Du bist das Netz

Es war 1999, Dezember. Draussen war die Hamburger Speicherstadt und das, was man auch bei uns einmal die >New Economy< nannte, war noch am Leben. Drinnen sassen genau die sieben Personen, die fuer eine ordentliche deutsche Vereinsgruendung notwendig waren und beschlossen die Formalisierung des kleinen, aber feinen Erfolges, der fuer politik-digital bereits vor der Bundestagswahl 1998 begonnen hatte. Die Ziele waren hoch, die Plastikwoerter biegsam: als >verlagsunabhaengige und parteienuebergreifende Informations-, Kommunikations- und Partizipationsplattform< wurde die >Entwicklung der digitalen Informations- und Wissensgesellschaft< anvisiert. e.V. - Here we are now, entertain us.

Mit einer gerade veroeffentlichten Dissertation ueber >Politische Projekte im Internet< im Gepaeck setzte sich fuer mich als eins der sieben Vereinsmitglieder ein Diskurs mit Personen, Aktionen und Institutionen fort, die das Internet und seine politisch-kulturelle Bedeutung fuer die gerade nach Berlin umziehende Republik bereits erkannt hatten. In den analogen Grundfesten des Elfenbeinturms hatte man sich in jener Zeit als Quoten-Forscher bei Konferenzen und Tagungen zumeist fuer die Schlechtigkeit der virtuellen Welt zu verantworten - zu viel Datenmuell, zu wenig Substanz, keine Reichweite, fehlender >Impact<. Und ausserdem galt das Internet als Modeerscheinung, die das >next big thing< ohnehin von der Medienagenda verdraengen wuerde. >Virtuelle Parteizentralen<, >Online-Demonstrationen<, >Internet-Ortsvereine<, >Multimedia-Politiker<, >Waehlen per Mausklick<, >Online-Wahlkampf< - alles nur >mostly harmlesswww.politik.de – Wir sind auch schon drin!<], erforderte das Erwachsenwerden von Gegenstand und Thema eine neue Fokussierung wissenschaftlicher Ansprueche und Interessen. Beinahe jede >netzkulturelle< Innovation laesst sich nicht nur lose, sondern sehr eng mit politischen Prozessen, Inhalten und Strukturen verkoppeln und dadurch im Gesamtbild die Konturen einer >Interaktiven Demokratie< aufscheinen. Schritt fuer Schritt erkunden Netz, Politik und Kultur damit genau jene Mechanismen oeffentlicher Kommunikation, die allmaehlich an den Grundfesten der fernsehblasierten Talkshow- und Mediendemokratie zu ruetteln beginnen. Und genau wie der akademische Diskurs erwies sich auch der Buergernetzverein politik-digital als erstaunlich zaeh, widerstandsfaehig und langlebig, denn laengst hatte er seinen Sitz in die neue Hauptstadt verlegt, dort Wurzeln geschlagen und sich vom Exoten [>Nein, wir suchen kein Venture Capital<] zum Piloten [>Ja, wir machen einen zweisprachigen Online-Chat auch zum ersten Mal<] zum Establishment entwickelt. In dieser besonderen Zeit nach dem Berlin-Umzug einer gerade erst gewaehlten rot-gruenen Bundesregierung, dem Aufstieg [und Fall] professioneller Politikberater, einem damit verbundenen >Washington-Effekt< der Zusammenballung von Verbands-, Beratungs- und Agenturwesen als politische Modeszene rund um den Spreebogen haben sich auch Rolle und Position von politik-digital grundsaetzlich veraendert. Der idealistische Ansatz einer >digitalen Buergeraktivierung< ist unter den Bedingungen der quotendiktierten Mediendemokratie nur noch bedingt haltbar - die in den vergangenen sechs Jahren gewachsenen Strukturen zeigen aber auch, dass der politisch-mediale Komplex durchaus offen ist fuer Impulse >von unten<. politik-digital kann dabei nur als Stellvertreter fuer die vielen Kollektivakteure stehen, die aus dem komplexen Geflecht der Netzkultur entstanden sind, sich auch in der analogen Welt etablieren konnten [oder erst noch werden] und auch in Zukunft unbequeme Fragen nach der zukuenftigen Gestaltung politischer Oeffentlichkeiten stellen. Dabei bleibt zu hoffen, dass nicht die >Quotendiktatur< als Zukunftsmodell reuessiert. Stattdessen braucht es eine >Medien-Demokratie<, die diesen Namen auch verdient. Und das ist erst dann der Fall, wenn neben Medien und Macht auch den Buergern ein gut sichtbarer Platz garantiert ist.

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