Europa reloaded: Was für Alternativen gibt es zu Google und Facebook?

In Zeiten der vielen Krisen in Europa wird es umso deutlicher: Wir brauchen intakte Vernetzungskulturen. Dazu müssen wir nicht zuletzt die Monopole der IT-Konzerne in Frage stellen: Was für Alternativen gibt es zu Google und Facebook? Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki sucht nach Antworten. Nachtrag, blau, 22.10.

*

Das Internet mobilisiert und katalysiert Themen auf eine bisher nicht dagewesene Art, besonders jetzt, da es sich in den letzten zehn Jahren zum Massenmedium entwickelt hat – das erste Massenmedium, das der Masse eine Stimme gibt. Das kann man mögen, oder nicht. Unabhängig davon ist eines klar: das Internet – als Raum und Infrastruktur – hat größte Relevanz für die Gesellschaft, im zunehmenden Maße auch deshalb, weil alle Bereiche davon absorbiert werden und umgekehrt.

Vor diesem Hintergrund muss es als seltsam erscheinen, dass Leute das Internet mit Google oder Facebook verwechseln. Offensichtlich wollen diese Webdienste die gesamte Interneterfahrung für sich einnehmen – mit wachsendem Erfolg. Einer unser Studenten sagt symptomatisch: „Ich bin eine Stunde am Tag online – da checke ich Sachen auf Facebook.“ Für zunehmend mehr Leute heißt das: Was nicht auf Facebook ist, existiert online nicht. Vielleicht existiert es gar nicht. Wir könnten das Gleiche über Google sagen, ganz besonders nach der Einführung seiner vielen Clouddienste und anderer Features, die zusammen eine vermeintlich alles erfüllende Welt bilden.

Ist das Internet identisch mit Google oder Facebook?

Dass Leute Facebook und Google für das Internet halten, spricht Bände. Nicht zuletzt ist es ein Hinweis auf ihre angebliche Rolle auf dem globalen Feld der Redefreiheit und öffentlichen Kommunikation: „Diese ‘korporativen gatekeeper’ sind wichtig, damit freie Meinungsäußerung gesichert bleibt“, wie Internetrechtsprofessor Jonathan Zittrain sagt. Ein weiterer Hinweis findet sich in Lehrbüchern zu Onlinejournalismus. Dieser wird heutzutage im Grunde als identisch mit Google-Journalismus konzipiert. Und wir können uns sicher sein: bald werden die Lehrbücher aktualisiert mit Anweisungen für die Optimierung von „Onlinejournalismus“ auf die Gegebenheiten von Facebooks Sozialem Netzwerk und Apples iPad. Die Frage bleibt jedoch bestehen: Was ist Onlinejournalismus? Was ist es, abgesehen von Google-, Facebook- oder iPad-Journalismus? Und was ist ein globaler, digitaler öffentlicher Raum? Was ist er, abgesehen von einem Reich, das Firmen lenken?

Allein die Tatsache, dass diese Fragen weitgehend unreflektiert und in öffentlichen Debatten unberücksichtigt bleiben, offenbart das Dilemma unserer Situation. Es klingt wie Science Fiction, aber zu Beginn des 21.Jahrhunderts ist das die Realität: Der globale öffentliche Raum wird privatisiert von einer Handvoll Firmen aus Silicon Valley. Und das Aufstreben der Konkurrenz in Russland und China macht die Lage nicht entspannter.

Mehr Menschen sollten heutzutage laut aussprechen, was etwa Internettheoretiker Geert Lovink in der Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung (ZMK) sagt: „Wäre es nicht an der Zeit, statt nur die Formel von der Gründung eines Unternehmens bis zur Entstehung eines Wirtschaftskollosus zu wiederholen, das Internet neu zu erfinden – als eine komplett unabhängige öffentliche Infrastruktur, die effektiv gegen die Dominanz der Firmen und staatliche Kontrolle ankämpfen kann?“

Krisen in Europa: Digitale Gesellschaften in Umbruch

Es ist an der Zeit über Alternativen nachzudenken. Die Suche nach diesen Alternativen kann natürlich auf viele verschiedene Pfade führen. Vielleicht kann man sich auf ein paar zentrale Hauptverkehrstraßen einigen: Zuerst brauchen wir Alternativen zu den digitalen Monopolisten wie Google und Facebook, weil wir den digitalen öffentlichen Raum nicht in den Händen von einigen Korporationen sehen wollen. Dies ist ein Politikum. Damit verbunden: der Ruf nach der Rückeroberung des Internet als öffentlicher Raum. Ja, wir brauchen Alternativen zur ungezügelten Privatisierung des digitalen Gemeinguts!

