Mit ein paar Klicks vom Sofa aus die Welt retten?

Mit ein paar Klicks bequem vom Sofa aus die großen Probleme unseres Planeten lösen – ist das die Zukunft des Aktivismus? Berliner Gazette-Autorin Jillian C. York geht der Frage nach.

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Digitaler Akitivismus – also kollektive Aktionen, die online stattfinden – wurde oft als „Slacktivism“ verspottet. Warum, ist einfach erklärt: „Sofa-Aktivisten“, zu faul zum Protestieren auf der Straße, klicken den Facebook-Like-Button oder retweeten etwas in der Annahme, dass die reine Zustimmung etwas bewirken kann. Dem Slacktivisten wird vorgeworfen, er steuere minimalen Aufwand bei und wäre dabei noch unverdientermaßen stolz auf seine Leistung.

Es stimmt durchaus, dass manche Online-Aktivisten, die keine strategische Vision haben, der Definition von Slacktivism entsprechen. Doch der Begriff wird überstrapaziert, jedem an dem Kopf geworden, der anstelle eines Protestplakats seine digitale Stimme erhebt. Wir diskreditieren Online-Aktionen als sinnlos, gleichzeitig verspüren wir nostalgische Gefühle für die Werkzeuge unserer Vorfahren: das Flugblatt, die Tonbandkassette, das Samisdat.

Austausch als Prämisse für erfolgreichen Protest

Letztes Jahr schaute die Welt auf Ägypten. Sie staunte, als erst eine Stadt, dann ein Land sich gegen die 20 Jahre lang anhaltende Diktatur von Hosni Mubarak auflehnte. In der Tat, was die Welt sah, war eine Menschenmasse, die sich zum Protestieren auf einem Platz traf. Doch alles andere blieb ihr verborgen: Offline-Aktionen, wie Arbeitsstreiks, und Online-Aktivitäten, wie jahrelanges kollektives Bloggen über Polizeibrutalität, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen. Die Online-Aktionen im besonderen dienten einem doppelten Zweck: Sie stärkten das Bewusstsein in einem gewissen Teil der Bevölkerung; doch viel wichtiger, sie bestätigten vielen, was sie schon wussten, doch worüber sie nie sprechen konnten.

Wenn die Redefreiheit unterdrückt wird, durch staatliche Zensur oder Selbstzensur, dann kann oft ein Phänomen beobachtet werden, das als „pluralistische Ignoranz“ bekannt ist: eine Situation, in der die Mehrheit einer Gruppe eine Norm im Privaten ablehnt, doch annimmt, dass die anderen sie akzeptieren. Die fehlende politische Opposition zu Mubarak mag vielen Aktivisten das Gefühl gegeben haben, dass es unmöglich wäre, ihn zu stürzen. Erst als sie in der Lage waren, sich auszutauschen – durch Online-Communitys und Offline-Treffen – sahen sie, wie verbreitet ihre Ansichten waren.

Journalismus als Aktivismus

Auf dem Blog des ägyptischen Aktivisten Hossam Hamalawy kann man lesen: “In a dictatorship, independent journalism by default becomes a form of activism, and the spread of information is essentially an act of agitation.” („In einer Diktatur wird unabhängiger Journalismus automatisch zu einer Form von Aktivismus. Und die Verbreitung von Informationen ist im Wesentlichen ein Akt des Aufbegehrens.“)

Auch woanders fand das statt: In Tunesien, als noch keine großen Medien von dort berichteten, erhielten die Aktivisten durch den bloßen Akt des Bloggens globale Unterstützung für ihre Sache, und lösten damit vielleicht sogar einen Domino-Effekt in ihrer Region aus. Im Sudan wäre wochenlanger Offline-Protest untergegangen, hätten Twitterer aus Khartum nicht mit ihren Tweets dafür gesorgt, dass das brutale Vorgehen der Regierung nicht unbemerkt vonstatten geht.

Gezieltes Engagement online & offline

In Pakistan vereitelte globale Zusammenarbeit, die größtenteils online stattfand, die Pläne der Regierung, ein großangelegtes Online-Zensursystem zu installieren. So ähnlich lief es in den USA, als dutzende Webseiten einen „Blackout“ veranstalteten, um gegen den Stop Online Piracy Act (SOPA) zu protestieren. Das erregte genug Aufmerksamkeit, dass Menschen ihre Telefone nahmen, ihre Wahlmänner anriefen und das Gesetz sofort abgelehnt wurde.

Doch diese Beispiele haben alle etwas gemeinsam: Sie wurden alle durch bestimmte Gruppen und Individuen angestoßen, die wussten, wie sie Unterstützung für ihre Sache erhalten. Eine Studie der Georgetown University von 2011 erforschte die Beziehung von Amerikanern zu Online-Aktivismus und fand heraus, dass die, die sich online für soziale Probleme engagieren zweimal wahrscheinlicher Veranstaltungen unterstützen und daran teilnehmen, als ihre Offline-„Kollegen“.

PR-Aktivismus, der verpufft

Es gibt natürlich auch viele Gegenbeispiele. Ein bekanntes ist die STOP KONY 2012-Kampagne zu Beginn des letzten Jahres. Dabei versprach eine Gruppe naiver, junger Amerikaner, dass das Schauen und Teilen ihres Videos sie irgendwie dazu befähige, Joseph Kony (auf jedenfall ein angemessenes Ziel) bis zum Ende des Jahres einzufangen. Ähnlich machte es die Save Darfur-Kampagne, die Millionen von Dollar allein für PR ausgab und für ihren minimalen Einfluss vor Ort kritisiert wurde. Die Kampagne basierte auf der Annahme, dass der Verkauf grüner Armbänder zur Bewusstseinsstärkung ausreichend wäre, um ein Problem zu lösen.

Die richtige Schlussfolgerung ist nicht, dass Online-Aktivismus grundsätzlich mit „Slacktivism“ gleichzusetzen ist (oder dass Offline-Aktionen grundsätzlich effektiv sind). Vielmehr ist der bloße Mausklick hier und da, ohne jeglichen Fokus auf eine bestimmte Sache, das Online-Äquivalent zu ein paar Münzen in einem Spendenglas, dem Tragen eines Armbands oder der einmaligen Teilnahme einer Demonstration – und sich daraufhin selbst als „Aktivisten“ zu bezeichnen. Das Problem ist nicht das Medium. Denn es wurde immer wieder gezeigt, dass Online-Aktionen mit einer strategischen Vision funktionieren.

Anm. d. Red.: Das Foto oben stammt von LJC Schoenmakers und steht unter einer Creative Commons Lizenz. Der Text erschien in englischer Sprache im Digital Natives With a Cause Newsletter des Centre for Internet & Society und wurde von Sarah Curth ins Deutsche übersetzt.

2 Kommentare zu “Mit ein paar Klicks vom Sofa aus die Welt retten?

  1. Spannend! Vom Phänomen der „pluralistischen Ignoranz“ hörte ich das erste Mal. Auch dass Journalismus eine Form des Aktivismus ist, war mir so noch nicht bewusst. Danke!

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