Teuflische Allmacht? Pädophilie-Diskurse, Grenzen der “Volksgemeinschaft” und Antisemitismus

Heute knüpfen rechte Verschwörungstheorien wie QAnon an den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts an und die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Katrin Kämpf erklärt anhand von Pädophilie-Diskursen, warum dies nicht nur ein Echo vergangener Diskurse ist, sondern teilweise auch ein Rückgriff auf faschistische Strategien der Ermächtigung und Selbstermächtigung zur Gewalt. Ein Interview.

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Wenn rechte Verschwörungstheorien wie QAnon an den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts anknüpfen, dann nicht zuletzt an das antisemitische Pamphlet „Protokolle der Weisen von Zion“. Wie die Protokolle, unterstellt QAnon, dass „die Juden“ heimlich die Weltherrschaft ergriffen hätten. Damals wie heute liegt der rechten Verschwörungstheorie ein paranoides Konstrukt zu Grunde: die „hidden hand“, die, gewissermaßen ein satanisches Gegenstück zu Adam Smith‘s „invisible hand“, unsichtbar und stets zu ‚unserem‘ Nachteil alle irdischen Geschicke steuert. Es ist die Vorstellung einer höheren Macht, die jenseits ‚unseres‘ Fassungsvermögens ihre gewaltsamen Effekte entfaltet.

Was in der Realität entgrenzter Kapitalismus ‚leistet‘, muss in der Verschwörungstheorie begrenzbar erscheinen. Schließlich, so die implizite Annahme, stabilisieren sich das Ich und die Welt über Dichotomien – und ihre Grenzen. Die brüchig, ja flüssig gewordene Grenze zwischen dem abstrakt anmutenden Backend der Welt (etwa Transaktionen an der Börse) und dem konkreten Hier und Jetzt muss wieder hergestellt werden, weil ihre Effekte nicht nur ‚mein‘ Vermögen (lies auch: ‚mein‘ Potenzial) auf schwer nachvollziehbare Weise beeinträchtigen, sondern auch ‚meine‘ Identität destabilisieren. Der Antisemitismus macht in diesem Zusammenhang „den Juden“ als Personifizierung jenes Bösen stark, welches das kapitalistische System unmerklich von Innen steuert und zum Fließen bringt. Die Lösung ist denkbar einfach: Da „der Jude“ Grenzen destabilisiert, muss er ausgelöscht werden – eine gewaltsam forcierte Wiederherstellung einer imaginierten Ordnung und der dazugehörigen Grenzen.

Wie sieht der deutschsprachige Diskurs zur Pädophilie im 19. Jahrhundert die Fragestellung der Entgrenzung im allgemeinen und der Identitätsgrenzen im Speziellen im Kontext des sich zusehends entgrenzenden Kapitalismus?

Die Wurzeln des Pädophiliediskurses im 19. Jahrhundert liegen strenggenommen nicht primär in Entgrenzungsfantasien, sondern zunächst einmal in Versuchen der Begrenzung. Nämlich in den Kodifizierungsbemühungen der Nationalstaatsbildung. Damals wurde versucht, einheitliche gesetzliche Regelungen für die neuen Nationalstaaten zu schaffen. Und dafür mussten sich Juristen unter anderem mit „Sittlichkeitsdelikten“, darunter Formen von sexualisierten Übergriffen auf Kinder, befassen. Hier ging es um Fragen wie wer unter welchen Umständen und mit welchen Konsequenzen rechtlich gesehen als Kind zählen sollte – also ein Abstecken von Altersgruppengrenzen – und es wurde versucht festzuhalten, welche Handlungen gegen ein solches Kind rechtlich wie zu bewerten seien. Auf dem Gebiet der Gerichtsmedizin wiederum führten diese Überlegungen dazu, dass im Namen der Beweisführung in Gerichtsverfahren Spuren jener „Sittlichkeitsdelikte“ am Körper gesucht werden mussten. So entstand ein Korpus an Forschungsliteratur zu gerichtsverwertbaren Anzeichen sexualisierter Gewalt an Körpern.

