Entdecker-Spirit

Die erste Begegnung mit einem Aquarium geht auf meine Kindheit zurueck. Ich war in einem Schweizer Zoo und sah dort ein sehr grosses Aquarium. Eines dieser Aquarien, die man meterlang durch den Raum abschreiten kann. Fuer mich war das pure Immersion. Auf ganz andere Weise taucht das Aquarium in meinem Lebensabschnitt als Kurator und Kunsthistoriker wieder auf.

Besonders in der neueren Skulptur spielt es ja eine besondere Rolle. Beispielsweise in dem Werk von Jeff Koons. Seine >Equilibrium Tanks< habe ich in den 1980er Jahren in London gesehen, da war ich Anfang 20, noch Student. Diese Skulpturen waren bei Saatchi ausgestellt: Kaesten, die wie ein Aquarium mit Wasser gefuellt sind und in deren Mitte Basketbaelle schweben. Koons war damals mit unterschiedlichen Wissenschaftlern in Kontakt, u.a. dem Physiker und Nobelpreistraeger Richard Feynman. Diese Aquarien haben in den 80er Jahren fuer viel Aufsehen gesorgt und natuerlich viele Kuenstler beeinflusst. Etwa Damien Hirst. Seine Arbeit >The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living< zeigt einen Hai in einer mit Formaldehyd gefuellten Vitrine. Aber auch bei anderen Kuenstlern, die man in den 1990er Jahren zu der Bewegung der Young British Artists rechnete, spielt das Aquarium eine besondere Rolle. Ich moechte ein Beispiel geben: Bei der Arbeit von Time Noble und Sue Webster >Ornament [in crisis]< sieht man seinen Kopf in einem Aquarium. Es ist keine Computermanipulation. Er taucht tatsaechlich seinen Kopf in ein Aquarium mit netten roten Fischen. 18 Minuten lang. Er ist dabei fast ums Leben gekommen. Das hatte schon was Aktionistisches an sich. An dieser Stelle sollte man allerdings nicht vergessen, dass Katharina Fritsch noch viel frueher als Hirst auf aehnliche Weise einen Hai in einem Aquarium ausstellen wollte. Sie hatte vor das in der Kunsthalle Basel zu machen. Es blieb allerdings aus budgeteren Gruenden ein unrealisiertes Projekt. Aber auch die Arbeiten juengerer Kuenstler sind in diesem Zusammenhang interessant. Anri Salas Film >Nocturnes< etwa zeigt zwei Maenner, die ueber ihre Existenz sprechen. Einer von den beiden besitzt ein tropisches Aquarium: eine hart umkaempfte Welt. Sein obsessives Schweigen begegnet dem Schweigen der Fische; es kommt zu einer postsymbolischen Kommunikation. Taryn Simons Arbeit >Sepia Officinalis< waere ein weiteres Beispiel. Ich habe die Kuenstlerin eingeladen bei einem Projekt in Texas teilzunehmen. Das Resultat: eine photoskulpturale Installation von vier Aquarien mit je einem Tintenfisch, dessen Haut sich dem photographischen Grund des Aquariumus anpasst. Es wundert nicht, dass das Aquarium eine so prominente Rolle in der juengeren Kunst spielt: Es ist ein Gefaess, also etwas, das Raum bietet und darin etwas aufnimmt. Gleichzeitig ist es ein System, das komprimiert. Zudem ist es ein System der Beschraenkung. Besagte Arbeit von Katharina Fritsch interessiert mich in besonderer Weise. Ich habe eine Schwaeche fuer unrealisierte Projekte. Im Kunstkontext gibt es naemlich sehr wenig Wissen ueber unrealisierte Projekte, selbst von sehr bekannten Kuenstlern weiss man diesbezueglich wenig. Vor diesem Hintergrund verfolge ich das Vorhaben, eine Grossausstellung mit all diesen unrealisierten Projekten zu machen, habe dazu auch schon ein Buch mit dem Titel >Unfinished Roads< gemacht und die >Agentur der unrealisierten Projekte< gegruendet, die sich zur Aufgabe macht solche Projekte zusammen zu tragen, zu archivieren, sichtbar zu machen. Hier gibt es zahlreiche Projekte, die mit dem problematischen Medium Wasser zu arbeiten versuchen. Aber