Das neue Spiel: “Es gibt nichts in dieser Welt, das nicht auch unser Commons sein könnte.”

Die Logik des Kapitalismus heißt teilen. Nur teilen darin nicht die Menschen, sondern sie werden geteilt. Es ist daher problematisch, Commons in kapitalistischen Kategorien zu erklären. Wer die Welt der Commons betritt, begegnet einer anderen Logik, einer anderen Sprache und anderen Kategorien. Die Aktivistin und Commons-Forscherin Silke Helfrich kommentiert.

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Im Wallis, in den Schweizer Alpen, existiert seit einem halben Jahrtausend ein ausgefeiltes System von Bewässerungsanlagen als Commons. Im hochgelegenen Heiligen Tal der Inkas in Peru, haben die Quechua seit Menschengedenken die weltweit größte Vielfalt an Kartoffeln gezüchtet. Und seit der Zeit Stefans des Großen im späten 15. Jahrhundert bewirtschaften die Menschen der Ostkarpaten ihre Wälder gemeinsam. Die dazugehörigen Institutionen sind dort als obștile bekannt und haben selbst 50 Jahre Diktatur im 20. Jahrhundert überlebt. Solche Beispiele zeigen, dass Commons vor allem eines sein können: dauerhaft.

Doch zugleich sind sie hochgradig gefährdet, etwa weil die von den Nationalstaaten beanspruchte absolute territoriale Souveränität mit sinnvollen Commons-Strukturen, die nicht an staatlichen Grenzen enden, in Konflikt geraten kann. Oder weil global agierende Konzerne über immense finanzielle Mittel und rechtliche Privilegien verfügen, mit denen sie Commons verdrängen. Nichtsdestotrotz lassen sich viele Menschen nicht davon abhalten zusammenzuarbeiten, um Beziehungsnetze und Dinge zu schaffen, zu bewahren und zu schützen, die ihnen viel bedeuten.

Dahinter verbirgt sich eine Mischung von Bedürfnis und Erfüllung, von Überlebenswillen und Stolz. Gemeinschaftliches Wirken, „Commoning“ oder „Gemeinschaffen“, gibt es überall – in Wolkenkratzern aus Stahlbeton wie in den von Erdbeben zerstörten Häusern entlegener Dörfer in Nepal, in Künstlergemeinschaften, Bildungs- und Forschungseinrichtungen genauso wie in den Gemeinschaftswäldern Indiens oder im Cyberspace.

Innovativer als das „Geld-gegen-Ware“-Prinzip

Wie widerstandsfähig diese sozialen Phänomene auch sein mögen, in den modernen Industriegesellschaften genießen sie wenig Beachtung und Anerkennung. Noch scheinen wir Macht- oder Geldwohlstandsbesitzende mehr zu verehren und zu fürchten – zumindest aber zu kennen –, als Menschen, die erfolgreich teilen, kooperieren und Anderes ausprobieren. Letztere bleiben weithin unbekannt oder werden gar als weltentrückte Spinner belächelt, weil sie Dinge tun, „die sich nicht rechnen“.

„In der realen Welt funktioniert das nicht“, wird oft gesagt und dabei übersehen, dass die Vielfalt der Commons genauso wie die (meist weiblichen) Für-, Um- und Vorsorgetätigkeiten Grundlagen „der realen Welt“ sind. Die Marginalisierung sozialer Praktiken, die sozial innovativer sind als das „Geld-gegen-Ware“-Prinzip, liegt auch darin begründet, dass Räume des Gemeinsamen durch moderne Zeiten, die Rundumkommerzialisierung des Lebens und abhängigkeitserzeugende Technologien zerrüttet wurden.

Die dominierende Kultur des Marktes zementiert zudem den Individualismus als ultimative Erfüllung und verunglimpft gemeinschaftlich getragene Lösungen oder solche, die in P2P-Netzwerken erprobt werden, als wahlweise „unpraktisch“ oder „utopisch“, so als würden sich individuelles und kollektives Interesse, Individualität und Gemeinschaftlichkeit gegenseitig ausschließen. Das Gegenteil ist der Fall.

Formen von Commoning

Individualität ist nicht nur unabdingbar für erfolgreiches Commoning, sondern Bedingung dafür, „gemeinschaftsfähig“ zu sein. Umgekehrt trägt Commoning zur Stabilisierung des Selbst bei. Ein jeweils starkes Selbst und starke Commons sind also nicht nur miteinander vereinbar, sondern bedingen einander und bringen sich gegenseitig hervor. Die Frage lautet daher nicht, ob, sondern wie das zu bewerkstelligen ist. Deshalb beschreibt das Buch, das ich soeben gemeinsam mit David Bollier herausgegeben habe, bemerkenswerte Formen von Commoning an den verschiedensten Orten der Welt.

