eHealth – der digitale Weg zur kollektiven Ermächtigung im Gesundheitswesen?

Das Internet hat sich im Gesundheitswesen als effizientes Werkzeug durchgesetzt, beispielsweise um Patienten zu informieren oder um Menschen zu helfen, die fit bleiben wollen. Kann es mit Hilfe des Netzes zu einer kollektiven Ermächtigung im Gesundheitswesen kommen? Die Autorin Claire Hesse-Davis verschafft sich einen Überblick.

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Der Begriff eHealth (eGesundheit) beschreibt u.a. die Möglichkeit, Lösungsansätze und Präventivmaßnahmen rund um das Thema Gesundheit im Internet bereitzustellen und zu recherchieren. Dass das kleine ‚e‘ für electronic steht, liegt auf der Hand. Man kann das ‚e‘ jedoch auch auf andere Art interpretieren: als ‘e’ für empowered (dt.-ermächtigt). Schließlich bedarf es für die eigenständige Suche und Ermittlung von Krankeitsursachen, Symptomen, Therapiemethoden, oder auch allgemeinen Informationen zur optimalen Gesundheit eine entschlossene Person, die sich darin befähigt fühlt, selbstständig nach Wegen zu suchen um Krankheiten zu bewältigen.

Auch vertraut ein „ermächtigter“ Patient in die eigene Urteilsfähigkeit, um für sich selbst entscheiden zu können welche Verfahren in Frage kommen und welche nicht. Der ePatient setzt auf Entscheidungsfreiheit: Er will eine Auswahl an Möglichkeiten zur Verfügung gestellt haben und aus diesen etwaige Vor- und Nachteile abwägen sowie Erfahrungsberichte in Betracht ziehen können.

Zu den gängigsten Plattformen für ePatienten gehören hierzulande wohl die Internetportale Jameda und NetDoktor. Jameda ist Deutschlands größte Online-Arztempfehlung, die über 250.000 eingetragene Ärzte und fünf Millionen Patientenfeedbacks verfügt. Eine passendere Beschreibung wäre wohl Arztbewertung, denn hier können Nutzer ihre Ärzte subjektiv mit einem bis fünf Sternen bewerten und je nach Erfahrung Lob oder Kritik in einem kurzen Text zum Ausdruck bringen.

Ein System, das Ärzten via Schneeballeffekt ein lukratives Geschäft bescheren, jedoch im Zuge des gleichen Mechanismus auch enormen Schaden für ihren Ruf bedeuten kann. Das unabhängige Infoportal NetDoktor fokussiert die Bereitstellung von Informationen, Artikeln zu aktuellsten Gesundheitsthemen und einer Nutzergemeinschaft, die zu spezifischen Krankheiten eigene Fragen ins Portal stellen kann und mit großer Wahrscheinlichkeit zahlreiche Antworten von Leidensgenossen bekommen. Dieses Format, ebenso wie jenes von Jameda, stützt sich überwiegend auf Partizipation und Produktion von Besuchern der Portale.

Internet als Heilmittel bei Schwerstkranken?

Dass die ePatientenbewegung tatsächlich Erfolgsgeschichtenaufweisen kann, lässt sich inzwischen an einigen Fällen festmachen. Als Pionier der Bewegung könnte man wohl Dave deBronkart alias „ePatient Dave“ betiteln. Als er im Jahr 2007 mit Schulterbeschwerden zum Arzt ging und letztendlich mit bösartigem und fortgeschrittenem Nierenkrebs diagnostiziert wurde, sahen die Chancen zunächst überwältigend schlecht aus: Er glaubte nicht viel mehr als etwa 24 Wochen überleben zu können und begann bereits seine Familie auf den Tod, den er als unvermeidbar betrachtete, vorzubereiten. Erst als er von seinem Arzt an die online-Krebspatientengemeinschaft acor.org weitergeleitet wurde, fing er an Hoffnung zu verspüren.

