Feminismus und Technowissenschaften: Über Objektivität, Verantwortung und Macht

Wie könnte in einer Zeit, die von Technikfortschritt geprägt wird, eine lebbare, gerechte Welt aussehen? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch die feministischen Science und Technology Studies (STS). Auf diesem Gebiet werden neue Ideen entwickelt – etwa die Vorstellung einer Cyborg – und die Geschlechterpolitiken unserer technikgetriebenen Welt in Frage gestellt. Die Technik-Philosophin Jutta Weber unternimmt eine Bestandsaufnahme.

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Wenn Technik immer schon politisch und eine kulturelle Praxis ist, dann erscheint sie weniger als maskulinische Big Science und das ganz Andere, vielmehr als entscheidender Kampfplatz und als Ort der Möglichkeiten und der Intervention für eine andere Welt. Den Auftakt zu diesem neuen, eher optimistischen oder wenigstens ambivalenten Bezug auf Technik macht das berühmt gewordene Cyborg-Manifest der Biologin, Philosophin und Technikforscherin Donna Haraway.

Provokativ stellt Haraway in ihrem Text fest, dass sie es vorziehen würde, ein/e Cyborg zu sein statt eine (ökofeministisch inspirierte) Göttin. Mit Hilfe von Ironie, neuen Bildern und selbstreflexiven Narrationsstrategien versucht Haraway, eine andere Geschichte zu erzählen – jenseits der unbrauchbaren Alternative des Dualismus von Fortschritt oder Untergang, Natürlichkeit oder Entfremdung, Essentialismus oder Konstruktivismus. Sie arbeitet heraus, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur neue Technologien, sondern vor allem auch eine neue technische Rationalität durchsetzt, die den kognitiv-rationalen Ansatz der Newtonschen Wissenschaft und der auf ihr basierenden Technik ablöst.

Nicht mehr Kausalität, Wiederholbarkeit und die Spielregeln induktiver und deduktiver Logik sind das entscheidende Handwerkszeug von Wissenschaft und Technik, sondern eine Logik des systematisierten tinkerings beziehungsweise Bastelns, ein reflexiv gewordener Trial-and-Error. Diese Rationalität sei typisch für eine neue Ära und Wissensordnung, die sie mit Bezug auf Derrida und Latour als Technoscience benennt.

Beschleunigte Hybridisierung von Mensch und Maschine

Donna Haraway ist eine der ersten TheoretikerInnen, die darauf hinweisen, dass wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Herausbildung einer neuen Wissensordnung beobachten. Analysiert man technowissenschaftliche Praktiken genauer, stellt man unter anderem fest, dass die Suche nach universalen, überzeitlichen Naturgesetzen zugunsten der Entwicklung anwendungsorientierter Lösungen aufgegeben wird. Es gibt eine beschleunigte Hybridisierung von Mensch und Maschine beziehungsweise Tier und Mensch, und es setzt sich ein Verständnis von Natur und Organismen als flexible Baukästen durch.

Diese neue Episteme markiert Haraway zufolge einen fundamentalen Wandel – vergleichbar dem von der Neuzeit zum industriellen Zeitalter. Sie ist Signum einer neuen Epoche, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts formiert: “Technoscience zeigt eine historische Modalität an, ein Chronotop oder einen zeiträumlichen Ort, der ausschweifend ist, der über unbezeichnete Geschichte hinausschießt. Technoscience geht übermäßig weit über die Unterscheidung von Wissenschaft und Technologie hinaus, genauso wie über die von Natur und Gesellschaft, Subjekten und Objekten, dem Natürlichen und dem Künstlichen. Ich benutzte Technoscience, um eine Mutation in der historischen Erzählung zu bezeichnen, die den Mutationen, die im Chronotop von den europäisch-mittelalterlichen Chroniken im Vergleich zu den säkularen kumulativen Heilsgeschichten der Moderne aufscheinen, ähnlich ist.” So Haraway in ihrem wegweisenden Beitrag “Anspruchsloser Zeuge @ Zweites Jahrtausend. FrauMann©
trifft OncoMouse'”

Natur als Baukasten

Die Grundlage hierfür sei unter anderem ein biokybernetischer Naturbegriff, der die Modellierung des Lebendigen und die Übertragung der Bio-Logik auf Maschinen ermögliche. Statt essentielle Wesenheiten von Entitäten zu bestimmen, fokussiert dieser auf das Verhalten von Systemen. Die Idee der Repräsentation und Nachschöpfung von Welt, wie sie für die moderne Naturwissenschaft typisch war, wird aufgegeben. Natur wird nun als Baukasten, als modulares System interpretiert. Man kann sie in kleinste Teile zerlegen – nicht um sie nachzubauen, sondern um sie zu prozessieren, zu konvertieren und mit ihren eigenen Verfahren zu optimieren.

