Warum gab es in Libyen keine Facebook-Revolution?

In Libyen hat keine Facebook-Revolution stattgefunden. Logisch, sagt man sich: Anders als in Tunesien und Ägypten gibt es dort ja auch so gut wie keinen Internetzugang. Verschwiegen wird, dass es dort mehr Mobiltelefone gibt als Menschen. Was aber zeigt: Die Technologien sind nicht das Allheilmittel. Auch nicht für soziale Bewegungen. Mit dieser Entzauberungsgeste eröffnete heute die NGO-Konferenz re:campaign in Berlin. Krystian Woznicki war für die Berliner Gazette dabei und kommentiert den Auftakt.

Gesellschaftliche Großereignisse wie Revolutionen müssen erzählt und erinnert werden. Dabei helfen häufig Motive, die die ganzen Komplexitäten auflösen, die Ursachen und Wirkungen auf einen Nenner bringen. Gestern waren dies Anführer mit charismatischen Namen und Gesichtern, heute sind es überwiegend Technologien.

Wir sprechen hier von der politischen Fantasie unter den Bedingungen der Digitalisierung. Das derzeit größte Ding dieses Plots: Der Umsturz der Diktaturen in Tunesien und Ägypten, der mit der vermeintlichen Hilfe des weltweit größten sozialen Netzwerks stattfand. Die Rede von der Facebook-Revolution im Maghreb ist Usus und inzwischen soweit akzeptiert, dass man das Ausbleiben eines vergleichbaren Phänomens in Libyen mit der niedrigen Internet-Verbreitung in diesem Land erklärt.

Man sollte sich nichts vormachen. So wie die Sache mit dem Führer immer nur die halbe Wahrheit war, entpuppt sich das technologische Narrativ bei genauerer Betrachtung ebenfalls als Illusion. Jillian C. York, Keynote-Speakerin der re:campaign, zeigte in ihrem Vortrag, wieviele unterschiedliche Organisationen in Tunesien tätig waren, um die Revolution möglich zu machen, wie stark die Zivilgesellschaft aufgestellt war, wie engagiert und nachdrücklich Themen wie Korruption über einen langen Zeitraum bearbeitet wurden.

Kurz: sie zeigte, was tatsächlich hinter den als “Facebook-Revolution” verklärten Aufständen steckte, nämlich selbstorganisierte Menschen mit einem oder mehreren starken Anliegen – nicht Technologien.

Patrick Meier, ebenfalls Keynote-Speaker der re:campaign, arbeitete heraus, dass im besten Fall nicht mehr als 10% den Technologien zu verdanken sei. 90% machen die Menschen aus: Motivation, Training, Organisation, etc. Ein entscheidender Hinweis, um jene Mythen, die sich um die jüngsten Umbrüche im Maghreb ranken, zu dekonstruieren und die Situation in Libyen mit den richtigen Fragen zu bearbeiten.

Kein “mobile phone mob” in Libyen?

In Libyen liegt die Internet-Verbreitung bekanntlich bei unter 5%. Mobiltelefone hingeben kommen auf 150%. Sprich: man kann von mehr als einem Mobiltelefon pro Einwohner ausgehen. Dies sind, mit Blick auf die jüngste Geschichte, optimale Voraussetzungen für eine soziale Bewegung.

Bevor das Mobiltelefon bei Hooligans und anderen situationistischen Interventionskulturen in Mode kam, schrieb es zu Beginn der 1990er Jahre in Thailand Geschichte: die revolutionären Massenaufstände während des “Black May” in Bangkok, die ich selbst miterlebte, wurden dem “mobile phone mob” zugeschrieben. Es dürften Geschichten wie diese sein, die den US-Soziologen Howard Rheingold zu seinem Buch “Smart Mobs. The Next Social Revolution” (2003) inspirierten.

Wir wissen, dass Handy und SMS ausgereicht haben, um so genannte Twitter-Revolutionen zu ermöglichen. Die Frage, warum in Libyen die Mobile Phone Revolution ausgeblieben ist und wir heute nicht den Smart Mob von Tripolis feiern, muss uns ratlos machen.

Es hilft nicht, einfach nur zuzugeben, dass die Verfügbarkeit von Technologien keine Revolution macht. Denn selbst wenn wir diesen Schritt tun, haben wir daran zu knabbern, dass wir nicht wissen, warum der Rest (die 90%, von denen Meier spricht) in Libyen nicht aufgegangen ist. Die Situation ist zu komplex, zu unterbelichtet.

Doch wollen wir tatsächlich wissen, was da wirklich los ist? Werden wir es jemals erfahren? Diese Fragen sind nicht nur angebracht, weil die Medien interessengeleitet berichten und wir schnell gelangt sind und uns meistens nur für uns selbst interessieren. Sondern auch, weil die journalistischen Formate des Speicherns und Erinnerns, nicht darauf ausgerichtet sind, Komplexität zuzulassen.

