Flirrender Fiebertraum? Was die Monate der COVID-19 Pandemie mit mir gemacht haben

Plötzlich Sommer. Die Cafés sind voll, Test-Tourist*innen sonnen sich an Mallorcas Stränden und per App kann man sich vor Viruskontakten warnen lassen. Waren die letzten Monate nur ein Fiebertraum? Der Autor Dennis Hofmann erkundet den Konnex von Hype, Krieg und Fiktion, der in den ersten Monaten der COVID-19-Pandemie aufgerufen wurde. Ein Kommentar.

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Die Welt ist im Corona-Fieber-Traum-Urlaub; und es geht uns wunderbar. Endlich frei von Gewohnheiten, vom Stumpfsinn des Alltags. Alles hat den Glanz des Besonderen angenommen. Obwohl wir uns gerade ohne eine Normalität als Bezugspunkt im freien Fall befinden, will niemand in die Normalität zurück, die vor Corona herrschte.

Die Welt ist im Corona-Fieber-Traum-Urlaub; und es geht uns wunderbar. Endlich frei von Gewohnheiten, vom Stumpfsinn des Alltags. Alles hat den Glanz des Besonderen angenommen. Obwohl wir uns gerade ohne eine Normalität als Bezugspunkt im freien Fall befinden, will niemand in die Normalität zurück, die vor Corona herrschte.

War man vor Corona eher pessimistisch auf die Zukunft eingestellt, hegt man nun die neue Hoffnung, dass die „Herrscher der Welt“ (Chomsky) das Ruder doch noch rumreißen werden. Bisweilen kann man nur darüber staunen, was ein Virus in so kurzer Zeit alles schafft; wir hätten das Gleiche mit viel Vernunft und Demonstrationen vielleicht erst in hundert Jahren hingekriegt. Es gibt kein besseres Argument als ein Virus, um eine Gesellschaft in den Bereichen Arbeit, Gesundheit und Verkehr zu transformieren.

Ein überfälliges Experiment?

Dafür sind die Menschen zumindest zeitweise bereit, einige Opfer zu bringen. Sie beweisen hierbei ein Talent, das Beste aus der Krise herauszuholen. Zumal es ja auch bei den Wenigsten um Leben und Tod geht. Für die Meisten mutet es eher wie ein überfälliges gesellschaftliches Experiment an.

Das Reiseverbot beispielsweise zeigt, dass Politik- und Businessmachen auch digital gehen. Ebenso Familienmeetings und Arztbesuche. Sogar Teile des Sports. Die Radrennsaison ist seit einigen Wochen wieder in vollem Gange; und das komplett virtuell.

Und nicht zu vergessen: der Krieg, der mittlerweile keine Menschen mehr braucht und für den vermutlich demnächst die besten Videogamer*innen rekrutiert werden.

Begrüßung per Fußtritt

Da tut es doch gut, nach einem Tag im Homeoffice zu sehen, dass das Opfer der Freiheit einen geilen blauen Himmel hervorbringt. Aber auch in der analogen Welt ergeben sich spannende Veränderungen, was etwa den Begrüßungskult betrifft. Das Kontaktverbot fordert unsere Kreativität heraus. Und das macht einfach nur Spaß. Mittlerweile begrüßt man sich nicht mehr mit einem Handschlag, sondern mit einem Fußtritt.

Befremdlich ist nur, dass ein Gespräch eine Distanz von zwei Metern aushalten muss. Aber da man eh nur über Corona reden will, passt der Abstand zur Dramaturgie dieser Corona-Moments vorzüglich. Zum Glück ist die Diversität der Medien so hoch, dass die Gespräche nie langweilig werden.

Selbst die Hausfassaden melden sich jetzt zunehmend zu Wort. Das Graffiti hat gerade als Medium wieder Konjunktur, die Parolen schreien uns von den Wänden nur so an. Von „Bullen anhusten“ bis „Betten denjenigen, die sie brauchen“ ist alles dabei. Hauptsache radikal. Das bringt immerhin diesen Wirtschaftszweig, der sich auf die Beseitigung von Wandschmierereien spezialisiert hat, in die Nähe der Systemrelevanz. Da sind Plakate schon harmloser.

Plötzlich sind wir rhethorisch wieder im Krieg

Es scheint als würden in Corona-Zeiten alle möglichen Gruppen aufpoppen, die sich aus nicht ganz ersichtlichen Gründen dazu befugt fühlen, Forderungen zu stellen. Überall findet man Pamphlete, die mit Imperativen mobil machen wollen.

Damit stehen die Alternativen den Traditionalisten in Sachen Propaganda und Vereinsmeierei in nichts nach. Das bringt zwar Leben in die Bude, aber irgendwie nervt es auch. Denn plötzlich befinden wir uns zumindest rhetorisch wieder im Krieg. Es ist ein Krieg um die Deutungshoheit dieses Ereignisses; und bei diesem Krieg geht die wichtigste Frontlinie mitten durch unser Hirn.

Das Virus wird natürlich auch auf geopolitischer Ebene als Waffe benutzt und dazu verwendet, die fadenscheinigsten Anklagen zu erheben. China macht die USA und die USA machen China für die Pandemie verantwortlich. Woran sich mal wieder zeigt, dass der Kampf um die Weltherrschaft mit allen Mitteln auch in Pandemiezeiten nicht zum Erliegen kommt und eigentlich ein albernes Spiel ist, das jeder von uns schon im Kindergarten für sich entdeckt hat, wobei immer nur der gewinnt, der Mitverschwörer*innen an seiner Seite hat.

Was wir nicht wissen

Man kann weder die Herkunft noch die Verbreitung des Virus genau bestimmen. Es werden weder flächendeckende Tests durchgeführt, noch ist sicher, ob die Verstorbenen an oder mit Corona gestorben sind. Die Beschränkungen werden gelockert, gleichzeitig wird betont, dass wir immer noch erst am Anfang der Pandemie stehen.

