahe noch mehr als die Wahl des Kleidungsstils.
Einerseits Bauhaus: Glatt, kantig, leer und nichtmal funktional. Andererseits: alles überladen, schrill schreiend, zugestellt; selbst auf dem Couchtisch kein Platz mehr für ein Wasserglas. Dazwischen rangiert, gerade bei den jüngeren Herren, ein diffuser Comic- und Studentenzimmer-Stil. Bieder, bieder, und nochmal bieder – das ist gerade bei den Wohnungen der „jungen“ Damen die Wahl der Stunde. Kaum eine in Europa noch lebende Großmutter würde sich heute so bieder einrichten.
Immer gleiche Individualität
Man will den Blick abwenden von all dem überteuerten Elend, und stellt fest: Der Ausblick aus den Fenstern geht entweder in mondäner Weitsicht über alle Dächer hinweg bis zur nächsten grünen Lunge der jeweiligen Metropole, oder das Augenlicht klatscht irritiert an einen unverputzten, ranzigen Innenhof. Gerade für Berlin gilt: Man zahlt viel Geld für Wohnungen und Häuser, die in den 80ern selbst von Punks nur ungern besetzt worden wären. Dann stellt man sich ein paar möglichst nicht zu einander passende Möbel in jedes Zimmer und nennt das ganze sein Zuhause.
Ein weiteres Phänomen und gähnreizend zwischen all den schweren, maßgezimmerten Schränken, Tischen und Sideboards: Eine profane Holzplatte auf zwei Böcken als Arbeitstisch – als hätte es bei den zehntausenden Euro an Einrichtungskosten nur noch für die IKEA-Lösung gereicht. Hier dreht sich das Karussell weiter, denn IKEA stellt ja bekannterweise nur Abbilder von Möbeln her, Billigausgaben von richtigen Schwergewichten. Doch in den Haushalten, um die es hier geht, wird mithilfe teurer Möbel eben dieser sterile IKEA-Look nachgeahmt, den als „Stil“ zu betiteln unter Strafe gestellt werden sollte.
Wurden all diese „Freunde“ von ein und dem selben Innenausstatter beraten? Das sieht hier überall so verdächtig gleich aus! Kunstgeschichtler würden sagen: Die gestalterische Handschrift ist in 90 Prozent dieser Wohnungen dieselbe. Da habt ihr eure hippe Individualität! Jeder Freund und jede Freundin würde sich in der Wohnung des anderen sehr schnell zuhause fühlen. Wer sich die jeweils neueste Fotoserie anguckt, dem wird unweigerlich der Gedanke kommen: „Das hatten wir doch neulich schon…?! Diese zu stark gerahmte Brille auf dem stadtneurotischen Nulpengesicht, ist das nicht der Typ von letzter Woche?“
Nein, ist er nicht, das ist dessen entfernter Freund. Aber macht nix: Kennst du einen, kennst du alle. Irrlichter bestätigen auch hier die Norm, da hält man inne: Zwischen all diesem synthetischen Pseudo-Individualismus stößt man beispielsweise auf einen türkischen Künstler, mit dessen zugestellter Bruchbude ich nun auch nicht gerade liebäugeln würde – aber unweigerlich drängt sich die Frage auf: Wer von diesen hippen Schrippen kennt einen solchen echten Typen und komplimentiert umgehend den Hausfotografen zu ihm?
Das Ding mit dem Apfel
Kaum der Erwähnung wert, weil doch selbstverständlich: In allen Haushalten ist das wichtigste Gerät (und roter Faden, wäre er nicht so langweilig blässlich): der weiße Laptop mit grauem Apfel. Stünde dort ein PC, wäre das ganze Appartement mit einem Mal völlig daneben, out und bad taste. So aber ist es völlig am Puls der Zeit und alles darin passt prima zueinander und verweist auf sich selbst.
