Geister in gebrauchten Büchern

Dies geht an all jene, die gebrauchte Bücher lesen: Wissen Sie, wer sie vor ihnen besessen hat? Welche Geschichten stehen nicht auf, sondern stecken in den Seiten?

Seit ich denken kann, verschlinge ich gebrauchte Taschenbücher. Egal ob “Die Versteigerung von No. 49“, zerfleddert und abgegriffen, Erstausgaben oder Camus, in französisch. Diese kleinen Juwele haben mich schon immer fasziniert. Erst jetzt fällt mir auf, dass das wohl daran liegt, dass diese Bücher – meine Bücher – schon von anderen vor mir gelesen und studiert wurden. Und ich glaube wirklich, dass diese Leser immer noch präsent sind – auf jeder Seite mit Eselsohren und in jedem unterstrichenen Satz.

Glücklicher Fund, traurige Erkenntnis

Neulich habe ich ein paar Taschenbücher von Graham Greene aus dem “Reduziert”-Korb vor dem Buchladen im East Village, in dem ich arbeite, gerettet. Das hielt ich zuerst nur für einen Zufall. Trotz der Unordnung, die ja Wühltischen und ähnlichem inhärent ist, hatte ich das Glück, zwei Bücher vom gleichen Autor zu finden. Aber erst als ich beide für nicht mehr als 50 Cent gekauft hatte, wurde mir die Bedeutung dieses Fundes klar.

Auf den beiden Titelseiten stand klein ‘Markson, Mexico ’61’. Diese Bücher hatten David Markson gehört, einem Freund unseres Ladens, der im Juni verstorben ist. Ich machte mich daran, herauszufinden, wie relevant diese beiden Bücher für Markson Werk waren. Glücklicherweise fand ich ein Interview, in dem Markson von seinem Aufenthalt in Mexico und seinen Erkundungen der Möglichkeiten von Literatur erzählte. Und wer sollte ihn da besser anleiten als Meister Greene?

Seitdem lassen mich jene Fragen nicht mehr los, die ich dem Schriftsteller stellen würde, wenn er noch leben und kurz bei uns im Laden vorbeischauen würde. Ich habe das Gefühl, dass ich mir selbst etwas vorenthalten habe, weil mir nicht klar war, dass dieser Mann, den ich so bewunderte, keine einschüchternder, ferne Gestalt war, die sich einst mit Dylan Thomas betrank, sondern ein ganz normaler Mensch, der Einfluss und Gespräche brauchte, um seine Arbeit anzutreiben und einfach durch den Tag zu kommen.

Mit den Toten wetteifern

Ein guter Freund hat mir mal gesagt: “Es nützt nichts, mit den Lebenden wettzueifern, nur mit den Toten.” Das verstehe ich jetzt erst. Hätte ich mir die Zeit genommen, um mit Markson einfach privat zu plaudern, würde ich in diesen Büchern, die wir uns jetzt teilen, mehr entdecken. So bleiben mir nur bedrohlich unangestrichene Seiten. Es fällt mir schwer, die beiden Bücher zu lesen, weil mir ein Gesprächspartner fehlt, der sie gelesen hat und von ihnen beeinflusst ist. Meine Bibliophilie breitet sich aus.

Und ich merke: Wir müssen mit den Lebenden um uns herum, die Dinge kreieren, oder es auch nur versuchen, reden, wir müssen ihre Leistungen und Bemühungen feiern, und vor allem müssen wir sie wertschätzen, wenn sie noch leben, damit sie sich ausdrücken und verteidigen können, ohne Angst vor ungesundem Wettbewerb zu haben. Diese Erkenntnis habe ich noch in keinem Buch gefunden, aber ich werde sie gerne mit jedem teilen, der sie sich anhören möchte.

7 Kommentare zu “Geister in gebrauchten Büchern

  1. Für eine Erstausgabe von “Absalom, Absalom!” würde ich töten.
    Und David Markson soll wirklich ein Gigant gewesen sein. “Springer’s Progress” gilt als Meilenstein. Im Moment liegt aber nur ein früher Roman von ihm auf deutsch vor. Schande.

  2. Mal wieder ein schöner, kleiner Text, der ein schönes, kleines Phänomen zum Thema hat. Das gefällt mir!

  3. Feine Sache! Ich ersteigerte zuletzt via Internet ein gebrauchtes Buch eines portugiesischen Autors, der in Spanien lebte, dessen deutsche Übersetzung mit dem Lesezeichen eines alten Antiquariats in Jerusalem zu mir gelangte…geht alles schon mitunter seltsame Wege…

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.