Unter Gleichgesinnten stieß er auf unbezahlbar wertvolle Informationen– er erfuhr hier nicht nur, dass Nierenkrebs eine extrem seltene Erkrankung ist, die einen Spezialisten bedarf, sondern auch von einer unbekannten Behandlungsmethode, die in gewissen Fällen Erfolge erzielte, sowie die Adressen und Telefonnummern der Ärzte in seiner Umgebung, die diese Behandlung anboten. Überraschend schnell ging es während dieser Behandlung, von denen seine anderen Ärzte noch nicht einmal gehört hatten, für deBronkart aufwärts. Aufgrund der Tatsache, dass er sein Leben zu einem erheblichen Maße der Patientengemeinschaft verdankt, setzt er sich bis heute für die Genehmigung von Patienteneigeninitiativen ein – in seiner TedxTalks Rede „Let Patients Help“ schildert er seine Beweggründe.

Eine Person, die ebenfalls Rettung im Web 2.0 fand, wenn auch auf andere Art und Weise, ist Saskia Davidse. Sie erhielt ebenfalls im Jahr 2007 eine trübe Diagnose: Multiple Sklerose. Die Kommunikationstudentin nutze zunächst ihren Blog und Social Media um ihren Schicksalsschlag zu verarbeiten. Später jedoch, als sie sich nach Krankenhaus- und Rehaufenthalten wieder zu Hause befand und nicht in die Öffentlichkeit gehen konnte, erlaubten ihr Social Media sich wieder ein Stück weit in die Gesellschaft zu integrieren. Sie selbst bekräftigt: „Twitter wurde zu meiner Rettungsleine zur Außenwelt“ – psychologisch gesehen eine beträchtliche Abhilfe. Ihr Blog dient ihr auch dazu anderen MS Patienten Hoffnung zu spenden und zu informieren, aber auch allgemein über das Thema aufzuklären. Inzwischen ist Davidse noch weiter in die Welt von eHealth eingetaucht: sie hat nun eine digital healtchcare declaration und bestellt bei eFarma abgepackte und portionierte Pillen, die ihr nach Hause geliefert werden.

Widerstand und Missmut innerhalb des Gesundheitswesens

Digitalen Gesundheitsinitiativen als blühendes Geschäft stehen nicht wenige Hindernisse im Weg. Saskia Davidses Einstieg bei eFarma, beispielsweise, ging ebenfalls nicht reibungslos vonstatten. Eine perplexe, wenn nicht gar abgeneigte Reaktion ist zu erwarten, wenn dem Arzt das erste Mal ein digitales Rezept vorgelegt wird. Alte Muster sind nun einmal schwer zu durchbrechen, das gilt auch für Gesundheitsexperten, die sich an die Bequemlichkeit ihrer Alltagsroutine gewöhnt haben.

Auch wird von Ärzten oft eine paternalistische Haltung gegenüber engagierten Patienten gezeigt. Es kann von ihnen als störend bis hin zu nervend empfunden werden, wenn eine nach außen hin unqualifizierte Person Vorschläge macht, sich kritisch äußert und selbstbestimmt mit der eigenen Krankheit umgeht. Ob es nun am Stolz der Gesundheitsexperten liegt, oder an der Überzeugung dass Patienten ahnungslos seien, beides verhindert die Ermächtigung des Patienten, die mit der Devise von eHealth einhergeht.

Finanzielle und bürokratische Hindernisse sind ebenfalls nicht zu missachten. Die meisten 2.0-Initiativen sind abhängig von Subventionen und bekommen Zuschüsse nur für neue Ideen. Dies stellt ein Problem dar, denn so werden Projekte, die sich als wirkungsvoll bewährt haben oft nicht ausgebaut und vernachlässigt, während immer neue hinzukommen, die ebenfalls nur bis zu einem gewissen Punkt entwickelt werden. Auch gibt es von Seiten der Behörden und Gesundheitsdienstleister Unsicherheiten bezüglich der Regulationskonformität.

Es gibt noch immer Gesetze, die das aufblühen von Health 2.0 behindern. Solange diese bestehen, wird das Potential der Bewegung limitiert bleiben. Fraglich ist außerdem, ob genügend Menschen den Service bei der Aktivierung von einer 2.0-Initiative in Anspruch nehmen würden. Momentan sind bei gängigen Online-Dienstleistern nur etwa 2% der Nutzer aktiv – d.h. sie produzieren Online-Material in Form von Beiträgen, Kommentaren, Fragen und dergleichen; der Rest der User zieht seinen Nutzen aus dem dargebotenen Material ohne sich selbst zu beteiligen.