Wiederkehrende Elemente allerorten: Das selbe rote „Blow Up“-Filmposter an der Wand (Motiv: David Hemmings kniet dominant auf Brusthöhe seines liegenden Models – Message für den Besucher: „Hier wohnt jemand, der nicht verklemmt ist.“); ein in Wohnzimmer, Arbeitszimmer oder Küche abgestelltes Rennrad („Öko“ und „Sportlichkeit“); eine lässig in die Ecke gestellte akustische Gitarre („musikalisch“); auf dem Fußboden stehende Bilderrahmen („kreatives Chaos“).
Was nicht zusammen passt, wird erst recht zusammen gestellt, und die trendige Freundinnen-Clique nickt es neidvoll ab. Lang lebe Bad-Taste-Chic. Dann schließt sich der Kreis: An den Wänden hängt hässliche postmoderne „Kunst“, symptomatisch für die Ästhetik dieser Hipster-Hirne. Wofür Mandy Gryzkopvski, Klasse 8c, im Kunstunterricht eine Vier Minus bekäme, das ist hier eingerahmt und ausgestellt. Großenteils verdienen aber die Porträtierten – und das ist der traurige Skandal – mit solchem Schmonz ihre Miete.
Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von Alex Dram und steht unter einer Creative Commons Lizenz.
31 Kommentare zu
guter Spruch.
Hipster sind doof und machen alles nach?
Vielleicht mal etwas tiefer graben und nicht nur Klischees über Hipster zum Besten geben.
Das ist auch nur hip.
Hg.: Mark Greif
Hipster - Eine transatlantische Diskussion
Ende der neunziger Jahre tauchte plötzlich eine neue soziale Spezies in US-Großstädten auf: die Hipster. Die Erben der Beatniks oder Hippies trugen zu enge Jeans, Baseballmützen, Schnäuzer und hatten Dosenbier oder einen Laptop dabei. Begleitet wurde ihr Auftreten von der Musik der Strokes oder von Belle and Sebastian, 2001 setzte Wes Anderson ihnen in The Royal Tenenbaums ein filmisches Denkmal. Spätestens als 2004 die erste deutsche Filiale von American Apparel eröffnete, hatten die Hipster bzw. die eng mit ihnen verwandten digitalen Bohèmes den Sprung über den Atlantik geschafft.
Die New Yorker Zeitschrift n+1 widmete den Hipstern 2009 eine Tagung an der New School: Was sind eigentlich Hipster? Und wofür sind sie ein Symptom? Für eine Generation, die Geld verdienen und doch nicht erwachsen werden will? Ein durch und durch ironisches Zeitalter? Den postindustriellen Konsumkapitalismus? Der Band sorgte nicht nur in den USA für großes Aufsehen, das Buch wird mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt. In dieser Ausgabe werfen Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), Tobias Rapp (Der Spiegel) und Thomas Meinecke zusätzlich einen deutschen Blick auf dieses transatlantische Phänomen.
http://www.suhrkamp.de/buecher/hipster-_6173.html
"[...]Gerade für Berlin gilt: Man zahlt viel Geld für Wohnungen und Häuser, die in den 80ern selbst von Punks nur ungern besetzt worden wären. [...]"
„Eine medizinisch-wissenschaftliche Tatsache eignet sich besonders für unsere Betrachtungen, weil sie sich historisch wie inhaltlich sehr reich gestaltet und erkenntnistheoretisch noch nicht abgenützt ist.“
Ludwik Fleck (1934), Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, textgleiche Neuauflage Frankf./M. 1980.
Wenn man das also Absatz für Absatz tut -- was natürlich ein bißchen länger dauert -- wird man erkennen, dass hier keineswegs nur Vorurteile abgewickelt werden.
Wer kein Talent hat und sein entsprechend daherkommendes Gekrakel für "Kunst" hält und als solche verkauft, ist lediglich dreist. Aber deswegen eben noch kein Künstler im klassischen Sinne.