Auf diese Untersuchungen griff der Psychiater Richard von Krafft-Ebing, der den sexualwissenschaftlichen Pädophiliebegriff prägte, zurück. Für ihn war Pädophilie eine seltene Sexualpathologie: eine Neigung zu Kindern, die nicht zwingend zu Übergriffen führen müsse und, anders als oft behauptet, bei Homosexuellen sehr selten sei. Für ihn sind Pädophile vor allem bürgerliche Männer – und gelegentlich auch Frauen –, deren Trieb sich primär auf Kinder richtet und die temporär und unter erschwerten Umständen an der Triebkontrolle scheitern können. Und diesen temporär auf dem Gebiet der Triebkontrolle versagenden, aber wahrscheinlich wieder auf den rechten Pfad zu bringenden bürgerlichen, weißen Mann grenzt Krafft-Ebing deutlich von anderen Täter*innen sexualisierter Gewalt gegen Kinder ab. Also von Inzesttäter*innen, Betrunkenen oder sogenannten „Wüstlingen“. Letztere hält er nicht für sexualpathologisch, sondern wirft ihnen sittliche Verrohungen oder Degeneration vor.

Im 19. Jahrhundert bildet sich noch keine „pädophile Identität“ wie sie die Pädobewegung und einige Sexualwissenschaftler*innen ab den 1970/80er Jahren propagiert haben, heraus. Hier geht es eher um eine spezielle Sexualpathologie, die von anderen Phänomenen abgegrenzt wird, die zu Gewalt gegen Kinder führen können, welche die Sexualwissenschaftler*innen aber nicht primär dem Bereich der Sexualität und ihrer Abweichungen zuordnen, sondern eher mit Alter, „Kulturentwicklung“ (durchaus als kolonialrassistisches Motiv zu verstehen) oder Sittlichkeit im Allgemeinen in Verbindung bringen.

Was hier zementiert wird ist also viel eher eine dem Nationalstaat dienliche, weiße, bürgerliche Identität, zu deren zentralem Kern – ich paraphrasiere hier Michel Foucault – die Kleinfamilie wird. Und diese Kernfamilie soll nicht nur prägend für das Aufziehen zukünftiger Bürger*innen werden, sondern ist primärer Ort der Sexualkontrolle der Kinder und rechtlich existenziell für die Weitergabe von Vermögen.

Welche Berührungspunkte weisen reaktionäre Diskurse mit dem Antisemitismus jener Zeit auf?

Spätestens mit der Veröffentlichung von Heinrich von Treitschkes antisemitischem Aufsatz „Unsere Aussichten“ (1879), in dem er behauptete, es gäbe ‚unassimilierbare‘ Juden, die in Deutschland immer ein „fremdes Element“ bleiben würden und nationaler Einheit entgegenstünden und dem darauffolgenden Berliner „Antisemitismusstreit“, war Antisemitismus nicht mehr nur in reaktionären Kreisen anschlussfähig. Zur Verfestigung antisemitischen Denkens trug auch die Verwissenschaftlichung von antisemitischen Diskursen bei – also weg von stärker christlich geprägten antisemitischen Vorstellungen hin zu ‚rassekundlichen‘ Ausführungen über das vermeintliche ‚Wesen‘ von Juden und Jüdinnen, das nun vermehrt als unveränderlich diskutiert wurde. Hier ging es also auch um eine Fixierung der Grenzen einer zugeschriebenen Identität. In diesen Kategorisierungen wurde das Phantasma einer „jüdischen Rasse“ verwissenschaftlicht, biologisiert und im Körper fixiert, was wiederum mit der Idee einer nationalen Einheit verknüpft wurde, zu der Jüdinnen und Juden keinen Zugang haben sollten.

Das heißt, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war Antisemitismus nicht nur in reaktionären Umfeldern, sondern in großen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft relativ salonfähig; nationale Zugehörigkeiten wurden verstärkt in rassifizierten Kategorien gedacht. Zu den rassifizierenden antisemitischen Zuschreibungen gehörten unter anderem vermeintliche geschlechtliche und sexuelle Devianz, die Verwischung von Geschlechtergrenzen, und eben jener Mythos einer Weltverschwörung, in dem Juden und Jüdinnen als gefährliche Feinde im Inneren der Nation gedacht wurden, die nach Herrschaft strebten.

Wie wird dann die Pädophilie im Kontext des Nationalsozialismus (NS) konstruiert?

Forschung zu Pädophilie als sexualwissenschaftliches Phänomen passiert im NS nur noch sehr wenig, außerdem setzte sich im NS der Begriff „Kinderschänder“ weitgehend durch. Eine spezielle nationalsozialistische Prägung erhielt dieser „Kinderschänder“-Diskurs nicht nur durch seine antisemitische Aufladung, sondern auch durch die enge Verknüpfung mit dem nationalsozialistischen „Kampf gegen das Verbrechen“. Dort wurden Verbrechen, darunter auch Sittlichkeitsverbrechen, nicht primär als Angriffe auf Individuen betrachtet, sondern als Attacken auf die gesamte sogenannte „Volksgemeinschaft“. Der Volksgemeinschaftsdiskurs schuf mit seinem Versprechen vom reinen, gesunden, homogenen, nicht „entarteten“, nicht verbrecherischen, „arischen“ Volk für die zu „Volksgenossen“ rassifizierte und subjektivierte Bevölkerung Selbstermächtigungsnarrative und „Ermöglichungsräume der Gewalt“ (Detlef Peukert) und verpflichtete zugleich zum Schutz eben jener Gemeinschaft. Und in dieser Dynamik wurde dann auch der Kinderschänderdiskurs dehumanisierend und gewaltermöglichend instrumentalisiert.