Wenn Facebook heute groß genug ist, um immer mehr Menschen an sich zu binden, dann zeigt sich an der Legende der Facebook-Revolution, dass die schiere Größe des sozialen Netzwerks auch ausschlaggebend dafür ist, unsere (politischen) Fantasien zu schlucken. Morgen, wenn wir aufwachen, sollten wir jedoch Projektionsflächen finden, die deutlich kleiner sind. Sie sind näher an dem dran, was Menschen selbst machen und von selbst bewegen können. Das wäre meine Lektion vom Auftakt der re:campaign. Ich glaube, nicht nur NGOs können damit arbeiten.

13 Kommentare zu “Warum gab es in Libyen keine Facebook-Revolution?

  1. Ich habe den Eindruck, der Begriff Facebook-Revolution wird inzwischen kritischer aufgenommen als z.B. noch 2009 im Iran (Twitter). Das kann aber auch eine perspektivische Täuschung meiner RSS-Feeds sein ;) – trotzdem fand ich die “Entzauberungsgeste” auch sehr gelungen.

    Zu Libyen darf man nicht vergessen, dass das Mobilnetz ja ebenfalls down war und umkämpft wird (siehe hier und hier). Am Ende der Entzauberung bleibt immernoch: Infrastrukturfragen werden in kritischen Momenten zu Machtfragen.

  2. ich war leider nicht da, weil ich mich nicht freinehmen konnte von meiner Arbeit in HH und lese gerade so unterschiedliche Berichte, und wundere mich: warum schreiben alle über die re:publica 11 aber niemand über re:campaign 11?

  3. eine interessante Sache, gut, dass es ein solches Forum gibt, schade aber, dass das so kurz ist, eine Woche wäre besser, mit Seminaren, Schulungen und so weiter, dann würde ich Bildungsurlaub beantragen.

  4. Eine Frage zu den “Kleineren Projektsionsflächen”, die du um letzten Absatz ansprichst: Gab es dazu Beispiele auf der re:campaign? Ich meine: Soziale Netzwerke hinter denen keine unternehmerische Idee steckt etc.?

  5. @DP: Wichtiger Punkt den du ansprichst mit dem Mobilnetz in Libyen. Deiner “Aussage Infrastrukturfragen werden in kritischen Momenten zu Machtfragen.” kann ich nur zustimmen und möchte ergänzend fragen:

    wenn man das nur auf Technik bezieht, dann frage ich mich bei einer dezentralen Struktur wie dem Internet: Was kann ich von “außen” machen (wenn in Tunesien die Dienste lahmgelegt werden und ich in Deutschland bin z.B.) um die Aktivisten zu unterstützen? Wie kann man in “revolutionären Momenten” also das Netz tatsächlich nutzen. Und ich meine nicht die Verstärkung der medialen Wahrnehmung der Proteste und ich meine auch nicht, dass ich mein Profilbild auf FB aus Solidarität ändere. Meine Frage geht in die Richtung: Gibt es Software-Entwicklungen/Anwendungen, die NutzerInnen von außen ermöglichen, Netzinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. (So wie Anonymous z.B. Software zur Verfügung stellt).

    Vielleicht wissen die Programmierer unter euch mehr!

  6. In Libyen handelt es sich um eine von außen organisierte Revolte, man könnte auch von einer Konterrevolution sprechen! Libyen ist das einzige Land in Afrika, wo die Arbeiter und Angestellten ihren Anteil am Ölreichtum erhalten. Das Einkommen beträgt 14.000 Dollar im Jahr, Netto! Libyen ist das einzig Land in der Welt, wo es eine funktionierende Basisdemokratie gibt. In jedem Oert gibt es Volkskommites, die wählen die Vertreter zur Nationalversammlung, dem Volkskongreß, dieser legt die Politik fest!
    Gesundheitswesen, alles vom Feinsten und kostenlos!
    Bildung auf höchstem Niveau und kostenlos!
    Wer heiratet, bekommt 12.000 Dollar Starthilfe!
    Wer eine Firma gründen will, erhält 50.000 Dollar Kredit, Zinsfrei!
    In Libyen arbeiteten mehr als 2,5 Mio. Gastarbeiter, davon mehr als 1,5 Mio. aus Ägypten und etwa 500.000 aus Tunesien. Man stelle sich mal vor, die würden alle in der Heimat den libyschen Weg wählen! In Tunesien war es wie auch in Ägypten jeweils eine Hungerrevolte! Die Gastarbeiter in Libyen haben mit ihren Geldüberweisungen zu Hause die Familien vor dem Hungertod bewahrt!
    Als im Dezember in Tunesien die Revolution begann, war kein westlicher Journalist vor Ort! Als die Konterrevolution in Libyen begann, waren sie alle da, wußten wann es los ging! Und die so genannten Demonstranten haben in der ersten Nacht staatliche Einrichtungen in Bengasi überfallen, niedergebrannt und zwei Polizisten ermordet! Solch Fakten werden gerne zurückgehalten! Ein Machtmonopol des Staates gigt es natürlich nur im Westen, in Libyen nicht! Die libyschen Sicherheitsorgane gingen gegen bewaffnete Kräfte vor, die westlichen Medien haben daraus ein Vorgehen gegen Zivilisten gemacht und fast alle glauben diese Lügen!
    Der Westen behauptete Gaddafi bombardiert die Bevölkerung und sie zeigen uns Krater im Wüstensand!
    So Pisageschädigt bin ich noch nicht, wie es die Machthaber haben möchten!
    Übrigens waren damals schon die Flüchtlingslager errichtet, bevor die Flüchtlinge da waren, komisch.
    In Syrien läuft es zur Zeit ähnlich. Zuerst die Flüchtlingslager und dann die Flüchtlinge! Und dank Wikileaks wissen wir, das die s.g. syrische Opposition aus den USA finanziert wird!
    Eines haben Libyen, Syrien und der Irak gemeinsam, sie alle haben Baathparteien, die in der Vergangenheit für einen geeinten antiimperialistischen arabischen Staat kämpften.
    Der Westen nie vergißt, wer mal auf der anderen Seite der Barikade gestanden ist!