Nicht zuletzt brauchen wir Alternativen zur McDonaldisierung unserer Vernetzungskulturen. Immerhin tragen sie in sich die Landkarten für aktuelle und zukünftige Gemeinschaften. Statt das Internet auf eine simple Maschine zu reduzieren, die sich mit einem „Gefällt mir“-Knopf oder „Sucheingabe“-Feld bedienen lässt, müssen wir also fragen: Welches Potential hat das Internet als Katalysator für unsere Vernetzungskulturen? Was wir brauchen sind Alternativen, die über das Toaster-Paradigma der „simplen Maschine“ hinaus gehen und kreativere, uns ermächtigendere Möglichkeiten bieten, Menschen und Informationen miteinander zu verknüpfen.

Die vielfältigen Krisen in Europa machen die Suche nach Alternativen nur noch dringender. Nationaler Populismus und autoritäre Regierungen sind auf dem Vormarsch. Demokratien befinden sich in einer Abwärtsspirale – die Präsidenten entscheiden in ihren exklusiven Meetings über die Zukunft des Kontinents statt mit den Menschen zu sprechen, die sie repräsentieren sollen. Akademische Studien haben gezeigt, dass der eingezäunte und angebliche sichere Garten Facebooks diese populistischen Tendenzen verstärkt und als Werkzeug für extremistische Bewegungen dient. Analog dazu spielt Google jenen dunklen Strömungen in die Hände, die im apokalyptischen Europa die Gemeinschaften in Aufruhr versetzen – die letzten Debatten über die „Autocomplete“-Funktion der Suchmaschine und „illegale Suchmaschinenergebnisse“ haben das gezeigt.

Zuguterletzt geht es um den Einfluss von Algorithmen, die unser Leben angeblich einfacher machen. Und es geht darum, dass die Funktionalität dieser Algorithmen absolut intransparent für die Masse bleibt, die sie nutzt. Zunehmend geht es auch um den Fakt, dass Google und Facebook als selbsternannte Aushängeschilder von Freiheit im Internet offenbar existente Machtstrukturen reproduzieren – in dem Sinne, dass diese IT-Konzerne dau neigen, etablierte Illusionen über die Regimes der „alten Medien“ zu verstärken und gleichzeitig kein Problem damit haben, dem Hype über „disruptive Technologien“ zu frönen. Man muss sich nur Googles Transparenz-Bericht anschauen: Es gibt immer mehr Anfragen von Regierungen nach Userdaten. Auch von jenen Regierungen in Europa, die vermeintlich zunehmend weniger an demokratischen Werten interessiert sind, weil „in Krisenzeiten keine Zeit für Demokratie bleibt“.

Unter dem Vergrößerungsglas: Europa, Vielfalt

In Europa wächst das Bewusstsein für die digitale Monopolstellung der Unternehmen aus dem Silicon Valley. Diskussionen über den negativen Einfluss dieser Dominanz gibt es viele. Aber nur wenige derjenigen, die kritisieren, haben begonnen über Alternativen nachzudenken. Kaum jemand unternimmt etwas. Also: Was sind Alternativen zu Google und Facebook? Die Konferenz Digital Backyards behauptet: Ein weiterer IT-Gigant (aus welcher Region auch immer) kann nicht die Antwort sein. Die echte Alternative lautet: Vielfalt stärken.

1) Vielfalt auf der Ebene der Infrastruktur: wir brauchen ein dezentrales Internet!

2) Vielfalt auf der Ebene der Webdienste: wir brauchen eine Vielzahl von Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken, die auf spezifische Kontexte und Anliegen zugeschnitten sind!

3) Vielfalt auf der Ebene der Vernetzungskulturen: wir brauchen ein facettenreiches Spektrum von Praktiken dafür, wie Menschen und Informationen miteinander verknüpft werden!

Offensichtlich müssen wir irgendwo beginnen. Die geografischen Grenzen Europas können als sinnvoller Ausgangspunkt dienen. Wie unter einem Vergrößerungsglas offenbart diese Region die Situation unseres Planeten: Die Ressourcen für ein Gegenmodell zu der immer stärkeren Zentralisierung der Internet-Landschaft schlummern in der Vielfalt Europas selbst; doch die Herausforderung, diese Ressourcen über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zu erkunden und auszuschöpfen, werden bislang vernachlässigt.

Andererseits macht der regionale Fokus die Chancen und das Dilemma der Politik deutlich: Vielfalt zu stärken, kann nicht allein dem Markt überlassen werden, ebenso wenig dem guten Willen und langen Atem sozialer Bewegungen. Es bedarf eines rechtlichen Rahmens. Und die Anti-ACTA-Proteste haben uns daran erinnert, welche Rolle Brüssel dabei spielt.