In vielen sozialwissenschaftlichen Publikationen – insbesondere den wirtschaftswissenschaftlichen – ist es gang und gäbe, Commons mit gemeinsam zu bewirtschaftenden Gütern gleichzusetzen. Doch Commons sind keine Dinge, Ressourcen oder Güter, sie sind vielmehr ein Gefüge von Sozialstrukturen und -prozessen. Dabei mag der Umgang mit bestimmten Ressourcen – zum Beispiel mit Land, Wasser oder Meeresfrüchten, mit Informationen oder Werkzeugen – durchaus im Mittelpunkt stehen, die konkreten Strukturen prägen und auch wirtschaftlich von Belang sein.

Aber die Aufmerksamkeit übermäßig auf die physische Substanz oder das Wissen zu richten, das in einem Commons sowohl verwaltet als auch gebraucht wird, lenkt von dessen wirklichem Kern ab: dem möglichst bewussten Denken, Lernen und Handeln als Commoner, also dem, was wir Commoning nennen. Letzteres begreifen wir als Teil des Menschseins, als unaufhörlichen, niemals gleich verlaufenden Prozess.

Commoning als lebendiger Prozess

Sich auf dieses lebendige Tun zu konzentrieren, statt „Commons“ als Objekt zu betrachten, gehört zu den außergewöhnlichen Stärken der Commons, lässt aber auch die Vorstellung ins Leere laufen, man könne sie mit naturwissenschaftlich anmutenden Definitionen erfassen. Schließlich geht es in diesen Prozessen um Kreativität, Eigenwilligkeit, Improvisation und ständige Wandlung, kurz: um Lebendigkeit, weshalb sich jede theoretische Annäherung zum Verständnis der Commons auf eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der gelebten Praxis und den konkreten Erfahrungen in Commoning-Prozessen einlassen muss.

Theorie und Praxis müssen sich gegenseitig stärken, so wie sich Partitur und Orchesterspiel erst in Bezug aufeinander zu einer Sinfonie ergänzen. So wenig, wie sich allein aus Notenblättern das Geigenspiel lernen lässt, lassen sich Commons nur theoretisch verstehen. Wenn also nicht Ressourcen, Güter und Dinge im Mittelpunkt stehen, sondern zwischenmenschliche sowie Mensch-Natur-Beziehungen, dann müssen Institutionen jeder Art – in Wirtschaft, Politik und Bildung – verlässlich drei Dinge fördern: ökologische Nachhaltigkeit, Gemeinschaftlichkeit und freie Kooperation.

Viele Ökonomen, die Commons als spezifische Güterklasse auffassen, mühen sich jedoch, Regel- oder Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf physische Bestände aufzuspüren, ihnen einen Geldwert zuzuschreiben und auf dieser Grundlage geeignet erscheinende Institutionen oder politische Maßnahmen zu empfehlen. Behavioristisch geprägte Denkschulen anderer Disziplinen halten ihnen die Steigbügel, indem sie soziale Prozesse einfühlungslos und beziehungsbefreit mit naturwissenschaftlichen Methoden zu greifen suchen. Doch dieses Vorgehen ist ungeeignet, um soziale Phänomene zu begreifen.

Komplexe Flüsse von Ressourcen

Wenn wir Commons als „beziehungsgetragenes Sozialgefüge“ betrachten, bekommen wir Anderes in den Blick. Statt die Umwelt als eine vom Sozialen getrennte Sphäre zu betrachten, helfen uns Commons zu verstehen, dass wir Teil der Natur sind und uns daher selbst zugrunde richten, wenn wir die Natur zerstören. Statt uns auf Vermögensbestände zu konzentrieren, die ein Preismechanismus hin- und her transferiert, können wir unser Augenmerk auf komplexe Flüsse von Ressourcen richten, die nach jeweils selbstbestimmten Regeln zugänglich gemacht und genutzt werden.

Statt unpersönliche Markttransaktionen als Königsweg zur Befriedigung von Bedürfnissen zu sehen, erkennen wir Commoning als praktische Alternative, die es erlaubt, aus der Marktabhängigkeit herauszutreten. Es gibt keinen überzeugenden Grund anzunehmen, dass dies nur auf Ebene der unmittelbar-interaktiven Beziehungen überschaubarer Netzwerke oder Gemeinschaften gilt. Auch in die „gesellschaftliche Handlungsmatrix“ (Stefan Meretz) können Commons-Prinzipien eingeschrieben werden.