Diese Instrumentalisierungen speisen sich einerseits aus den geschlechtlich-sexualisierten Motiven antisemitischer Zuschreibungen, die ein deutliches Echo älterer Ritualmordlegenden darstellen. Andererseits werden sie durch das Phantasma der besonderen Gefährdung der Jugend durch vermeintliche homosexuelle „Verführung“ oder allgemeine „Frühsexualisierung“ befördert.

So wurden verschiedene Iterationen des Kinderschänderdiskurses genutzt, um jüdisch und/oder homosexuell Klassifizierte als besondere Bedrohung zu markieren, sie zu entmenschlichen und letztlich Gewalt gegen sie möglich zu machen. Am deutlichsten geschah das im Propagandablatt „Der Stürmer“, wo die antisemitischen Sexualbilder in immer ausgefeilteren Verschwörungsnarrativen mündeten und Texte häufig mit expliziten Gewaltrechtfertigungen, ex- und impliziten Aufrufen zur Gewaltanwendung versehen waren und teilweise sogar die vollen Namen der Anzugreifenden mitlieferten. Vermeintliche und tatsächliche sexualisierte Gewalt gegen Kinder war für die Nationalsozialist*innen also primär dann von Interesse, wenn sie im Sinne der imaginierten „Volksgemeinschaft“ instrumentalisiert werden konnte.

Inwiefern stand die Idee der Reinheit und Unangetastetheit des Kindes (und seiner Körpergrenzen) mit der antisemitischen Raserei der Nationalsozialist*innen in Verbindung? Anders gefragt: Welche Ideen von Versehrtheit und Verletzlichkeit wurden als Folie für einen singulären Massenmord mobilisiert, der mit der jüdischen Weltverschwörung legitimiert worden ist?

Die Nationalsozialist*innen hatten keine generalisierte Idee von der Reinheit und Unantgetastetheit des Kindes. Im NS ging es keineswegs darum, die Körpergrenzen aller Kinder zu schützen und auch der Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder war sehr weitgehend instrumentell. Für die Nationalsozialist*innen ging es vor allem um das (weiße, „arische“, nicht behinderte, nicht als „asozial“ klassifizierte, nicht zur Homosexualität „verführte“) Kind als zukünftigen Bestandteil und Praktiker*in der „Volksgemeinschaft“ und primär als solcher ist es schützenswert. Das bedeutet, versehrbar und verletzlich wird hier nicht in erster Linie das einzelne Kind gedacht. Als das zu schützende höhere Gut gilt vielmehr die imaginierte völkische Gemeinschaft, die gerade nicht als stabil, sondern als fragil und gefährdet gedacht und inszeniert wird, und deren permanente Bedrohung immer wieder von Neuem herbeifantasiert wird und zu deren Schutz fast jede Form von Gewalt legitimiert wird. Kinderschutz wird also eingesetzt, um die Vernichtungspraktiken des NS mitzuermöglichen und zu legitimieren.

Die rechte Verschwörungstheorie QAnon reaktiviert heute die antisemitische Vorstellung, die internationalen Eliten seien ein Netzwerk satanistischer Kinderschänder. Derweil machen rechte Parteien die Bedrohung der Kinder zur Chefsache. Inwiefern lässt sich hier – im Kontext von reaktionären Bewegungen, die Eskapismusangebote machen und Feindbilder präsentieren, um die Widersprüche und Verwüstungen des Kapitalismus zu bewältigen – ein Echo vergangener Pädophilie-Diskurse vernehmen?

Die Echos auf Ritualmordlegenden und NS-Verschwörungserzählungen sind im Umfeld von Pizzagate und QAnon überdeutlich. Auch hier wird vermeintlicher Kinderschutz eingesetzt, um Gewalt vorstellbar zu machen und letztlich zu ihr zu ermächtigen, aber auch um Anschlussfähigkeiten an bürgerliche Umfelder zu erzeugen (wir haben kürzlich bei den sogenannten Reichsbürgern gesehen, dass diese Erzeugung von Anschlussfähigkeiten in bürgerliche Umfelder fruchtet). Das ist eine langjährige rechte Strategie, die heute zum Standardrepertoire des gegenwärtigen autoritären Populismus gehört.