Selbst die Anzahl der positiv Getesteten, auf die sich alle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus stützen, sei laut eines Zeit-Artikels vom 14. Mai schlichtweg falsch. „Bei einem gewissen Prozentsatz der Untersuchten wird das Virus nachgewiesen, obwohl es gar nicht da ist.“ Und woher man nun weiß, dass es nicht da ist; tja, diese Frage lässt der Zeit-Autor offen.

Absurderweise warnen jedoch gerade die Wissenschaftler*innen vor Falschmeldungen. Wenn es doch jemanden gäbe, der mir beibringen könnte, Falsch- und Richtigmeldungen voneinander zu unterscheiden. Aber ich fürchte, da ist niemand.

Die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Politik hängt anscheinend allein davon ab, ob ihre Narrative in unser Weltbild passen, nicht zuletzt, weil sie von diesem auch hervorgebracht werden. Die Spezies Mensch hält per se nur das für möglich, was zu ihrem aktuellen Weltbild passt.

Diese Haltung führt allerdings komplett an der nüchternen und pragmatischen Realität eines Virus vorbei.

Fiktion: Von der Krise zur Katastrophe

Die Informationspolitik der Medien scheint so sehr auf Desinformation ausgelegt zu sein, dass sie auch während einer Pandemie, bei allen augenscheinlichen Bemühungen, nicht verhindert werden kann. Dabei kann eine informierte Öffentlichkeit besser Krisen bewältigen als eine desinformierte. So behauptet jedenfalls Chomsky. Ich behaupte allerdings, dass kein Medium Informationen rein und pur wiedergeben kann.

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Kürzlich hat Chomsky, der inzwischen 91 Jahre alt ist ein Webinar für 700 Beteiligte abgehalten und über die Post-Covid-19-Gesellschaft gesprochen. Er erliegt nicht der Versuchung, die katastrophalen Zustände in den USA auf einen einzigen Politiker zu schieben, egal wie destruktiv und käuflich er ist. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie exponiert alle Teile der Gesellschaft aufgrund der extremen wirtschaftlichen Ungleichheit, so Chomsky.

Zurück zu den Medien: Dass sich trotzdem alle wie die Geier auf Corona stürzen und glauben, sie hätten etwas zu sagen, obwohl sie einen Scheiß wissen, ist unserem krisenanfälligen Denken zu verschulden, und deswegen nur allzu verständlich; wer denkt denn gerade nicht daran, aus dieser Krise Profit zu schlagen? Welcher “Autor” oder “Autorin” versucht denn nicht mit Corona groß rauszukommen?! Man muss nur aus einer Krise eine Katastrophe machen und die Dinge kommen ins Rollen.

Geschichten und Gesellschaften

Nach Harari können Geschichten ganze Gesellschaften organisieren, ihre Kräfte mobilisieren und sogar in den Krieg führen. Und welche Geschichten die seriösen, öffentlich-rechtlichen, alternativen, satirischen Medien uns auch anbieten, sie sind ebenso spekulativ wie verschwörerisch, ebenso sehr Propaganda wie Unterhaltung, so dass man geneigt sein könnte, die beste Story zu kaufen und für wahr zu halten.

Corona ist ohne Zweifel jetzt schon die größte Show seit 9/11. Und wenn ich Show sage, meine ich damit nicht, dass es eine Elite gibt, die am meisten von der Krise und der Angst profitiert, sondern, dass wir alle an der Produktion dieser Show beteiligt sind. Mit unseren Gedanken und Handlungen bauen wir Geschichten um Geschichten. Eigentlich ist das Virus für die Meisten so wenig real, dass sich jeder seinen eigenen Coronacocktail mischen kann.

Was ist mit Visionen?

Hegel sagt: Das Denken ist selbst eine Bewegung desjenigen, was es zu erkennen sucht. Insofern sind alle Gedanken und Handlungen zum Virus Teil des Prozesses, in dem wir uns gerade befinden. Ob es nun die Fledermaus, Bill Gates oder der Joker war; die Wahrheit ändert weder etwas an der Situation, noch lassen sich mögliche Lösungen aus ihr ableiten.

Die Wahrheit, falls es sie gibt, würde vermutlich dieser Situation gar nicht gerecht werden, weil Vieles noch offen und die Geschichte noch nicht geschrieben ist. Die Wahrheit würde das Außergewöhnliche banalisieren, das Spektrum an Möglichkeiten verkleinern und eine große Chance vereiteln. Mit der Wahrheit hätte die Menschheit also gerade nichts gewonnen. Wohl aber mit Visionen.

Das Coronaregime bietet zurzeit die besten Bedingungen, die Welt radikal umzubauen und in ein neues Zeitalter zu überführen. Diese Transformation ist längst überfällig. Was wir aus diesem Ereignis machen und wohin es uns führt, welche Welt wir uns bauen werden, hängt allein von unserer Haltung ab.

Doch derzeit lassen wir uns wie ein Pinball im Dreieck von Hype, Krieg und Fiktion hin und her schießen. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir uns schließlich doch noch für die beste Geschichte entscheiden; und sie Wahrheit werden lassen.

Anm. d. Red.: Die Fotos stammen von Mario Sixtus und stehen unter einer CC-Lizenz (CC BY 4.0).

Ein Kommentar zu “Flirrender Fiebertraum? Was die Monate der COVID-19 Pandemie mit mir gemacht haben

  1. Danke, Dennis, ein wunderbarer Text!

    Es klingt vieles an, das ich ebenso empfinde. Und es kommt so locker, so schlacksig daher, dass es eine Freude ist zu lesen.

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