Die Macht des Lesers

Seit dem Tod des Autors steht der Leser im Rampenlicht. Er ist der Ort, an dem die Bedeutung eines Werkes Gestalt annimmt – was die franzoesischen Poststrukturalisten an die grosse Glocke haengten, wusstse auch schon Adorno, der 1962 notierte: Der Gehalt eines Werkes beginnt dort, wo die Intention des Autors aufhoert. Mehr als vier Dekaden spaeter sind die kulturell-sozialen Spesen dieser Rechnung ins Unermessliche gestiegen. Der Leser ist das Mass aller Dinge. Wenn er im Gewand der Masse auftritt, also als Millionenpublikum, dann hat er auch das Zeug zum neuen Gott, der aus Mist goldveredelte Perlen macht. Was heisst das? Immer mehr Leser geben sich mit immer gehaltloseren Texten zufrieden.

Natuerlich: Dies reicht, um eigene Gedanken zu entwickeln. Wir leben in einer Zeit, in der der Leser zu viel im Kopf hat und moeglichst leere Seiten/Vorlagen benoetigt, um den Ballast seiner Gedankenwelt zu ent-laden… Nach dem Tod des Autors, die Geburt des Lesers. Bislang hat nur der Markt darauf reagiert. Verkaufszahlen [Lesermassen] markieren den Rang eines Autors. Der neue Buchpreis, der zu den Buchmessen vergeben wird, institutionalisiert diese Logik im Bereich der vermeintlichen Hochkultur. Doch wer koennte noch von der Geburt des Lesers profitieren? Ich sage: Texte! Schluss also mit >egal welche Vorlage, Hauptsache mein Hirnstau entlaedt sich<. Zeit fuer ein neues Motto. Das Sprungbrett war gestern der Text, heute ist es der Buchdeckel; der Pool war gestern der Cyberspace in meinem Kopf, heute ist er der Text, in dem ich mich bade, in dem ich mich in Frage stelle und zu mir komme, dem ich als neuer Mensch entsteige, mit neuen Gedanken. Dies waere eine neue Rueckkehr zum >wirklichen Lesen< und die Wiedergeburt des Lesers als kritische Instanz der Buchkultur. Sprich: Ich kaufe, also unterstuetze ich das Richtige. Nicht die >leeren Vorlagen<, sondern Texte, denen jene Auseinandersetzung anzumerken ist, die ich selbst suche. Mit Sprache, Inhalten, bislang Geschriebenem, noch Ungedachtem. Dies waere auch die Rueckkehr zu einer neuen Form der Gleichberechtigung.

2 Kommentare zu “Die Macht des Lesers

  1. Ich finde, da könnte es eine Art umgekehrtes Weigh-Watchers-System geben. Für besonders gehaltvolle Bücher und Texte die ich gelesen habe, kann ich mir viele Punkte in mein Book-Watchers-Heftchen schreiben. Wer viele Punkte ansammelt, der kann vom Staat das so genannte Intellektuellengeld bekommen (davon kann man sich noch bessere Bücher besorgen zum Beispiel, oder eine Espressomaschine). Wer nur Schund liest, oder videospiele spielt, dem müssen Punkte abgezogen werden und dem wird auch das staatliche Taschengeld gekürzt. ich wüsste keinen anderen Weg, um endlisch mal was zu verändern!

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