Geheimniswelten sichtbar machen

Das Web 2.0 macht alles einfach. Zu einfach, wie Eckhard Hammel glaubt. Der Gründer des Online-Magazins “CultD” kritisiert die ser- verseitige Automatisierung wie sie im WWW inzwischen üblich ist und setzt sich für eine clientseitige Programmierung ein. Diesen Gegenentwurf zum Konsumentendasein überträgt er auf Lernum- gebungen und schlägt so neue Wege in der Wissensvermittlung ein.

Meine frühen Begegungen mit der Computerwelt betrachte ich als bloß experimentell. Interessant wurde es für mich erst, als das Web aufkam, das auf einer höheren Ebene liegt als Computer und Netzwerktechnologie, weil es mit menschlichen Aktionen rechnet.

Benutzerfreundlichkeit ist nicht alles

Mein Interesse entstand auf dem Hintergrund der Lektüre Deleuzes/Guattaris. Vor allem aber war die Lektüre Nietzsches wichtig. Er hat – bereits knapp 100 Jahre bevor Ted Nelson den Begriff Hypertext prägte – mit seinem aphoristischen Perspektivismus nicht-lineare Textgewebe in Buchform realisiert. Künstlerische Randgruppen adaptierten das bereits im frühen 20. Jahrhundert.

Auch das Internet wurde in Form der Bulletin Boards zunächst von Randgruppen betrieben, dieses Mal von politischer Seite aus. Eines war diesen Intellektuellen gemeinsam: Es ging ihnen darum, die formalen Fesseln des Gewöhnlichen und Redundanten zu destabilisieren, um Platz für Neues zu schaffen.

Gegenwärtig sind wir allerdings mit einer raffinierten Form der Metastabilisierung konfrontiert: Dem Versuch der Kontrolle der Entfesselung, das heißt ihrer Steuerung durch den ökonomisch-politischen Apparat. Das ist zurzeit am Web 2.0 zu sehen. Es schränkt nicht ein, im Gegenteil: es macht alles einfacher. Aber mit der Optimierung der Benutzerfreudlichkeit ist eine massive Debilisierung der Benutzer verbunden: was du machst ist egal, Hauptsache alles läuft so schnell und ohne Pause ab, dass du bloß nicht anfängst nachzudenken.

Objektbasierte Lernumgebungen

Ich hielt es immer für wichtiger, dagegen anzugehen als mitzumachen. “Dagegen anzugehen” darf natürlich nicht dazu führen, den status quo ante zu beschwören. Das ist sinnlos. Man muss nach vorn und dem Feind ins Auge blicken. Eine technikimmanente Form, welche die Idee des Perspektivismus erhält, und gleichwohl nicht hinter den Stand der Technik zurückfällt, sehe ich in der clientseitigen Programmierung. Als Gegensatz zur serverseitigen Automatisierung, die dieses immense Spektrum an aberwitzigen sozialen Folgen mit sich gebracht hat, von der Ersetzung menschlicher Arbeitskraft bis zum gläsernen Bürger und weit darüber hinaus.

Meine Lehrveranstaltungen, die inhaltlich am Thema des kreativen Publizierens im Web ausgerichtet sind, bestanden deshalb nie in einer auf Technik reduzierten Paukerei, sondern darin, den SeminarteilnehmerInnen die relevanten Strukturen und Prozesse verständlich und diese insbesondere in kulturellen Bereichen nutzbar zu machen. Ich nenne das Explikation, also Entfaltung dieser scheinbaren Geheimniswelten. Dabei werden Einbildungs- und Urteilskraft durchaus gefordert.

Dazu habe ich eine objektbasierte Lernumgebung entwickelt, in deren Zentrum eine Datenbibliothek steht, aus der jeder das entnimmt, was er brauchen kann. Der Lehrende spielt darin die Rolle eines Moderators, der einem Teilnehmer hilft zu wissen, was er braucht. Die erste vergleichbare Veranstaltung fand 1996 im Zusammenhang des Aufbaus der Medienwissenschaft an der Universität Düsseldorf statt. Aber bald zeigte sich, dass das an einer solchen Institution nicht gut geht, denn es bedarf zusammenhängender Veranstaltungsblöcke, die sich durchaus über einen Monat und mehr hinziehen können. Das ist leider nur mit privaten Bildungsträgern zu machen.

Beispiel aus der Praxis: CultD

Mitte der 90er habe ich das Online-Magazin CultD (ausgesprochen “culty”) gegründet, das die Auseinandersetzung mit Fragestellungen des Informationszeitalters unter wissenschaftlichen und auch künstlerischen Perspektiven dokumentiert.

Die Web-Installationen existieren ganz unabhängig voneinander. Wer die Adresse www.cultd.eu anklickt, landet also nur bei einem Inhaltsverzeichnis. Die Datenlandschaft selbst basiert vollständig auf der besagten clientseitigen Programmierung. Von daher gibt es einen engen Zusammenhang mit den Lehrveranstaltungen.

Aus dieser Art mit Technik umzugehen, folgt noch etwas Überraschendes: Die überwiegende Anzahl der Web-Installationen präsentiert Arbeitsschwerpunkte ausgewählter Persönlichkeiten, die ich zum größten Teil habe kennenlernen können. Das war jedes Mal eine Freude. Ohne das Internet, dem man nicht selten einen zersetzenden Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen nachsagt, hätten diese Begegnungen nicht stattgefunden.

7 Kommentare zu “Geheimniswelten sichtbar machen

  1. Wow, ich bin überrascht. Aus dieser Perspektive habe ich Web 2.0 etc. noch gar nicht betrachtet. Und diese Parallelschaltung von Internetkonsument/Lernender finde ich sehr virulent. Dazu möchte ich gern mehr lesen!

  2. Mich würde interessieren: Wie sieht so eine objektbasierte Lernumgebung konkret aus? Wie kann ich mir das vorstellen, wenn ich an einem Ihrer Kurse teilnehme und dann auf die Datenbank zugreife?

  3. Bewundenswert, Leute, die versuchen, hinter die glatten Oberflächen unserer Welt zu schauen, ja, nicht nur zu schauen, sondern Dinge, die dahinter liegen, freizulegen, sie zugänglich zu machen, der Infragestellung, Inspektion und unmittelbaren Nutzung zuzuführen.

  4. Absolut sympathisch! Hier spricht jemand, der weiß, wovon er redet und er macht es ohne Allüren, ohne Tamtam, aber doch mit Gewicht und den siebten Sinn für das, was relevant ist.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.