Erster Tag: Die Anreise

Ich stehe in aller Herrgottsfruehe um vier Uhr morgens auf, um zum Flughafen in Sofia zu fahren. Von dort soll ich nach Frankfurt und dann nach Vilnius fliegen. Als mein Wecker losgeht, versuche ich das ungute Gefuehl in meinem Magen, das ich habe, weil ich noch nicht die Einzelheiten dieser Reise geplant habe und weil ich an meinem Reiseziel niemanden kenne, zu ignorieren.Wie auch immer, ich bin zu muede, um mir ernsthaft Gedanken zu machen, und irgendwie weiss ich, dass sich die Dinge von alleine regeln werden. Der Flug von Sofia nach Frankfurt scheint ziemlich normal abzulaufen – falls das bei fruehmorgendlichen Fluegen moeglich ist.

Ich daemmere zwischen schlafen und wach sein und werde jedesmal munter, wenn mein Ellbogen durch die Wagen der Flugbegleiter gestossen wird. Aber dann fragt eine Stimme aus der Sprechanlage, ob es einen Arzt an Bord gibt. Ein paar Minuten spaeter sagt sie, dass wir eine Notlandung in Muenchen machen muessen und das Flugzeug beginnt sofort zu landen. Zehn Minuten spaeter befinden wir uns auf bayerischem Boden. Sanitaeter laufen ins Flugzeug und helfen dem alten Mann, der einen Herzanfall hatte. Ein paar Stunden spaeter starten wir wieder Richtung Frankfurt. Als wir dort ankommen, renne ich in einer schweisstreibenden, verschlafenen Benommenheit ueber den Flughafen, gerade noch den Flug nach Litauen schaffend.

Als ich in Vilnius lande, folge ich den Informationsschildern, die – sozusagen in einer entmutigenden Enttaeuschung – an einem an der Wand angebrachten Telefonapparat enden. Ein ueberdimensionales Schild, auf dem >Information< steht, haengt darueber, mit einem Pfeil, der nach unten zeigt und das ganze noch mehr nach einem Witz aussehen laesst. Ich beschaeftige mich nicht mit dem Telefon und erhalte ein paar Anweisungen wie ich nach Palanga komme von dem nahegelegenen rent-a-car Schalter. Ich gehe nach draussen und sitze auf einer Bank, auf den Bus wartend, der mich zum Bahnhof bringen soll. Ein zahnloser Mann kommt zu mir und fragt mich, auf Russisch, wo ich hinfahre. Er bietet an, mich mit dem Taxi nach Palanga zu fahren, aber ich lehne ab. Der Bus kommt an und der Mann, jetzt einige Schritte von mir entfernt stehend, schreit ein paar Maedchen an, die auch in der Naehe herumsitzen, denen ich bisher jedoch keine Aufmerksamkeit schenkte. Sie kommen zu mir, der Mann sagte ihnen, dass ich Hilfe braeuchte, sagen sie. Eine ist ein Russisches Maedchen aus Litauen, die gerade aus Italien angekommen ist, die andere eine zypriotische Kuenstlerin, die, wie sich herausstellte, zum selben Sommercamp will wie ich. Das schlechte Gefuehl mit dem ich heute Morgen aufgestanden bin, verstaerkt durch die unwirkliche Notlandung, verfliegt und ich fuehle mich befreit von dem Gedanken, dass ich nicht damit konfrontiert bin, alleine nach Palanga zu kommen. Im Bus treffen wir auch einen jungen Iraker, der gerade angekommen ist, um in Vilnius die Universitaet zu besuchen. Es stellt sich ein sofortiges, wenn auch oberflaechliches, Gefuehl von Kameradschaft zwischen uns vieren ein. Das litauische Maedchen bringt uns zum Bahnhof und kauft Tickets fuer uns. Wir verbringen die 45 Minuten vor der Abfahrt unseres Busses, indem wir einen Crashkurs ueber litauische Geschichte, russische und litauische Identitaet und die Folgen der EU-Mitgliedschaft auf das Land erhalten. Eleni und ich verbringen die Busfahrt von Vilnius nach Palanga mit einer Unterhaltung, die aus einer Hoeflichkeit heraus beginnt, aber, in vier Stunden, zu allgemeiner Sympathie und Interesse heranwaechst, zumindest meinerseits. Wir erreichen den baltischen Urlaubsort um Mitternacht und laufen zum Hotel auf den dunklen, breiten, menschenleeren Buergersteigen der Stadt, die noch nass sind vom letzten Regen. Ich bin immer noch befluegelt von dem unerwarteten Treffen, als wir uns an der Rezeption anmelden und herausfinden, dass wir in der naechsten Woche Zimmergenossinnen sind. Keiner spricht von goettlicher Fuegung oder Schicksal. [Anm. d. Red.: Der Text ist waehrend des Transient Spaces Summercamps entstanden. Die Reihe wird in loser Folge in der Rubrik Reisen fortgesetzt.]

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