  7. S.g. Redaktion,
    mein Wissen hab ich aus den Medien und von informierten Bürgern, zumal DDR Bürger z.B. als Ärzte dort Entwicklungshilfe leisteten!
    Als der Konflikt noch jung war, kamen auf Deutschlandfunk, NDR-info und der Deutschen Welle Wissenschaftler zu Wort, die über Fakten berichteten, die jetzt bei der Hetze gegen Libyen nicht mehr mitmachen! Weiterhin war auf arte ein Dokumentarfilm über die Erungenschaften in Libyen zu sehen (ich glaube noch im Februar!).
    Dann nutze ich noch Lexika.
    Schaut man sich zB. die Fernsehberichte vom 17. bis 25.2.an, sieht man, daß die Reporter schon vor Ort waren, als die Revolte anfing. Ein Zeltlager für zu erwartende “Flüchtlinge”(Gastarbeiter) stand schon bereit! In Tunesien und Ägypten nicht. Zufall? Nein! Ich habe damals bereits meinen Bekannten gesagt, das Syrien der nächste Staat ist, der destabilisiert wird! Denn eines haben der Irak, Libyen und Syrien gemeinsam- nicht Öl, sondern Baath-Parteien!
    Es waren diese Staaten, die einen panarabischen Traum hatten, einen freien arabischen, antiimperialistischen Staat. Gaddafi galt als Nachfolger von Nassar! Der Westen nie vergißt, wer mal auf der anderen Seite der Barikade gestanden ist!
    Jetzt hört man im Radio nur noch gleichgeschaltete Meinungen, außer am 20. April?, als der Nato-General a.D.Reinhart Verhandlungen mit Gaddafi forderte.
    In Bahain z.B. wurden etwa 30 Moscheen und geistliche Einrichtungen platt gemacht, einfach abgerissen. Es war im Radio zu öhren, man kann es aber nirgens nachlesen!
    Marc Thörner berichtete in seinen Berichten darüber, das Aufständische, die z.B. Schweizerdeutsch sprechen, afrikanische Gefangene ermordet haben, weil sie angeblich Frauen vergewaltigen wollten. Diese Unterstellungen reichen aus, um Menschen zu ermorden!
    Als in Bengasi die Revolte begann, wurde ein staatlicher Polizeiposten überfallen, dutzende Autos abgefackelt und 2 Polizisten aufgehängt, das kann man alles recherchieren, es macht blos keiner! In der Stadt wurden öffentliche Gebäude gestürmt und angezündet, man muß sich die Bilder nur richtig anschauen und die Kommentare ignorieren. Die Fernsehbilder zeigten Löcher im Wüstensand und der Reporter sprach von Angriffen auf die Bevölkerung! So einfach funktioniert Manipulation!
    Das Beste zum Schluß, die Aufständischen durften ja vor laufenden westlichen Kameras Krieg spielen, sprich ballern, einfach so in die Luft. Blos die Geschosse kamen wieder runter und es gab Opfer!
    Auch in der Türkei waren die Zeltlager für Flüchtlinge aus Syrien schon gebaut, bevor die ersten Flüchtlinge da waren. In Syrien gibt es einen Befehl, nicht auf Zivilisten schießen, nur wenn man angegriffen wird. Aber das interessiert keinen! Es soll nicht interessieren! Dank Wikileaks wissen wir (wer es wissen will), daß die s.g. Opposition in Syrien aus den USA bezahlt wird! Immer wenn sich Journalisten auf Menschenrechtler beziehen (hörensagen!) sind offensichtlich bezahlte Leute im Spiel!
    Mit freundlichen Grüßen!

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