Welt wird damit als rekombinierbar und als weitgehend gestaltbar interpretiert. Technik – teilweise als künstliche Evolution gedacht – wird zum “Formproduzent[en], der ausprobiert, was geht” (Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, S.184.). Durch diese technischen Praktiken werden die alten Dualismen westlicher Kulturgeschichte wie etwa Natur/Kultur, Subjekt/Objekt oder aktiv/passiv dekonstruiert. Alte Vorstellungen von Handlungsfähigkeit oder Wirklichkeitsbezug werden verschoben, wenn zum Beispiel Maschinen aufgrund von Lernalgorithmen Handlungsfähigkeit zugeschrieben wird, wenn digitale Bildverarbeitung Bilder ohne Referenten hervorbringt.

Gleichzeitig werden diese Entwicklungen partiell wieder unsichtbar gemacht. So werden im Rahmen der Molekularbiologie und Genetik Organismen zwar als Baukästen und modulare Systeme beschrieben, doch gleichzeitig als Produkt einer natürlichen Natur begriffen. So beschreibt der französische Molekularbiologe Francois Jacob Organismen als historische Strukturen: als buchstäbliche Kreationen der Geschichte selbst.

Sie sind kein perfektes Produkt des Engineering, sondern ein Patchwork aus unterschiedlichsten Dingen, die sich aus unterschiedlichen Modulen zusammensetzen, die sich bei passender Gelegenheit immer wieder rekonfigurieren. Der Opportunismus der natürlichen Selektion reflektiert die wahre Natur eines durch und durch kontingenten historischen Prozesses.

Nicht Erkenntnisse zählen, sondern Innovation und Intervention

Letztlich ist es in diesen Zuschreibungen dann doch wieder die gute alte Mutter Natur, die sich die Verfahren der Rekombination ausgedacht und die zufällig zusammengewürfelten und rekombinierbaren Kreaturen durch natürliche Selektion hervorgebracht hat. Die differenten epistemologischen und ontologischen Grundlagen der Technoscience werden dadurch unsichtbar gemacht, dass man den neuen flexiblen, dynamischen Organismus nicht als Ergebnis einer neuen Modellierung, sondern als Produkt der Natur interpretiert. Der organologisch gedachte Körper des 18. und 19.Jahrhunderts wird durch den offenen Netzwerkkörper ersetzt.

Im Zeitalter der Technoscience sind Wissenschaft und Technik ununterscheidbar amalgamiert, und das Projekt der Erkenntnis ist eines der Innovation und Intervention geworden. Man will nicht die wirklichen Gesetze der Natur herausdestillieren und analysieren, sondern neue Welten bauen – eben ausprobieren, was geht. Diese Logik der Innovation, Intervention und Optimierung zeigt sich nicht nur in Algorithmen und Artefakten, sondern auch in Forschungsstrategien und Alltagspraxen.

Das reicht vom Körper-enhancement mit Hilfe von Schönheitschirurgie, Hormonen oder Neurodoping, dem empowerment politischer Bewegungen durch Soziale Medien (-Netzwerke) oder auch deren Massenscreening durch staatliche Institutionen und globale Konzerne bis hin zur Bestimmung und premediation politischer Entwicklungen oder ökonomischer Trends.

Von der thermodynamischen zur biokybernetischen Logik

Der Begriff der Technoscience beschreibt nicht nur die Verschmelzung von Technik und Wissenschaft, sondern auch die Verflechtung von Gesellschaft und Industrie. Für den Wissenschaftsforscher Bruno Latour kennzeichnet Technoscience alles, was irgendwie mit den Inhalten der Technowissenschaften zu tun hat: “egal wie dreckig, unerwartet oder seltsam sie erscheinen”. (Latour, Science in Action, S.174)

Die überwiegend von ihm, John Law und Michel Callon entwickelte Akteur-Netzwerk-Theorie geht davon aus, dass eine erfolgreiche Technowissenschaft mächtige Verbündete mobilisiert – eine Mobilisierung, die zu einem permanenten Mischungsprozess von Natur und Kultur, Technowissenschaft und Gesellschaft, menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren führt.

Es werden zunehmend Hybriden – Mischgestalten aus Natur und Kultur, Natürlichem und Technischem – produziert. Doch während Latour die Hybriden als logische Fortsetzung der Trennungspolitik der Moderne interpretiert, gehen Donna Haraway, der Soziologe Nikolas Rose oder der Technikhistoriker Paul Forman davon aus, dass die Hybriden und ihre rasante Ausbreitung die Durchsetzung einer qualitativ neuen Form der Technik signifizieren. Es findet ein paradigmatischer Wandel in Wissenschaft und Technik statt – von einer thermodynamischen zu einer biokybernetischen Logik.

Neue Phase der Biopolitik

Es werden auf bisher unbekannte Weisen Mensch, Tier und Maschine rekombiniert und dabei die klassische hierarchische Ordnung der Moderne auf den Kopf gestellt. Hybride wie die OncoMouse, eine genetisch veränderte Maus für die Krebsforschung, oder selbstlernende Roboter rekonfigurieren Konzepte von Technik, von Identität oder auch Vorstellungen von Sozialität.

