Medien in Japan: Die Dreifachkatastrophe und das Finale der Frauen-Fußballweltmeisterschaft

Das Studium der Medien kann eine erkenntnisfördernde Wirkung entfalten. So auch ein analytischer Vergleich der Reaktionen auf die Dreifachkatastrophe in Japan und den Sieg der Nationalmannschaft Japans bei der Frauenfußball-WM. Der seit mehr als 20 Jahren in Tokio ansässige Filmemacher, Kurator und Übersetzer David d’Heilly verdichtet seine ersten Eindrücke in einer subjektiven Statusmeldung.

Mein erster Eindruck war, dass die Welt doch nicht so wahnsinnig ist. Schließlich kann ein Fußballspiel, das um drei Uhr nachts Ortszeit in Japan begann, mehr Hits im Internet generieren als die Tötung Osama Bin Ladens oder die jüngste Brit-Hochzeit. Den bisherigen Klick-Rekord halten in Japan die Neujahrsgrüße für 2011.

Zweiter Eindruck: Außerhalb der massenmedialen Blase ist die Welt vernünftiger als wir glauben. Und in diesem Zusammenhang sollten wir die Kraft der sozialen Medien nicht unterschätzen. Diese Kraft lässt sich nicht zuletzt an der Post-3/11-Aufmerksamkeitsökonomie ablesen.

Immer wieder ist hervorgehoben worden, wie Tepco die Presse via Anzeigengelder korrumpiert und wie sich die Presse-Clubs mit den Bürokraten absprechen, um die Öffentlichkeit hinter’s Licht zu führen. Doch Unmengen von Twitter-Nachrichten und vergleichbar große Ströme von SMS, Blog-Beiträgen sowie E-Mails hielten seit dem ersten Erdbeben und jeder weiteren Entwicklung in Fukushima rund um die Uhr dagegen.

Ich möchte wetten, dass nach dem Sieg Japans bei der Frauenfußball-WM zwischen vier und fünf Uhr morgens auf diesen Kanälen genauso viel los war.

Ich verstehe sehr wohl, dass das Presseclub-System in Japan (kisha kurabu) gegen die Demokratie des Landes arbeitet. Ich verstehe jedoch nicht, warum das in dieser Medienlandschaft einen Blackout bedeuten soll.

Anm.d.Red.: Kritik an den Mythen der Medienlandschaft in Japan hatten in der Berliner Gazette zuletzt Magdalena Taube und Krystian Woznicki geäußert. Die Twitter-Grafik oben zeigt weltweite Retweets von Tweets, die unmittelbar nach dem Erdbeben/Tsunami vom 11.März 2011 aus Japan kamen.

27 Kommentare zu “Medien in Japan: Die Dreifachkatastrophe und das Finale der Frauen-Fußballweltmeisterschaft

  1. Erkenntnisse, die Mut machen. ABer auch Verantwortung im Umgang mit sozialen Medien nahe legen. Die Anything-goes-Mentalität ist weit verbreitet…

  2. sehr interessant, das Format “Statusmeldung” als Text aufzubereiten. Mich würde interessieren: Der Punkt, dass nach dem WMSieg genauso viele Menschen getwittert haben etc., soll nahelegen, dass die Sozialen Netzwerke nicht nur in der Katastrophe funktionieren, sondern auch in “schönen Momenten”?

  3. aber ist das nicht ein neuer, ein anderer mythos, der hier aufgewoben wird? der mythos der sozialen medien als rettungsanker der zivilgesellschaft…

  4. Mir ist nicht klar was der Artikel sagen soll. Das die Frauen-WM (unberechtigter weise?) genauso viel Aufmerksamkeit in den sozialen Kanälen bekommen hat, wie Fukushima? Und von welchen Hits sprechen wir? Suchmaschine, Website, Zeitungsportal .. ? Was sind Unmengen an Twitter-Nachrichten? Gibt es die nicht täglich, zu einem x-beliebigen Thema?

  5. @#4: na ja, mega-events bringen ein erhöhtes medien-kommunikationsaufkommen mit sich (twitter, etc.) die frauenfussball-wm hat dabei in den nachtstunden, das betont der autor wohl auch besonders, so wahnsinnig viel traffic gehabt, mehr als diese ganzen pseudo-interessanten dinge wie hochzeit von englischen brautpaaren. dann aber auch soviel wie “3-11” — ich glaube, es ist das unvorhersehbare, das unkontrollierbare solcher social-media-ereignisse, das wichtig ist, weil es durch die presseclub-system nicht kontrolliert werden kann und die demokratie in japan doch nicht so im eimer…

  6. Es ist wahnsinn wie viel über Twitter, g+ und co. verbreitet wird. Saß während dem Anschlag in Oslo vor twitter und habe mehr erfahren als über tagesschau.de, CNN oder BBC zusammen.

  7. @#10: aber was heisst schon nachrichtenwert in einer spähre der fülle, des überflusses, der überschäumenden information, in der jeglich nachricht sofort entwertet wird, weil sie austauschbar ist, weil nicht die qualitöt zählt, sondern die anzahl der informationen, die schiere masse, das zeigt die grafik oben ja auch, diese ganzen ströme, da wird alles zum fluss — demokratie der zerstreuung

  8. @#7: aber wollen wir das alles erfahren müssen, wollen wir uns alles in solchen mengen reinziehen müssen? was ist oslo schon von bedeutung – ich meine nicht allgemein, nicht als stadt, als katastrophe, sondern: was bedeutet es schon, dass es da knallt: für wen? für mich? was bedeutet es wenn ich es NICHT mitbekomme? bin ich dumm oder schlauer, weil ich meinen kopf klarer habe als vorher?

