Die Zigarette danach

Ich komme gerade aus dem Kino und bin erschoepft. Ich habe mehr als 30 Filme von Luis Bunuel gesehen und rund 15 weitere Produktionen anderer Regisseure. Die frische Nacht- luft, die jetzt in meine Lungen dringt, hat mir im klimatisierten Kinoraum gefehlt. Dort, wo das Licht der Projektion Bilder hervorbringt, die die Qualitaet von Traumbildern haben: >Eine achtundvierzigstel Sekunde lang ist es dunkel, eine achtund- vierzigstel Sekunde lang ist ein Bild belichtet<. Kein Zufall.

Immerhin ist, wie Neurowissenschaftler E.R. Kandel bewiesen hat, der menschliche Kopf wie ein Kino gebaut. Was aber passiert im Lichtspielhaus, wenn es Filme zu sehen gibt, die, wie die Filme Bunuels, Traeume des Regisseurs erzaehlen?

Einige Wochen nachdem die auf der Berlinale gezeigte Bunuel- Retrospektive vorbei ist, erscheint diese Frage beantwortbar. Vorher war es nicht moeglich. Vorher, so schien es, war mein Hirn mit einem Neustart-Vorgang beschaeftigt. Nicht so grund- legend vielleicht, wie das Rebooting eines Computers, aber dennoch weitreichend. Was gab es zu sehen, dass mich derart aus der Fassung bringen konnte? Realismus, so drastisch, dass er surrealistisch anmutet. Mainstream-Kino – Bunuels fruehe Phase in Mexiko –, das gegen den Strich inszeniert wird: Ist das noch Disney oder schon Satire? Und nicht zuletzt Nouvelle Vague-Nonsense in seiner spaeten Phase, unbeschwert und humorvoll, tiefgruendig und verstoerend.

Erst wollte ich nichts mehr sehen. Konnte nicht. Jetzt kann ich wieder, aber will ich das ueberhaupt? Bunuel hat Unterhaltung komplett neu formatiert. Seine Filme sprechen die Sprache von Hitchcock, Godard und Sippy – als Mischsprache, die er sich wie eine Fremdsprache zu eigen gemacht hat, obwohl sie niemals jemandem gehoerte. Vielleicht muss ich auch nicht wieder ins Kino. Vielleicht reicht es, wenn ich etwas frueher ins Bett gehe und mir mehr Zeit fuer das Traeumen nehme. Tagsueber kann ich in den Buechern ueber das Kino blaettern. Warum nicht auch ueber das Kino des Luis Bunuel. So lassen sich seine cinematischen Traeume als meine eigenen Traeume rekapitulieren. Traeume, die ich im Kino gesehen habe.

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