Was können wir jetzt tun?

Ad hoc lässt sich das Internet nicht neu erfinden – das ist ganz klar eine langfristige Aufgabe – aber wir können Platz in unseren Köpfen machen und uns das Internet re-imaginieren: Ja, wir können darüber reden, wie das Internet sein KANN und SOLL. Zusätzlich können wir „Best Practise“-Beispiele aufzeigen, die das Internet auf eine politisch bewusste oder innovative Weise nutzen und auf diese Weise Vernetzungskulturen katalysieren, die über das Google- und Facebook-Paradigma hinausgehen: Suchmaschinen und Soziale Netzwerke, die die Privatsphäre erst nehmen (z.B. ixquick und Secushare), multilinguale Aggregationsplattformen (z.B. presseurop), die Menschen und Informationen über Sprachgrenzen hinweg zusammenbringen, so genannte Mesh Networks und andere bahnbrechende Formen dezentraler Vernetzung, darunter Konferenzen, die neue Formate zwecks Austausch, Begegnung und nachhaltiger Vernetzung entwickeln. Nicht zuletzt können wir darüber sprechen, wie wir unsere Kräfte unter den aktuellen Bedingungen vereinen können.

Bastlergaragen, korporative Brutstätten, institutionelle Labore, Hacker-Schlafzimmer und redaktionelle Außenposten – viele dieser digitalen Hinterhöfe entwickeln Projekte und Produkte, die darauf abzielen dem Wohle lokaler Gemeinschaften beziehungsweise der gesamten (Welt-)Gesellschaft zu dienen. Gezieltes Wachstum ist der Weg, dieses ambitionierte Ziel zu erreichen. In der heutigen digitalen Gesellschaft impliziert das augenscheinlich: Monopole zu kreieren – wie es Google, Facebook und andere tun. Nicht jeder kann oder will diesen Weg gehen. Also stellt sich die Frage: Gibt es Alternativen zu diesem bestimmten Muster der Skalierung? Wie kann man skalieren durch die Verwendung und Kultivierung der verteilten und dezentralisierten Natur des Internet?

Anm. d. Red.: Um über all diese Fragen zu sprechen, versammeln sich auf der Konferenz Digital Backyards (18.-20.10.) Journalisten, Aktivisten, Blogger, Forscher, Unternehmer, Kulturarbeiter und Programmierer aus mehr als 17 Ländern. Mehr zu der Kritik an Google und Facebook in unserem Dossier Netz-Giganten. Das Foto oben stammt von Luca Pedrotti und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

14 Kommentare zu “Europa reloaded: Was für Alternativen gibt es zu Google und Facebook?

  1. spannende sache! ich lebe in LA, deswegen kann ich nicht zu eurer konferenz kommen, klingt gut!

  2. die übliche kritik an den konzernen und die üblichen utopien einer gegenlösung – ich finde gut, dass das hier vermieden wird. wie daraus eine konferenz entsteht, übersteigt allerdings meine phantasy..

  3. I don’t believe in an alternative to Facebook. Or the interest of it. By focusing on Facebook as the archetypal service, developers only spend time trying to reproduce services that can only work in a centralized setup, because they’re made for that purpose, with an economic incentive to track users and eventually bring them to buy products.

    Financially, it makes no sense to even try to consider building an alternative. Grassroots means are not in economies of scale, but in the diversity of their infrastructures.

    A community can build its own alternative, and there are choices (Lorea, UnHosted, Friendica, StatusNet, Diaspora*…) but trying to achieve the same as a centralized platform is irrelevant. You can mimic the behavior of that platform, but the technology is inherently different: Facebook is built for surveillance and user tracking. Free software alternatives (I don’t see Hyves.nl as an alternative to Facebook, but a clone), on the other hand, provide a different technology, and a different focus.

    The technological difference can be seen from the perspective of Gilbert Simondon: non-free software produces products, and free software produces open systems, that can adapt, and evolve.

    The focus of free software alternatives is, obviously, geared toward freedom, autonomy, privacy, end-to-end, and democracy.

    *

    Regarding the topic of the conference: “WHAT ARE EUROPEAN ALTERNATIVES TO GOOGLE AND FACEBOOK?”

    I see two problems: (1) it implies that social networking platforms can be handled at country level. That is hopefully irrelevant (except if you like the Turkish proposal of logging-in with your State ID) as
    social networking is a function of people, not countries. (2) It suggests that corporations pave the way, but they’re only the most visible part of the development, by their sheer coverage of the online
    population, and their powerful marketing power.