Nicht zuletzt müssen Krankenhäuser vorsichtig sein, wenn es darum geht neue Technologien einzuführen oder sich an Initiativen zu beteiligen. Es dauert seine Zeit, bevor sich die qualitativ hochwertigen herauskristallisieren. Bis dahin müssen Krankenhäuser wählerisch sein, denn finanzielle Investitionen in unausgereifte Produkte sind nicht tragbar.

Gesundheitsfürsorge qualitativ steigern

Health 2.0 legt großen Wert auf einen interaktiven und informierten Patienten, diese Prämisse vergrößert unter anderem die Wahrscheinlichkeit von digitalen und für ihn zugänglichen Patientendossiers. Gerade dieser Aspekt der Patienteneinbindung ist bei Betroffenen oft gefragt, jedoch behaupten Leistungserbringer und IT-Hersteller, dass dies nicht erforderlich sei. Gleichwohl, belegt die einjährige Studie OpenNotes der Robert Wood Johnson Foundation Anderes: Nach einem Jahr uneingeschränkten Zugangs zu den Aufzeichnungen ihres Arztes gab es von Seiten der Patienten überwältigend positives Feedback; 99 % der Teilnehmer wollten das Verfahren danach weiterführen. Außerdem behauptete die Mehrheit, dass sie ihre zukünftige Arztwahl nach diesen Kriterien richten würden. Und auch die Ärzte trugen keinen Schaden davon.

Sehr wichtig ist die Frage danach, wem die Patientenakten gehören, beziehungsweise wem sie zustehen sollten. Transparenz der Daten ermöglichen die Interaktivität von Patienten und Gesundheitskonsumenten, diese wiederum hilft die Gesundheitsfürsorge qualitativ zu steigern. Es ist ignorant sich an dem Gedanken aufzuhängen, dass es keine Vorteile bringt, den Patienten auf den neuesten Stand seiner eigenen Gesundheit zu bringen. Wenn alle Parteien des Gesundheitswesens, einschließlich der Patienten, gleich informiert sind und Zugang zur Krankenakte haben, können sie eventuelle Fehler, die darin enthalten sind, entdecken. Die Vermeidung von Kunstfehlern könnte somit radikal verbessert werden, denn bedauerlicherweise sterben hieran noch immer tausende Patienten jährlich.

Zusätzlich könnte mehr Transparenz in den Bereichen Kosten, Optionen und Alternativen sowie allgemeine Infektions- und Sterblichkeitsraten helfen Geld zu sparen und klügere Entscheidungen zu treffen. Erste Schritte der eHealth-Bewegung, die Patientenpartizipation und Konsumorientierung ermöglichen sind schon im Gange. Beispielsweise wurde bei einigen Webseiten bereits der „Blue Button“ (eine blaue Schaltfläche) eingeführt, die signalisiert, dass man seine eigenen medizinischen Daten herunterladen kann.

Gesundheitswesen, ein Gemeingut des Volkes?

Wie Werner Slack, Oberarzt an Dave de Bronkarts Klinik, seit Jahren beteuert, sind Patienten die am wenigsten genutzte Ressource in der Medizin. Health 2.0 und die digitalen Entwicklungen im Gesundheitswesen könnten das System tatsächlich revolutionieren. Durch digitale Effizienz wie Online-Terminvergaben, Online-Patientendossiers und Online-Rechnungszahlungen kann die Gesundheitsindustrie ihre Produktivität steigern. Durch Abschaffung der Informations-Black-Box, die in den Bereichen der Patientenakten, Behandlungsmöglichkeiten und Alternativen noch nahezu allgegenwärtig ist, kann aus dem Gesundheitswesen ein Gemeingut des Volkes werden. Man kann so viel festhalten: es entwickelt sich ein gemeinschaftliches und unterstützendes Miteinander, das von Informationsaustausch, Transparenz und Autonomie bestimmt wird und in Richtung einer vernetzten Gesundheit schreitet.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in dem Buch Gesundheit 2.0 (transcript Verlag). Das Themenspektrum des Buchs reicht von offener Kommunikation, Transparenz und Partizipation über elektronische Gesundheitsdossiers und medizinische Gesundheitsdaten bis hin zu Online-Patienten-Communities, Telemedizin oder eBeratung. Die Fotos stammen von Leo Hidalgo und stehen unter einer Creative Commons Lizenz (cc by 2.0).