  9. @neuro was ist denn eine “Demokratie der Zerstreuung”?

    Es geht mir gerade genau darum, wie die Nachrichten entstehen und rezipiert werden. Gerade sind die neuen Nachrichtenkanäle sehr viel schneller als die klassischen Medien und ich will das nicht werten, sondern finde es nur interessant.

    Zudem möchte ich gerade sehen, wie mit einem bisher nicht bestätigten “Terroranschlag” in den Medien umgegangen wird, wenn es nicht das eigene Land ist und nicht die USA, sondern in einem Land, was kein so großes Nachrichteninteresse erzeugt.

  10. @#13: ich habe versucht dem ganzen nachdenken über ein demokratisches potenzial der sozialen medien, das im text angesprochen wird, etwas abzugewinnen, auf umwegen und mit einer gewissen last, komme ich auf “DdZ”: wenn sich alles zerstreut in den fluten der informationen, dann auch macht, und das kann dann ein demokratisches moment sein, weil sich alles auf alle und die ränder verteilt, nicht auf ein zentrum (der macht, signifikanz) oder so.

    und dann fragen wir nochmal nach: wozu führt das beobachten? beoabchten wir um der beobachtung willen? weil es eine art existenzform geworden ist, die ein wenig sinn, ein wenig ablenkung, ein dabeisein und am lebensein verspricht? aber ist das auch das wahre? wollen wir, sollten wir beobachter sein?

    hat das leben nicht mehr zu bieten? vielleicht nur weniger, wer weiss…

  11. @#12 neuro: ich glaube es muss jeder selbst entscheiden, wie weit man sich “reinziehen” lässt, wie viel man wissen will. Ich habe heute die Entscheidung getroffen mich viel mit Thema zu beschäftigen, weil es mich interessiert. Manche mögen das Sensationsgeilheit nennen, ich nenne es Interesse.

  12. @13 .andi: ich kann mich Dir nur anschließen, auch ich finde es gerade super interessant und sehr spannend wie Nachrichten “geshared” werden. Wieder hat das für mich wenig mit Sensationsgeilheit, sondern was mit Interesse zu tun.

  13. @solfrank: eine alte these das mit dem abstumpfen der gefühle, weil man immer nur alles medial vermittelt bekommt, alt und nicht sonderlich wahr…

  14. @andi und @ECC: Ihr beide seid euch einig, dass ihr die Streams in den sozialen Medien verfolgt, weil es “interessant” ist. (aus einer nachrichtentheoretischen und aus einer persönlichen perspektive, wenn ich es richtig verstehe).

    Doch was genau ist so interessant an den Meldungen auf G+ und Twitter? Ich meine: Sind diese Meldungen denn nicht nur in dem Moment des Anschlags/der Katastrophe interessant (also gestern nachmittag bis abend)?

    Seht ihr euch nicht ein bisschen eurem eigenen Informationshunger ausgeliefert, wenn ihr das auch jetzt nach dem Ereignis so intensiv verfolgt? Ich persönlich mache in Momenten wie diesen am liebsten eine “Mediendiät”, um mich nicht so reinziehen zu lassen. Ich denke, dass Polizeiarbeit und die (juristische) Aufarbeitung dieses Anschlags einen anderen Rhythmus als die sozialen Netzwerke/ Streams haben. Was soll es also jetzt bringen, mich da reinzuschalten?

  15. @Magdi, ich hatte natürlich ein großes sprachliches Problem, dass man norwegische Primärquellen nicht verfolgen konnte und deswegen musste ich nach alternativen Quellen suchen. Was ich dabei sehr interessant fand: in den Massenmedien gab es sehr wenige und erst spät irgendwelche Informationen, aber dafür sofort die ersten Spekulationen über einen terroristischen/islamistischen Anschlag.
    Bei den alternativen Quellen gab es früher die Informationen und kaum Spekulationen über den Hintergrund. Und dies fand ich sehr interessant, dass sich klassische Medien (Spiegel Online bis Phoenix) in einfache Erklärungsmuster zurückgezogen haben, während bei Twitter, G+, Blogs etc. Informationen vermittelt wurden.
    Ich habe mich auch nicht nach den ersten Informationen (glaube so 16 Uhr) daran gesetzt und das weiterverfolgt, sondern erst ab 20 Uhr, weil ich es doch schon sehr bedenklich fand, dass klassische Medien mit ihren internationalen Terrorvermutungen sehr viel Panik erzeugten (kann es auch in Deutschland passieren?) und man keine validen Aussagen bekam.
    Denn was sich zum Beispiel Phoenix geleistet hatte war extrem: einen “Terrorexperten” hinzustellen, der eine Stunde lang nur davon geredet hat, dass es ein islamistischer Anschlag sein könnte ach was nein es ist ein islamistischer Anschlag!
    Dazu auch hier ein Piratepad, was solche Meldungen gesammelt hat: http://ppin.piratenpad.de/137

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