Aktuell sehr besorgniserregend ist der Versuch von verschiedenen Akteur*innen trans- und queerantagonistischer Kontexte, Erzählungen über angebliche große Bedrohungen von Kindern zu etablieren. Hier wird in den letzten Jahren vermehrt mit einem Vokabular gearbeitet, das mit Pädophilie assoziiert ist („Grooming“, „Frühsexualisierung“), um eine Gefährdung von Kindern durch trans Menschen, Drag Queens und Queers herbeizufabulieren. So wird beispielsweise eine angeblich international operierende „Trans-“ und/oder „Homolobby“ behauptet, die mit Hilfe von Sexualaufklärung außerhalb des (cisheteronormativen) Elternhauses, Selbstbestimmungsgesetz(en), Drag Shows, queeren KiTas etc. angeblich Pädophilie normalisieren und Zugriff auf Kinder gewinnen wolle.

Diese Verschwörungserzählung geht teilweise soweit, dass behauptet wird, die Verabreichung von Pubertätsblockern bei trans Teenagern solle den pädophilen Wunsch befriedigen, Kinder länger kindlich zu erhalten. Die Möglichkeit der selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Körpers im Rahmen von Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge wird dabei also zum pädophilen Angriff auf Kinder umgedeutet.

Hier haben sich seit Jahren – oft auch jenseits der klassischen rechten Umfelder – verschiedene Szenen wie Evangelikale, Freikirchler*innen, radikale Katholik*innen, Männerrechtler, aber auch feministische Kontexte in Richtung eines autoritären Populismus radikalisiert, der (auch) bürgerliche Ressentiments gegenüber trans Menschen und Queers aufgreift, sie zuspitzt und in gewaltlegitimierende (Selbst-)Ermächtigungsnarrative münden lässt. In diesen Umfeldern gilt – je nach Strömung – die als naturgegeben angesehene Geschlechterbinarität oder die ebenfalls naturalisierte heteronormative Geschlechter- und/oder Familienordnung als bedroht und unbedingt zu schützen.

Zur Strategie gehört auch das beständige Postulieren, dass eben jene Bedrohungen von Medien, Politiker*innen, anderen Feminist*innen, etc. verschwiegen und missachtet würden. So können sich die Akteur*innen als gefährdete potenzielle Opfer, Tabubrecher*innen und einzig wahre Verteidiger*innen von cis Frauen und Kindern zugleich inszenieren, jede Gegenrede als Angriff rahmen und sich so gegen Kritik immunisieren.

Ich würde also nicht allein von einem Echo vergangener Diskurse sprechen, sondern zumindest teilweise von einem Rückgriff auf ältere faschistische Strategien der Ermächtigung und Selbstermächtigung zur Gewalt.

Statt komplexe soziale Probleme nach Ursachen zu befragen und entsprechend zu bearbeiten, wird im zunehmenden Maß der Versuch unternommen, sie mit Hilfe von Technik zu managen –nicht zuletzt ein Erbe des Ultilitarismus. Auch Jeremy Benthams „allsehendes Auge“ als Ergänzung zu Adam Smiths „invisible hand“ konnte die Verwerfungen des Kapitalismus nicht gänzlich vergessen machen, so dass auch im Falle der „surveillance“ als Gottersatz das teuflische Pendant – die „hidden hand“ – stets im Raum gewesen ist. Welche Rolle spielt die paranoide Vorstellung höherer Mächte und destabilisierter (Körper- und Identitäts-)Grenzen im aktuellen Kontext der Technosecurity und reflektiert nicht zuletzt sich verändernde Pädophilie-Diskurse?

Das Denken in Technosecurity-Kulturen in Bezug auf Technologie und Sicherheit an sich ist letztlich eher schlicht und beinhaltet weniger deutlich komplexe paranoide Fantasien, als vielmehr den eher naiven Glauben mit genug technischem Know-How und genug angesammelten Daten ließen sich doch die meisten sozialen Probleme lösen. Hier wären also noch am ehesten Technik- und Technikentwicklung der Gottersatz – wenn man es in diese Terminologie überführen will – und die, mit Donna Haraway gesprochen, „unruhige“ Natur bzw. deren Unkontrollier- und Unvorhersehbarkeit das durch Messung, Erforschung, Durchleuchtung, Verdatung etc. zu bezwingende Diabolische…