7 Kommentare zu “eHealth – der digitale Weg zur kollektiven Ermächtigung im Gesundheitswesen?

  1. Danke für diesen informativen Text. Eine Sache lässt mir keine Ruhe was das eHealth-Konzept angeht. Da ist also alles geklärt, es scheint nur so , denke ich. Mal ein Beispiel. Woran merkt man, dass man Hämorrhoiden hat? Worduch bekommt man welche? Welcher Arzt ist hierbei Ansprechpartner? Wenn ich etwas ahne, wenn ich einen Verdacht und auch einen Begriff dafür habe, dann kann ich im eHealth-Verfahren weitermachen. Aber was wenn ich diesen ersten Hinweis nicht habe? Und noch weiter einen Schritt zurück: Was wenn ich davon erst in 10 Jahren betroffen sein werde? eHealth bedient mich und mein persönliches Leiden. Aber das gesunde Kollektiv, dass weder Leiden noch eine Ahnung davon hat, wird von eHealth nicht bedient. Zurück zum Beispiel: Hämorrhoiden gelten als eine Art Volkskrankheit, doch das Volk hat keine Ahnung, ausserdem ist es ein Tabu. eHealth hilft da nicht weiter!

  2. na ja, die traditionellen “Health”-Institutinen haben für sowas wie Hämorrhoiden-Leiden (es heisst übrigens so und nicht Hämorrhoiden, denn das hat jede/r) auch kein Rezept.

  3. @Roger: Das ist wohl so und wer sagt schon: hey, schaut mal, das Gesundheitswesen ist perfekt, man könnte wirklich nichts besser machen. Aber der Einwand sist schon ganz richtig: Wenn die eHealth-Szene sagt, wir sind neu, wir machen es anders, wir sind besser, dann müssten die auch auf sowas wie Hämorrhoiden-Leiden eine Antwort haben.

  4. Danke für eure Kommentare.
    Ich denke, es ist wichtig zu vermerken, dass die Entwicklungen im Bereich eHealth nicht darauf abzielen das Gesundheitswesen komplett zu ersetzen. Vielmehr werden ergänzende Informationsquellen und Hinweise geboten. Vorsorgeuntersuchungen und ärztliche (qualifizierte) Beratungen werden wohl immer ein notwendiger Bestandteil des Gesundheitswesens bleiben.
    Ich finde es aber interessant, dass das “Tabuthema” mit der angeblichen Nutzlosigkeit von eHealth in Zusammenhang gebracht wurde- denn gerade was sensible Themen angeht, kann die Anonymität des Internets dem Leidenden meiner Meinung nach den Mut geben, sich zu seinen Problemen zu äußern. Auch erlauben Patientengemeinschaften für ein Gefühl des Zusammenseins, wodurch sich das Schamgefühl des jeweiligen durchaus verringern könnte. Es ist schon fast ironisch, dass es die digitalen Gesundheitsdienstleistungen sind, die die menschliche Komponente hervorheben bzw. für die seelische Unterstützung des Kranken aufkommen.

  5. @CHD #5: apropos “Anonymität des Internets”… wie anonym kann man sich fühlen, ist man/frau wirklich, nachdem Edward Snowden enthüllt hat, dass die kommerziellen Webdienste mit den Geheimdiensten zusammenarbeiten und sich damit andeutet, dass auch ansonsonsten viel Datenhandel getrieben wird ohne das User davon jemals erfahren?

  6. Hallo, vielen Dank für diesen tollen Artikel Frau Claire Hesse-Davis. Auch Eure Kommentare find ich gut und ich möchte Euch gerne auf meine Startup-seite http://www.medinout.com einladen. Unser Startup soll einmal die Lösung zum Artikelthema eHealth im Web sein. Eine unabhängige Institution, auf der alle Menschen Gesundheitswissen interdisziplinär vergleichen können, erfolgreich gelöste Realfälle nachlesen können und dann in einer Standortsuche anhand eines Beschwerdebegriffs die Therapeuten (und Ärzte) finden wird, die zu so einem Beschwerdebild schon einmal einen realen Fall erfolgreich gelöst haben!
    Wir sind ein kleiner Haufen Therapeuten, Ärzte und Humanisten.

    Wenn Euch unser Projekt gefällt würden wir uns über ein like auf Facebook oder einen tweet sehr freuen, vielleicht berichtet ja auch Frau Claire Hesse-Davis einmal über uns in der Berliner Gazette !?!

    Alles Gute für Euch! @iTherapeut – W. F. Mosebach

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