Gegen die Affekteuphorie

Keine zwei Jahrhunderte ist es her, dass >das Gefuehl als Medium< verstanden wurde, um zwischen den Oppositionen Geist und Koerper zu vermitteln. Im Zuge restaurativer Ten- denzen in der Gesellschaft ist allerdings zu beobachten, dass das Gefuehl und der Affekt seit einigen Jahren weniger als Vermittlung, sondern mehr als Widerstand gegen die Macht des Logos und der Sprache stark gemacht wird.

Insofern verwundert es nicht, dass es kuerzlich ausgerechnet >Lan- guages of Emotion<, einem spartenuebergreifenden Forschungscluster, als eines der wenigen gelang, sich in der Exzellenzinitiative an deutschen Hochschulen durchzusetzen. Auch die wachsende Beliebtheit von Olafur Eliassons Arbeiten, die auf immersive Effekte setzen und Ausstellungen wie >Buehne des Lebens – Rhetorik des Gefuehls< und >Romanti- scher Konzeptualismus< koennen als ein Symptom fuer die gegenwaertige Sehnsucht nach Emotionen gelesen werden. Dem Phaenomen der aktuellen Affektbegeisterung geht die Autorin Marie-Luise Angerer in ihrem neuen Buch nach. Sie unternimmt den Versuch, den Affekt als ein Dispositiv zu fassen, in dem verschiedene Kraefte aufeinander treffen. Der Ausruf Antonio Damasios >Ich fuehle, also bin ich< fuehrt sie als Beweis dafuer an, dass in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel hin zum Affekt stattgefunden hat. Zur Untermauerung dieser These weist sie darauf hin, dass in der Kunst und im Film bereits von neuen turns die Rede sei: von einem >somatic< und >emotional turn< koenne man lesen, der den >pictorial turn< schon wieder hinter sich lasse. Dass der Affekt mit dem Begriff des Begehrens eng verknuepft ist, laesst die Autorin bereits in ihrem doppelt lesbaren Buchtitel >Vom Begehren nach dem Affekt< anklingen. Ihre Sicht auf das Verhaeltnis von Begehren und Affekt charakterisiert sie als symptomatisch: >Symptomatisch, was den Affekt [als Objekt der Begierde] als auch den Status des Begehrens als zeitlich auf den Affekt folgendes betrifft.<

An anderer Stelle stellt sie dem Begehren nach dem Affekt den Triumph der Religion zur Seite. Eine Bemerkung, die sie lakonisch mit Lacan kommentiert: Denn bekanntlich finde das Begehren nie das, >was es sucht<. Im letzten Kapitel, >Sexualizing Affect<, resuemiert sie schliesslich, dass das Begehren nach dem Affekt keine Befreiung, sondern >eine Entladung [des ankommenden Schiffes]< sei. Das Buch mit seiner facettenreichen theoretischen Reflexion zum Affekt ist besonders aus historischer, philosophischer und psychoanalytischer Perspektive interessant. In allen fuenf Kapiteln spuert man Angerers Begeisterung fuer >Affektive Theorielaeufe< und historische Auffassungsverlaeufe von Begriffen. Ein Verdienst der Autorin ist ihre fast pedantische Art, mit der sie die Rezeptionsgeschichten des Affekts darstellt und miteinander verknuepft. Denn gerade dieser Aufwand macht deutlich, dass es keinen bedeutungsfreien und neutralen, aber eben auch keinen affektfreien Standpunkt geben kann. Umso wichtiger ist es deshalb, gute Argumente fuer die eigene Rezeption vorbringen zu koennen - etwas, was Angerer zweifellos gelingt. Sie nimmt unmissverstaendlich eine Position ein gegen die Affekteuphorie und gegen die Anbiederung der Kulturproduktionen und Geisteswissenschaften an die Neurowissenschaften.

Ein Kommentar zu “Gegen die Affekteuphorie

  1. weiterführende bzw. ergänzende lektüre:

    Jörg-Uwe Albig: Land voller Liebe. Tropen, 2006 (Roman)

    Vinzenz Hediger et al.: Kinogefühle: Emotionalität und Film. Schüren, 2005

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