Die Nacht von Berlin

Berlin bei Nacht: Stillstehende Trams, elektronische Musik in den Ohren der Sprayer. Graffitikünstler Christopher Kaatz erzählt von der Nacht der Nächte – mit unerwartem Ende.

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Kurz nach meinem 16. Geburtstag kam ich nach Berlin. Das war vor zwei Jahren. Es war Sommer. Und es waren Ferien. Der Anfang war nicht so toll. Ich zog in eine WG und es gab immer nur Stress. Der Tiefpunkt: Es wurde bei uns eingebrochen. Unangenehm daran war, dass es Freunde waren von meinem Mitbewohner. Irgendwie scheisse. Dann wieder Wohnungssuche. Ich bekam von einem anderen Freund gruenes Licht. Der Umzug fand dann in einer Nacht- und Nebelaktion statt.

Zum ersten Mal erlebte ich in dieser Nacht Berlin. Ich merkte wie mir die Stadt noch immer fremd war und dass ich wohl deshalb noch nicht zum Spruehen gekommen war. Ich musste mir die Stadt also ersteinmal aneignen. Die Nacht von Berlin. Und das dauerte mehr als ein halbes Jahr:

Freunde machen, Kontakte machen zu anderen Writern; vor allem im Mauerpark bekam ich ein paar Tipps. Runden drehen in der Nachbarschaft, etc. Einmal war ich dann mit einem Kumpel Nightclubbing und hatte den letzten Bus verpasst. Das verschaffte mir eine grossartige Gelegenheit: Ich musste mich ohne Stadtplan zurecht finden. Ich lernte die Gassen und Seitenstrassen kennen. Guckte mir schon ein paar Graffitis an. Fand auch schon ein paar Waende. Die Stellen habe ich mir dann gemerkt. Und ging daraufhin dann immer dort hin. Es war immer die gleiche Route, die gleiche Zeit (circa 3 Uhr) und immer das gleiche Ritual: Ich hockte mich ins Gebuesch und lauerte circa 30 Minuten lang. Das machte ich ein paar Mal und nahm dann irgendwann, als ich mich sicher fuehlte, ein paar Dosen mit. Das war der Beginn meiner Sprayer-Laufbahn in Berlin. Ich kam dann schnell in einer Crew namens >Inc.< unter und wurde dann auch in die Regeln eingewiesen. Was mir neu war: Die Crews in Berlin kaempfen wie Gangs gegeneinander um Territorium und Respekt.

Dann kam die Nacht der Naechte. Wir hatten Monate im voraus eine grosse Aktion geplant. Mit circa 18 Mann wollten wir auf einem Bahn-Yard spruehen. Da standen acht Trams rum. Schoen gelb und neu. Ganz glatte, saubere Flaechen. Sehr einladend das Ganze. Wir teilten uns diese acht Trams. Zwei Mann eine Tram. Die Methode: End to end, was heisst: Es sollte alles zugebombt werden, kein Milimeter frei bleiben. Hauptsaechlich haben wir Chrome-Runners gemalt, sprich: silber fill in, outline schwarz. Das ganze war eine richtige Orgie. Wir hatten Musik dabei. Jeder hatte einen Walkmann, aber nur auf einem Ohr, wegen der Verstaendigung. Ich hatte Def Cut laufen. Elektronische Musik, Breakbeats. Alt, von 95 oder so, aber echt cool. Alle vermummt, Sturmmasken. Dunkle Kleidung. Naja, halt wie so ein Ninja-Kommando. Und so schnell wie Ninjas wollten wir sein. Die Aktion sollte nicht laenger als eine Stunde dauern. Denn wir wussten: Von drei bis vier Uhr war keiner auf dem Yard. Das hatte uns ein Informant gesteckt. Ein Freund, der dort gearbeitet hat als Reingungsangestellter.

Doch auch die andere Seite schien ihre Informanten zu haben. Einer von uns hatte zwar aufgepasst, doch der war so von der Aktion fasziniert, dass er uns nicht warnen konnte. Von allen Seiten kamen ploetzlich Maenner. Blaue Arbeitskleidung, gelbe Streifen. Offenbar Wachpersonal vom BVG. Es muessen mindestens 40 gewesen sein. In Zweier-Teams haben sie einen Kreis um uns gezogen und sind dann auf uns los. Wir haben versucht mit den Dosen auf sie einzuschlagen, doch was soll man machen, gegen vierzig Mann. Sie haben uns dann einfach dort festgehalten bis die Polizei kam. Vier Sixer. Mannschaftswagen, haesslich und alt, aber genauso einladend… Anyway, die haben uns aufs Revier gefahren: Vernehmung. Einzeln. Jeder in einem Zimmer. Protokolle wurden aufgenommen. Alle Daten. Fingerabdruecke. Fotos wurden uns gezeigt von anderen Graffitis in der Stadt. Uns wurde unterstellt, dafuer verantwortlich zu sein. Wir haben das natuerlich abgestritten. Eine Woche spaeter kamen sie unangekuendigt mit einem Durchsuchungsbefehl in unsere Wohnungen und haben alles auf den Kopf gestellt. Dann kam noch eine Vorladung beim Gericht. Da ich in Berlin noch keine Akte hatte, kam ich nur mit einer Verwarnung davon. Zum Glueck.

Eine Woche spaeter: Ein Treffen unserer Crew. Die Location, ein altes, ruinoeses Haus, das leer steht. Irgendwo in Weissensee. Bei der Sitzung haben wir ueber die Zukunft gesprochen. Duese, ein Kumpel, der bei der Aktion nicht dabei war, stellte irgendwie lauter komische Fragen. Auch an seinem Gesichtsausdruck merkten wir, dass da irgendwas nicht stimmt. Wir pressten an dem Abend dann einiges aus ihm heraus. Wir erfuhren, dass er eigentlich in der CBS-Crew war. Also im feindlichen Lager. Dann war ploetzlich alles klar. Duese hatte uns bei der BVG verpfiffen. Die Einzelheiten kamen nie ans Tageslicht. Aber unsere Crew ist dadurch noch enger zusammengewachsen. Wir nehmen jetzt keine neuen Mitglieder mehr auf und wir passen jetzt auch mehr auf.

Anm. d. Red.: Das Foto stammt aus dem Blog coreyhau.

Ein Kommentar zu “Die Nacht von Berlin

  1. Ich geh davon aus das das eine rein fiktive Geschichte ist.Eine Straftat wird ja keiner hier selber zugeben…
    Auch ich habe natürlich rein fiktiv all zu oft das lauf spring und versteck spiel spielen müssen…das waren noch Zeiten.Mein beliebtester Fauxpas…Dosen ohne Deckel aber mit cap verkehrt herum in den Rucksackk schmeissen….wenn es im laufen rythmisch zischt hast Du alles richtig gemacht.Freudige Bescherung!

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