Mandy Gryzkopvski ist übrigens Spross einer Akademikerfamilie (beide Eltern sind Juristen) und geht mittlerweile in die 12 b. In allen Fächern steht sie 1 bis 3. Nur zeichnen kann sie eben nicht. Vom Namen auf die Herkunft zu schließen, das kann nach hinten losgehen. ;/
Die letzten werden die ersten sein: Während echte, auch sozial inkompetente Nerds vor einigen Jahren noch ausgelacht und gedisst wurden, wird heute ein am Jetset zusammengeflickter "Nerd-Stil" zelebriert. Früher ein Stigma, heute ein Schutzraum, in den sie sich alle flüchten können, ohne ausgeschlossen zu werden.
Sieht man davon ab, dass der beschriebene Trend, in keiner Weise echte Individuallität zeigt, sondern vielmehr das Nachäffen eines auslaufenden Stils aus den Staaten, dann wird die Armseeligkeit dieses Versuchs sich abzugrenzen deutlich.
Es ist nun einmal so, wenn Äußerlichkeiten die Zugehörigkeit zu einer besseren sozialen Schicht markieren sollen, diese jedoch zur Uniformität mutieren, geht jewede Orginalität, die echte Individuallität beinhaltet, verloren und die Wirksamkeit teuer erkaufter Accessoires tendiert gegen Null. (Siehe des Königs neue Kleider: „Der König ist nackt..“)
Man kann eine Menge kaufen, nur schade, dass gekaufte Pseudoindividualität, Statussymbole, die dem Lockruf cleverer Rattenfänger geschuldet sind, nur blasse Fassade darstellen, bis ein neuer Trend kreiert und gegen Bares ans Klientel gebracht wird.
Den Rest dreht man den underdogs an, die glauben, dass sich mit der Übernahme äußerer Zeichen einer sozial ?höheren Schicht? eigenes Ansehen steigern ließe.
Die Diskussion um das Thema stellt ein endloses Gefecht, das auf beiden Seiten, bei den Usern, wie bei den Verweigerern mit Inbrunst geführt wird, dar.
In diesem Sinne: „Come on lets fight angain...“
Hermann - J. Stumm
Kommt hinzu: Gute Theaterkritiken beispielsweise sind ja grade auch dann gut, wenn man die entsprechenden Stücke nicht gesehen hat. Wenn man also all deine Beispiele selbst durchgeklickt haben muss, um deine Polemik als ernst zu nehmende Kritik zu begreifen, dann kann man sie ja gleich selbst schreiben. Vorausgesetzt man ist REAL genug...
Ich las den Text garnicht unbedingt als modisches Hipster-Bashing. Is aber Witzig, wie die Leute gleich aufschreien...
http://www.welt.de/print/wams/kultur/article107613691/Wir-sind-ja-so-modern.html
Wisst ihr, was Sarkasmus, Ironie und Polemik sind? Mich würde interessieren, wie sich's so lebt, ohne für diese Humor-Nuancen empfänglich zu sein. Muss langweilig und bitterernst sein, euer Leben!
@Katja (21.): Was ist das denn für ne Logik: Theaterkritiken sind gut, wenn man das Stück *nicht* gesehen hat? Wenn man bei etwas folglich nicht mitreden kann, sollte man lieber die Finger still halten, anstatt eine Kritik o. einen Kommentar zu verfassen.
Denn: Der Autor hat sich offensichtlich die Arbeit gemacht, die Links einzufügen. Wer als Leser sich nichtmal die Mühe macht, sie sich anzugucken, sollte nicht meinen, gerade deshalb seinen Senf formulieren zu müssen!
@Leander (#11.+25): Hätte er Margarete Müller geschrieben, wär's völlig in Ordnung? Oder wär das trotzdem diskriminierend und zusätzlich "frauenfeindlich"?!?! Political correctness will alles plattmachen, bis alle in eine Richtung denken. Seien wir froh, dass es immernoch Leute gibt, die nicht p.c. sind!