Doch nehmen wir einen anderen wichtigen Strang der Commons-Erzählung ins Blickfeld: die persönliche und soziale Dynamik in den konkreten Praktiken und Werten, den Ritualen und Traditionen sowie sinnstiftenden Erfahrungen, die aus Commons entstehen und die in den Kontext des kulturellen Paradigmenwechsels gestellt werden, in dem wir uns befinden. Erst diese tiefere Ebene hält die Commons zusammen, macht sie dauerhaft, flexibel und widerstandsfähig. Das ist einer der Gründe, warum sich Commons nicht mit Patentrezepten institutionalisieren, geschweige denn in einer Art Reiz-Reaktions-Muster erzeugen lassen.

Kein Lebensbereich, der nicht als Commons gestaltbar ist

Traditionelle Commons, wie die eingangs zitierten, in denen es stark um grundlegende materielle Lebensbedingungen geht, sind eng mit der Geschichte der jeweiligen Gemeinschaft verknüpft. Viele zeitgenössische Commons hingegen sind eher kurzlebig und entstehen aus spontan gebildeten Gruppen – im Fall internetbasierter Commons in der Regel aus Netzwerken von Menschen, die einander fremd sind.

Selbstredend konstituieren Letztere eine andere Art von „community“ als Gemeinschaften in realer Begegnung, doch lassen sich auch hier alle Beteiligten auf die Zusammenarbeit an einem Projekt oder für ein Anliegen ein, indem sie die Kooperationsmöglichkeiten nutzen, die offene Commons-Strukturen bieten.

Um zu verstehen, welche Bedeutung den so verschiedenen Subjekten erfolgreicher Commons, von intentionalen Gemeinschaften bis zu P2P-Netzwerken, tatsächlich zukommt, gilt es höchst unterschiedliche gemeinsam verantwortete Prozesse und Projekte ins Blickfeld zu nehmen. Prozesse und Projekte, bei denen Zielsetzung, ideelle und persönliche Verbundenheit, geografische Nähe, sich überschneidende Talente und Interessen oder einfach nur Notwendigkeit die Grundlage für starke, dauerhafte Commons sind. Und wenn wir dies ins Blickfeld rücken, kommen wir nicht umhin festzustellen, dass es keinen Lebens- oder Produktionsbereich gibt, der nicht als Commons gestaltbar ist.

Anm.d.Red.: Silke Helfrich hat diesen Text gemeinsam mit David Bollier als Einleitung zu dem von ihnen gemeinsam herausgegebenen Buch “Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns” geschrieben. Das Buch ist soeben im trancript Verlag erschienen. Silke Helfrich tritt am 22.10. um 20:30 Uhr bei der UN|COMMONS-Konferenz im Anschluss an die Eröffnungsveranstaltung “Solidarity Clinics in Greece” auf: Sie moderiert die Spendengala für selbstorganisierte Bürger-Kliniken in Griechenland. Die Fotos im Text stammen von August Bril, CC BY 2.0.

6 Kommentare zu “Das neue Spiel: “Es gibt nichts in dieser Welt, das nicht auch unser Commons sein könnte.”

  1. Du kritisierst das Verständnis von Commons in der Wirtschaftswissenschaft als zu eng. Dein eigener Begriff ist aber ganz undeutlich und esoterisch, man kann ihn nirgendwo packen, und er ist ohne Abstriche durch irgendeinen anderen unscharfen Titel, sagen wir mal “Organisation” zu ersetzen. Die unbelegte Behauptung “dass es keinen Lebens- oder Produktionsbereich gibt, der nicht als Commons gestaltbar ist” erhält allein Wahrheit dadurch, dass für dich Commons irgendein Gemeinschaftswirken mit irgendwie nützlichen Effekten ist, also per Definition immer wahr ist. Das ist inhaltsleer. Was außer positiv affirmativer Begeisterung für “Commons” bleibt denn dann noch übrig?

  2. Hallo Chris, was meinst Du mit “esoterisch”? Und was mit “irgendwie nützliche Effekte”?
    Dem “irgendein Gemeinschaftswirken” möchte ich wiedersprechen. Da für mich z.B. eine Golfklub kein Commons ist, sondern ein Clubgut. Und das wiederum hat mit den “Effekten” zu tun: Übernutzung von Wasser, i.d.R. soziale Ausgrenzung; Zweckentfremdung von Ackerland, Reduzierung der Biodiversität. Insofern sind die Zwecke also alles andere als beliebig.

