Feminismus und Alltag, oder: Wo bleibt der Boyfriend-Look für Schwangere?

Auch bei H&M ist inzwischen angekommen, dass Umweltschutz cool ist. Seit Jahren kann man Kleidung zum Recycling abgeben. Doch die Modernität hört auf, wenn es um Gender-Themen geht. Bei der Umstandsmode kann man zwischen Skinny Mama und Super Skinny Mama auswählen. Gott bewahre Frauen davor, dass sie dick werden, wenn in ihrem Körper ein neuer Mensch heranwächst! Feminismus ist eben nach wie vor nicht Mainstream. Wie kann man Feminismus im Alltag praktizieren? Die Literaturwissenschaftlerin und Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska hat in dem Buch “Die letzten Tage des Patriarchats” einige nützliche Hinweise gefunden.

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„Immer noch reden Leute davon, Frauen […] könnten zwar beruflich viel erreichen aber letztlich doch nur als Mutter glücklich werden. Als Mutter, die stillt und lange zu Hause bleibt und die beliebige Ansammlung von Schlafmangel durch die Glückshormone ausgleicht, die in ihr entstehen, während sie Möhrenbrei vom Küchenboden wischt.”

Leicht überspitzt, klar, und trotzdem wirkt der Titel des neuen Buches „Die letzten Tage des Patriarchats“ von Margarete Stokowski im Kontext dieses Satzes sehr optimistisch – oder eben ironisch. Bei der Herrschaft der Väter wird es sich wohl nicht nur um letzte „Tage“ handeln. Denn das Patriarchat wird als ein System und Struktur verstanden und dargestellt, zu der sowohl Frauen als auch Männer gehören und beisteuern.

In ihrem Buch hat Margarete Stokowski Texte zusammengetragen, die sie in den letzten sieben Jahren entweder in der taz oder bei Spiegel Online veröffentlicht hat. In diesen Beiträgen möchte die Autorin, wie man im Vorwort des Buches liest, den „Zerfall des Patriarchats“ und seine letzten Zuckungen beobachten. Gleichzeitig sagt sie aber deutlich, dass wir trotz der Verbesserung der allgemeinen Lage von einer ausgeglichenen Gesellschaft, in der Frauen und Männer die gleichen Privilegien und Machtpositionen haben können (denn um diese geht es bei der Gleichstellung der Geschlechter) noch weit entfernt sind.

Feminismus als Praxis

Deshalb brauchen wir Feminismus – als Antwort auf diese festgefahrenen Strukturen. Feminismus, den man auf unterschiedliche Art und Weise praktizieren kann, z.B. durchs Schreiben. In ihren, meist kurzen Texten kommentiert Margarete Stokowski sehr scharf und pointiert, was um sie herum passiert; sie ist eine wachsame Beobachterin, bleibt dabei selbstkritisch, streng und unterhaltsam. Aus diversen Bereichen ihres Lebens, aber auch aus politischen Aktualitäten fischt sie Absurditäten des Alltags raus, die auf die Festigkeit des patriarchalischen und teilweise auch archaischen gesellschaftlichen Konstrukts hindeuten.

So reagiert sie beispielsweise auf die Parlamentswahlen, die sexuellen Übergriffe während der Silvesternacht 2015/16 in Köln, auf die #MeToo-Bewegung, schreibt aber auch über sehr persönliche Auseinandersetzungen mit dem Patriarchat. Viele ihrer Texte nehmen die Form eines Manifests an, die Botschaft ist klar, der Nachgeschmack oft bitter. Auf dem Weg durch patriarchale Strukturen und Kuriositäten wird Stokowski von Feminismus-Ikonen wie Simone de Beauvoir, Virginia Woolf oder Alice Schwarzer begleitet, die sie zitiert und/oder sich von ihnen distanziert.

Stokowski spricht eine ganze Anzahl von Themen an, setzt Impulse, an die man anknüpfen kann und die zum weiteren Nachdenken und Erforschen auf eigene Faust einladen und bewegen. Sie ist sarkastisch, wütend und neugierig, schreibt dabei auch viel über sich selbst und man hat das Gefühl, man würde sie durch ihre Texte immer besser kennenlernen. Vieles passiert hier auch zwischen den Zeilen oder nebenbei. Als sie 2014 über den Film „Blau ist eine warme Farbe“ schreibt, erwähnt sie in einem Nebensatz die Größe der Popcorneimer im Kino, aus denen „im Winter 1947 eine fünfköpfige Familie tagelang gelebt hätte.“

Vom Boyfriend-Look zur Skinny Mama

Beim Shoppen bei H&M trifft die Autorin in der Damenabteilung auf die sogenannten Boyfriend-Jeans und denkt die Sache zu Ende. Die Jeans fallen etwas lockerer aus und sind gerade, mehr nicht. Der Name deutet aber an, so Stokowski, dass mit der Jeans heterosexuelle und vergebene Frauen bzw. solche, die gerne einen Freund haben würden, als Zielgruppe angesprochen werden. Mir ist das noch nie aufgefallen, aber es stimmt ja.

