Die Coolness der Provinz

Die Kleinstadt, in der ich geboren wurde und aufwuchs zaehlt 13.000 Seelen – so viele Leute kommen in Berlin allein fuer ein Konzert zusammen! Ich komme also aus der Provinz und peinlich ist mir das nicht, denn eigentlich kommen ja fast alle aus der Provinz. Wer ist schon in New York oder Paris geboren?

Wohl eher Detmold oder Memmingen. In meiner Heimatstadt Pritzwalk sah die Wochenendgestaltung meistens so aus: Freitag Pub, Samstag Pub und vielleicht noch Tanzbar.

Doch obwohl viele Menschen aus der Provinz kommen, haftet dem Wort etwas Negatives an. >Provinziell< bedeutet hinterwaeldlerisch, miefig, uncool und langweilig. Doch das Bild von der Provinz stimmt meist nicht mit der Realitaet ueberein. Aufwachsen auf dem Dorf ist vermutlich mindestens so aufregend wie in der Stadt - ausser dass man an der Bushalte- stelle abhaengt und nicht an der U-Bahnstation. Und dass man sich mit der Clique gut stellen muss - es gibt keine andere. In der Literatur weiss man ueber die wahre Coolness der Provinz schon lange bescheid und es gibt Unmengen von Texten. Ganz aktuelle Stories aus dem Hinterland liefert die Literaturzeitschrift >Am Erker<. In der neuen Ausgabe >Geschichten aus der Provinz< sind Gedichte, Kurzgeschichten und Essays versammelt und alles dreht sich natuerlich um die Provinz. So friedlich wie auf dem Cover der Zeitschrift, auf dem eine Kirche und ein Stoppelfeld zu sehen sind, geht es in den Geschichten jedoch nicht zu. In Martin Ebbertz >Wie wir zweimal ein letztes Bier tranken< nutzen der Erzaehler und sein bester Kumpel den Zeitunterschied zwischen Deutschland und Belgien aus [eine Stunde wegen der Sommerzeit], um zweimal die letzte Runde in den Lokalen von Halsig und Bofingen mitzumachen. Die beiden Jungs schuetten Unmengen von Bier und >Asbach-Cola< in sich hinein und landen schliesslich im Strassengraben, der zum Glueck nicht weit von der naechsten Kneipe entfernt ist, in der es Nachschub an >Asbach-Cola< und Bier gibt. Die >Kleinstadt-Boheme< von Thomas Frahm feiert im bulgarischen Varna eine so heftige Party, dass von der frisch renovierten Wohnung der Eltern nicht mehr viel uebrig bleibt: >Das Einzige, was heil geblieben ist, ist eigentlich die Decke, sagte Borjana gegen Morgen.< Leider stimmt nicht mal das, denn als die Freundinnen nach oben schauen, stellt Katja fest: >Jetzt sag nicht: Da sind Fussspuren an der Decke.< An dieser Stelle endet die Geschichte - den AErger mit den Eltern erspart uns die Erzaehlung. Ganz so exzessiv geht es auf dem Land vielleicht nicht immer zu, zumindest war es in Pritzwalk nicht immer so. Aber wer nach dem Lesen dieser Geschichten immer noch denkt, Landeier seien langweilig, dem kann einfach gar nicht mehr geholfen werden.

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