Technik wird weniger als Werkzeug denn als Medium verstanden. Karin Knorr-Cetina spricht zum Beispiel angesichts der zunehmenden Beschäftigung der Menschen mit den heutigen flexiblen, transklassischen Maschinen auch von der Post-Sozialität heutiger Gesellschaften. Nikolas Rose sieht uns wiederum in eine neue Phase der Biopolitik eintreten.

Er identifiziert fünf entscheidende Mutationen in der Gegenwart – von der Molekularisierung und Optimierung bis zu Ökonomien der Vitalität. Angesichts der radikalen Veränderungen schreibt er: “Ich bin skeptisch gegenüber Ankündigungen von Epochenwenden, und es ist wichtig zu betonen, dass keine der zuvor [von Rose; JW] geschilderten Mutationen einen fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet: Jede ist zugleich Teil eines kontinuierlichen Prozesses wie eines Wandels. Nichtsdestotrotz würde ich rückschauend behaupten, dass wir eine Schwelle überschritten haben. Etwas qualitativ Neues entsteht in der Konfiguration, wie sie durch die fünf Mutationslinien geformt wird, und dieses Etwas ist wichtig für Menschen, die, wie ich, versuchen, eine Geschichte möglicher Zukünfte zu schreiben.” (Rose, The Politics of Life itself, S.7)

Feministische Technoscience Studies

Feministische Technoscience Studies fragen nach den sozialen und politischen Implikationen dieser Entwicklung – nicht zuletzt auch für die Geschlechterverhältnisse. Die meisten ProtagonistInnen feministischer STS waren und sind sich darin einig, dass Wissenschaft und Technik niemals neutral und zudem wesentliches Medium und Kampffeld post-/industrieller Gesellschaften sind. Mit Ausnahme des liberalen Feminismus, der für die Gleichstellung von Mann und Frau in der Wissenschaft kämpft, aber eine Vergeschlechtlichung der Normen und Ideale der Wissenschaft bezweifelt, geht sowohl ökofeministische wie postmoderne Erkenntniskritik von der Situiertheit jeglichen Wissens aus. Nicht nur die individuelle Lebensgeschichte, sondern auch die kulturelle, historische und politische Verortung der WissenschaftlerInnen führt zu einem ganz spezifischen Zugang zu und einer Interpretation von Wissen.

Dies stellt natürlich auch die Fundierung des eigenen Wissens in Frage und führt zu entsprechenden Aporien: Relativiert man den Wahrheitsanspruch der Wissenschaft, ergibt sich das Problem, wie die eigenen Wissensansprüche zu begründen sind. Dieser Zugang macht nicht nur die Reflexion der eigenen Erkenntnisstrategien und -perspektiven erforderlich, sondern die Entwicklung neuer epistemologischer, politischer und (reflektierter) rhetorischer Praktiken: “Positionierung impliziert Verantwortlichkeit für die Praktiken, die uns Macht verleihen. Politik und Ethik sind folglich die Grundlage für Auseinandersetzungen darüber, was als rationales Wissen gelten darf.” (Haraway, Die Neuerfindung der Natur, S.87)

Objektivität ist keine Frage eines vermeintlich neutralen Beobachters mit einem “View from Nowhere”. Feministische STS verabschieden sich damit vom “god-trick, positivistischer Arroganz” (Haraway, Die Neuerfindung der Natur, S.79), von Werten wie Neutralität und Unparteilichkeit, wie sie für die Newtonsche Wissenschaft typisch waren. Interessanterweise fordert feministische und generell die dekonstruktivistische Kritik das genau zu dem Zeitpunkt, an dem auch Werte wie Unparteilichkeit und Neutralität in den sich formierenden Praktiken der Technowissenschaften selbst zunehmend obsolet werden.

So operiert zum Beispiel die Robotik seit den 198oer Jahren mit Konzepten wie Situiertheit und Verkörperung – genau jene Kategorien, deren Absenz feministische STS kritisiert hatten – und wird damit eine post-newtonsche Wissenschaft, die zumindest in ihren Grundlagen und Praktiken den Anspruch auf Universalität und Objektivität größtenteils aufgibt. Gleichwohl beanspruchen auch heutige Technowissenschaften den Status eines Wahrheitsdiskurses.

Anm. d. Red.: Dieser Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung eines Beitrags zu dem Band „Science and Technology Studies – Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven.“ herausgegeben von Susanne Bauer, Torsten Heinemann, Thomas Lemke, der bei Suhrkamp erschienen ist.

Ein Kommentar zu “Feminismus und Technowissenschaften: Über Objektivität, Verantwortung und Macht

  1. Wow! Danke für diesen tollen und umfangreichen Essay zu einem so wichtigen Thema!

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