Dafür bin ich auf ein anderes Phänomen in dieser Themenabteilung aufmerksam geworden und durch die Lektüre daran erinnert worden. Wer auf der Suche nach einer Umstandshose ist, wird schnell feststellen, dass H&M nebst den Modellen „Skinny Mama“ und „Super Skinny Mama“ nicht viel zu bieten hat. Insgesamt herrscht in der Welt der Umstandsmode ein etwas seltsamer Diskurs. Auf den Labels steht „Sexy Mama“, „Glamorous Mama“, oder auch „Mamalicious“, als wäre das oberste Ziel einer schwangeren Frau nicht nur sexy, sondern auch dünn zu bleiben. Wie das gehen soll, bleibt mir ein Rätsel. Jedenfalls nix Boyfriend Mama, warum auch immer.

Monate später google ich „Mama Boyfriend Jeans“ und finde auf der Seite von H&M ein einziges Model. Es gibt sie jetzt also doch!

Stokowski führt mit und in ihren Texten einen Dialog mit anderen Journalistinnen und Medienvertretern, aber auch mit der Öffentlichkeit und mit den Lesern, die ihre Beiträge kommentieren. Der Austausch beinhaltet Auseinandersetzungen mit Menschen, die ganz anders denken als sie, und auch mit meist (aber nicht immer) anonymen Hass-E-Mails und Nachrichten. Auch diese werden im Buch zitiert und von der Autorin kommentiert. So entsteht eine Art Gespräch oder Korrespondenz mit der Öffentlichkeit, die gegen manche Ansätze des modernen Feminismus allergisch ist.

Stalingrad, ganz ohne Gender

Mit einer großen Dosis Ironie verleiht die Autorin dieser Öffentlichkeit eine Stimme. Ähnlich einem Chor, ganz im altgriechischen Sinne, sagt sie z.B.: „auf Gender haben wir keinen Bock. Unsere Väter und Großväter haben in Stalingrad gekämpft, ganz ohne Gender.“ Zugleich erklärt Stokowski das Ende der Ironie, denn „Ironie wird nicht mehr verstanden. Ironie tötet. Irgendein Trottel wird sie immer ernst nehmen.“

Stokowski bezeichnet sich als Feministin und als Polin. Die polnische Herkunft thematisiert sie aber nur am Rande. In Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte erzählt sie kurz die Einwanderungsgeschichte ihrer eigenen Familie. Sie spielt auch mit Vorurteilen gegen Polen in Deutschland, was teilweise sehr bissig rüberkommt, aber eben auch in Erinnerung bleibt.

Mit dem heutigem Polen beschäftigt sie sich aber in diesen hier gesammelten Texten nicht. Provozieren wolle sie nicht, meint sie. „Im Großen und Ganzen versuche ich, nur da Staub aufzuwirbeln, wo es eh schon die ganze Zeit dreckig ist. Saubermachen kann ich es nicht alleine, aber mal draufzeigen ist ein Anfang. Also ungefähr das Gegenteil von dem, was von einer Polin in Deutschland erwartet wird, Zwinkersmiley.“

Möhrenbrei, Muttermilch und Wein

Schließlich schreibt Stokowski über das Schreiben selbst, darüber, wie sie selbst schreibt, wo, wie und warum und wo sie sich in der Journalismus-Welt sieht. Und hier, im Beitrag mit dem Titel „Frauen sind gar keine Rudeltiere“ kommt vielleicht die für mich wichtigste Botschaft des Buches: Es ist wichtig für sich selbst zu sprechen, denn „wer nicht für sich spricht, für den sprechen andere. Oder niemand.“

„Die letzten Tage des Patriarchats“ begleitet mich auf meiner ersten beruflichen Reise seit der Geburt meines Sohnes, die vier Monate zurück liegt. Den Möhrenbrei vom Fußboden abgewischt, setze ich mich alleine in den Flieger. Unser Sohn bleibt mit meinem Boyfriend und einem Liter von mir abgepumpter Muttermilch Zuhause. Ich bestelle mir ein Glas Wein, mein erstes seit gefühlt einer ganzen Ewigkeit, und lese das Buch. Den Humor finde ich toll und muss mehrmals laut lachen. Prost und danke, Margarete Stokowski!

Anm. d. Red.: Die Fotos stammen von x1klima und stehen unter einer CC-Lizenz.

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