  3. PS: an Chris: Vielleicht erklärt sich Dein Unbehagen auch dadurch, dass dieser Text nicht geschrieben ist, um Commons zu definieren, sondern um zu erläutern, wie unser neues Buch aufgebaut ist. Dh, er ist hier aus dem Zusammenhang gelöst.

  4. @Silke: Wenn es zu einer Übernutzung kommt, dann ist es nach dir also kein Commons. Das klassiche Beispiel für Commons war doch immer die Almende, die Gemeindewiese, und eben da kommt es leider politökonomisch zu einer Übernutzung oder Vernachlässigung, der “Tragedy of the Commons”. Du benutzt also einen Begriff und definierst ihn Dir so um, dass was bestimmtes bei raus kommt, was passt. Sicherlich steht auch die Almende nicht allen zur Verfügung sondern nur der Dorfgemeinschaft, der Almendegenossenschaft, ist also tatsächlich eher Clubgut. Almende heißt aber auf Englisch Commons.

    Esoterisch: Selbst bezogen, nicht greifbar, nicht festzunageln. aber mit irgendwelchen magischen positiven Wirkungen und Affekten beladen.

    Was mich eingentlich am meisten berührt ist die Fragen nach den Ressentiments und Vorverständnissen. Was ist für dich so faszinierend an der Idee von gemeinschaftlichen Mechsnismen, was macht sie privaten Zugehörigkeiten überlegen. Und wo siehst Du die Grenze zwischen Gemeineigentum (als Club oder Gruppe oder Prozess) und Noosphere, also Eigentum durch keinen und damit Total durch alle wie etwa bei gemeinfreien Gütern oder freien Digitalgütern (Free Software etc).

    Dann die Sache, dass man Commons nicht engineeren könne.

    “Statt unpersönliche Markttransaktionen als Königsweg zur Befriedigung von Bedürfnissen zu sehen, erkennen wir Commoning als praktische Alternative, die es erlaubt, aus der Marktabhängigkeit herauszutreten.”

    Ist der Markt nicht selbst als Ganzes ein Commons? Ich lese grad das Buch von Vogl.

    Unter welchen Bedingungen ist Commons immer auch auch Allod, also souverän ohne externe Herrschaft?

  5. @Chris: “Das klassiche Beispiel für Commons war doch immer die Almende, die Gemeindewiese, und eben da kommt es leider politökonomisch zu einer Übernutzung oder Vernachlässigung, der “Tragedy of the Commons”.”

    Commons-Forschung zeigt, dass das nicht stimmt. Und die sog. Tragedy of the Commons (in dem vielzitierten Essay von Garrett Hardin), ist eine Tragedy des Nomensland (also von Open Access Regimen bei natürlichen Ressourcen). Zudem geht es bei Commons nicht in erster Linie um Güter, sondern um soziale Prozesse. Also: wenn ich Wasser habe und mache daraus Evian für den Supermarktk, dann transformiere ich es in ein Privatgut (und in eine Ware), wenn ich es für einen öffentlichen Brunnen nutze, für eine öffentliches Gut usw. Es kommt nicht auf’s Wasser an, sondern auf das, was wir damit machen.
    http://band1.dieweltdercommons.de/essays/silke-helfrich-gemeinguter-sind-nicht-sie-werden-gemacht/

    Wenn wir heute von Commons sprechen, dann müssen wir das für den heutigen Kontext tun. Die klassische Allmende ist eine historische Eigentumsform, davon ist viel zu lernen – aber wenig kopierbar.

    Und dass man Commons nicht engeneeren kann meint: hier geht es nicht um MEchanismen, nicht um Maschinen, nicht um eindeutige Kausalrelationen, sondern um Subjektivitäten, Beziehungen, Potentialität, Vielfalt, Lebendigkeit. Und das ist nicht immer schön. Nee, Commons sind nicht immer schön und auch nicht immer “faszinierend”, Sie sind nur einfach das demokratischste, was ich kenne (und zumindest in Sachen Nachhaltigkeit auch ökologische nachhaltliger als andere Regelungsformen)

  6. @Chris Mehr als das, nach Leo eindeutig eine Multitude:

    common also: commons die Allmende Pl.: die Allmenden
    Commons used with sg. or pl. verb Britisches Unterhaus
    commons pl. die Bürgerlichen Pl.
    Commons used with sg. or pl. verb (Brit.) das Unterhaus Pl.: die Unterhäuser

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