sie sind wenig bekannt. Ganz anders die Situation im Architekturkontext. Die Architekturgeschichte wird zu grossen Teilen durch unrealisierte Projekte geschrieben, die dann aber veroeffentlicht und irgendwann - via diese Oeffentlichkeit, die die Publikation herstellt - gebaut werden. Die Metabolisten sind in diesem Zusammenhang sehr interessant. Eine Bewegung, die in den 1960er Jahren mit Architekten und Stadtplanern wie Kisho Kurokawa, Kiyonori Kikutake, Fumihiko Maki, Sachio Otaka und Noboin Kawazoe ins Leben gerufen worden ist. Und die, folgt man Freeman Dysons futurologischer Diagnose vom biologischen Zeitalter, auch heute noch sehr aktuell ist. Die Metabolisten verfolgten Idee einer Symbiose von Kunst, Architektur und Natur und von der Stadt als lebendiger Prozess, gestaltbar ausschliesslich durch flexible, erweiterbare Grossstrukturen. Von Kurokawa gab es sehr viele Projekte mit Wasser, etwa die >Helix city< beziehungsweise >Floating City<, wie sie auch immer genannt wurde, weil es eine Stadt auf dem Ozean sein sollte. Kikutake wiederum entwarf die >Marine City Project< sowie eine urbane Utopie der >Ocean City<. Die kuenstliche Insel >Aquapolis< liess er anlaesslich der Weltausstellung 1975 bauen. All dies soll dokumentiert werden in einem Buch, das ich gemeinsam mit Rem Koolhaas mache: ein Portrait des Metabolismus, dem zahlreiche Trialoge und Recherche-Reisen zu Grunde liegen. Mit der Rolle von Wasser habe ich mich allerdings schon frueher beschaeftigt. In >Cloaca Maxima< etwa, einer Ausstellung, die ich 1994 im Museum der Stadtentwaesserung in Zuerich kuratierte. Hier drehte sich alles rund um das Ausscheiden von Nahrungsmitteln, Defaekation, Toiletten und Kanalisation. Fischli und Weiss zeigten ihr wunderschoenes Kanalvideo: meditationsmaessig geht es darin durch diese endlosen Kanaele. Ab und an taucht eine Ratte auf, aber nur selten. Hans Haacke erfand eine Arbeit, bei der ein Wasserreinigungssystem ins Museum verlegt wurde: Wasser wurde im Ausstellungsraum gereinigt! Alan Karpow war auch dabei, ein Kuenstler, der das Medium Wasser in all seinen Aggregatszustaenden immer wieder in seinen Arbeiten einsetzt und reflektiert. Aber auch juengere Kuenstler wie Carsten Hoeller, Andreas Slominski oder Peter Fend haben sich mit Wasser auseinandergesetzt. Fend beispielsweise hatte eine neue Fahne der Schweiz entwickelt, die mit Wasser und den Wasserlinien des Landes zu tun hatte. Es war eine sehr nachhaltige Ausstellung. Immerhin ging darum, an dem Ort, an dem Wasser gereinigt wird, dieses Medium kuenstlerisch zu reflektieren. Vor meinem Wechsel nach London an die Londoner Serpentine Gallery, wo ich seit einigen Jahren als Direktor taetig bin, habe ich in Paris eine Ausstellung mit Pierre Huyghe gemacht, die auf seinen Recherchen in extreme Zonen, wie Polargebiete basierte und die sich mit Klimawandel und dem Schmelzen der Polkappen und dem sukzessiven Anstieg des Meeres beschaeftigte. Das Ganze hatte etwas von einer Expedition. Darin koennte eine Zukunft der Ausstellung liegen. Zumindest in Bezug auf das Thema Wasser. Die Idee einer Gruppenausstellung als Expedition halte ich jedenfalls fuer sehr reizvoll. Ein anderer Ansatz waere die Floating City der Metabolisten als Ausstellung in Szene zu setzen, uebrigens vielleicht noch die konkreteste Moeglichkeit diese Utopie zu verwirklichen. So wie auch die Ausstellung als Format Dinge zu denken und zu artikulieren als Experimentierfeld zu begreifen ist. So oder so: Mein Schaffen bleibt am Horizont der Kuenstlerinnen und Kuenstler orientiert.

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