Im Rahmen der Sexualforschung hat die Verquickung von Technik und Sicherheit tendenziell zu einer Fokusverschiebung geführt und technisch abgesicherte oder mit Hilfe von Medizintechnik vorgenommene Diagnoseverfahren haben höhere Bedeutung bekommen, da eine Pädophiliediagnose nun als Rückfallrisikofaktor bei Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung gilt. Hier wird Sexualität als aus physiologischen Vorgängen im Körperinneren decodierbare innere Wahrheit, die im Namen von Sicherheit und Risikomanagement entschlüsselt werden muss, gedacht. Deswegen haben populärwissenschaftliche Auslegungen sexualmedizinischer Forschung in den letzten Jahren häufiger Begehrlichkeiten nach großangelegten Pädophilie-Screenings für Menschen, die mit Kindern arbeiten, geweckt.

Ganz anders ist der Bezug auf Körper und das vermeintlich Natürliche in den eben erwähnten transantagonistischen Kontexten, wo jegliches Aufweichen von Geschlechtergrenzen als bedrohlich interpretiert wird. Hier wird auf einer Natürlichkeit (bzw. in manchen der religiösen Umfeldern auch Gottgegebenheit) oder einer unbezweifelbaren biologischen Verankerung der Zweigeschlechterordnung beharrt und fast jeglicher Versuch der hormonellen oder operativen Gestaltung des vergeschlechtlichten Körpers als Gefahr, drohende Veruneindeutigung bzw. ‚Fälschung‘ einer als unveränderbar gedachten geschlechtlichen Essenz eines Menschen interpretiert. Hier bekommt dann Technik bzw. die (auch) technische Gestaltbarkeit von Körpern und die zunehmende Hybridisierung von Menschen und Maschinen plötzlich eine nahezu diabolische Seite, die immer wieder mit Pädophilie bzw. pädophilen Verschwörungen assoziiert wird.

Oder sie wird – wie z.B. in Teilen der deutlich antisemitischen und rassistischen Transhumanismus-Verschwörungserzählung – mit dem absolut Bösen – oft in Gestalt von „Globalisten“, trans Frauen, „globalen Eliten“, Queers gleichgesetzt und als Gefahr für große Teile der Menschheit und ihrer Reproduktionsfähigkeit gedeutet, die es zu bekämpfen gilt. Auch hier wird die cisheteronormative Ordnung als fragil und gefährdet dargestellt, die alte antisemitische Verknüpfung von geschlechtlicher und sexueller Abweichung mit angeblich verschwörerischen, finanzkräftigen und gefährlichen Juden und Jüdinnen aufgegriffen und queer- und transantagonistisch aktualisiert.

Anm.d.Red.: Die Fragen stellte die BG Redaktion. Katrin Kämpf hat kürzlich das Buch „Pädophilie. Eine Diskursgeschichte“ veröffentlicht, das unter einer Open Access-Lizenz frei verfügbar ist.

Ein Kommentar zu “Teuflische Allmacht? Pädophilie-Diskurse, Grenzen der “Volksgemeinschaft” und Antisemitismus

  1. Spannend ist auf jeden Fall zu sehen, auf welche Weise eine Führungselite imaginiert wird, welche die Welt im Innersten zusamen halte, und die Vorverständnisse darüber wie es funktionieren soll. Und die sind auch falsch, wenn es reale Kriminalfälle wie Epstein gibt. Und natürlich auch Machteliten.

    Ich glaube, wir haben es hier mit instrumenteller, also populistischer Ideologie zu tun, wo die Bedrohung deshalb geschaffen wird, weil diese mobilisierbaren Vorverständnisse und Affekte vorliegen und politisch ausgebeutet werden können. Insofern ist der Rückgriff auf den Nationalsozialismus unnötig als Traditionslinie. Was ich mich immer gefragt habe, ob die hohe politische Mobilisierbarkeit von Personen gegen “Kinderschänder” nicht auch auf deren verdrängten Neigungen rekurriert. Bei der Homosexualität liegt es ja jedenfalls nahe.

    Es geht um relativ frei schwebende Narrative, die, wenn auch falsch, jedenfalls unterhaltsam und verfilmbar sind. Du brauchst halt den Richthofen oder den Paul Bäumer um den modernen Krieg noch darzustellen, die “Machtelite” um den globalen Kapitalismus zu erzählen, das Protestmädchen für die Erzählung des menschengemachten Klimawandels.

    Auf der anderen Seite gibt es ja durchaus auch seltsame singuläre Phänomene wie den Georgekreis, mit seinem homoerotischen Pädokult und dem Versuch daraus Selbstüberhebung zu konstruieren, irre Sache.

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