    The second objection is accessory, but the first one is fundamental: by framing the question of social networking in geographical terms, more critical issues (digital divide, ownership of communications
    infrastructure, cultural diversity, Internet as public space, etc.) are simply occulted.

  4. Schade bloß, dass auf dieser Seite Facebook-Code ausgeführt wird.
    Aber vielleicht ändert sich das ja in naher Zukunft… ;)

    Danke für den Artikel.

  5. In Ergänzung zum dem bereits Gesagten im Hinblick auf die Frage: warum legen wir den Fokus auf Europa, wenn wir über Alternativen zu Google und Facebook sprechen?

    In Europa wächst das Bewusstsein für die digitale Monopolstellung der Unternehmen im Silicon Valley. Diskussionen über den negativen Einfluss dieser Dominanz gibt es viele. Aber nur wenige derjenigen die kritisieren, haben begonnen über Alternativen nachzudenken. Kaum jemand unternimmt etwas. Also: Was sind Alternativen zu Google und Facebook? Die Konferenz Digital Backyards behauptet: Ein weiterer IT-Gigant (aus welcher Region auch immer) kann nicht die Antwort sein. Die echte Alternative lautet: Vielfalt stärken.

    1) Vielfalt auf der Ebene der Infrastruktur: wir brauchen ein dezentrales Internet

    2) Vielfalt auf der Ebene der Webdienste: wir brauchen eine Vielzahl von Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken, die auf spezifische Kontexte und Anliegen zugeschnitten sind

    3) Vielfalt auf der Ebene der Vernetzungskulturen: wir brauchen ein facettenreiches Spektrum von Praktiken dafür wie Menschen und Informationen miteinander verknüpft werden

    Offensichtlich muss wir irgendwo beginnen. Die geografischen Grenzen Europas können als sinnvoller Ausgangspunkt dienen. Schließlich offenbart diese Region wie unter einem Vergrößerungsglas das Situation unseres Planeten: Die Ressourcen für ein Gegenmodell zu der immer stärkeren Zentralisierung der Internet-Landschaft schlummern in der Vielfalt Europas selbst. Doch die Herausforderung, diese Ressourcen über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, zu erkunden und auszuschöpfen, werden bislang vernachlässigt.

    Andererseits macht der regionale Fokus die Chancen und das Dilemma der Politik deutlich: Vielfalt zu stärken, kann nicht allein dem Markt überlassen werden, ebenso wenig dem guten Willen und langen Atem sozialer Bewegungen. Es bedarf eines rechtlichen Rahmens. Und die Anti-ACTA-Proteste haben uns daran erinnert, welche Rolle Brüssel dabei spielt.

  6. @Krystian: Deine Diagnose ist überzeugend, aber an der Therapie habe ich Zweifel. Wie drastisch der Politik und damit auch der Demokratie die Macht entglitten ist, zeigt das Finanzsystem. Vollkommen unkonkrolliert setzen die Banken Milliarden/Billionen in den Sand, die dann über die Steuerzahler sozialisiert werden. Auch die IT-Konzerne werden sich ungehemmt und ohne Rücksicht austoben können, allein dem Shareholder Value verpflichtet. Wer sollte sie bremsen?

    Assange und die Hacker haben gezeigt, so ganz ohne “Macht” sind wir, die Nutzer offenbar aber doch nicht. Immer wieder eröffnen sich (technische) Mittel des Widerstands. Kreativität wird verlangt. Das System muss unterwandert werden. Mit ihm und in ihm sind wir machtlos.

  7. das ist eine Analyse, manchmal klingt es doch anders, aber es ist ein ernster Versuch, dagegen, wenn ich die Berliner Zeitung lese, stehen da zum Beispiel solche Sätze:

    “Bislang wurde das INTERNET in den USA gemacht.”

    “Das INTERNET von morgen …. wird dagegen aus Berlin kommen.”

    Heute gelesen, Wirtschaftsseite 27./28.10.2012 Seite 9
    aufgeschriseben von JONAS REST

  8. Jihad-Experte und Clean-IT-Berater Asiem El Difraoui meint: “Man kann schon von Providern wie Google oder Facebook erwarten, dass sie eindeutig rechtswidrige Inhalte erkennen und entfernen. Ein Mordaufruf muss auch nicht acht Wochen lang auf Youtube zu sehen sein. Auf der anderen Seite bin ich kein Freund von groß angelegten Filter-Systemen. Wie die arabischen Revolutionen gezeigt haben, ist das Internet wichtig für freiheitliche Bewegungen. Es hat ein enormes Potenzial als politische Infrastruktur und als Demokratisierungs-Instrument. Systematische Eingriffe sind riskant.”

    http://irights.info/index.php?q=node/2312&Kategorie=Homepage

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.