Dia-Schau mit Erdbeerbowle

Klebrige Finger vom Fotoalbum-Basteln, Handkrämpfe vom Postkarten-Schreiben und unangenehme Dia-Abende beim Chef: Reiseerinnerungen festhalten und teilen war 1977 noch mit körperlichen Anstrengungen verbunden.

Unvergesslich: Der Pflicht-Dia-Abend beim ersten Abteilungsleiter meines Lebens. Dr.W. lud alle Kollegen des Höheren Dienstes (der gehobene und mittlere Dienst hatte das Glück, ‘unter Stand’ zu sein) zu einer Dia-Schau bei sich zu Hause ein. Schau hieß 1977 noch nicht Show.

Dia-Abend vs. Reiseblog

Männer in der Überzahl, fünf Frauen mit Gardemaß – keine unter 1,78 Meter – wir alle standen dem winzigen Diktator hilflos gegenüber. Als Greenhorn unternahm ich mit: “Mein Mann kommt dieses Wochenende und möchte mich auch mal sehen!” einen Fluchtversuch. Vergeblich: “Dann bringen Sie ihn eben mit!” Damals war ich noch nicht in der Gewerkschaft, und brachte ihn also eben mit.

Es gab Erdbeerbowle (auch 1977 schon antik!), Salzstangen – und viele, viele Dias. Und zwar Dias in Schwarz-Weiß! (auch 1977 schon prähistorisch!). Prag, das fast alle von uns schon mal besucht hatten, wurde uns zuerst auf der selbstgezeichneten Landkarte an der Wand (!) vom Forscher und Weltentdecker Dr. W. als letzter weißer Fleck auf dem Globus präsentiert, und mit einem Zeigestock kommentiert. Schwarz-weiß, aber nicht Nouvelle Vague. Kein bisschen vage. Sondern sehr, sehr ausführlich. Da half selbst die Erdbeerbowle wenig.

Warum steigt dieser Albtraum plötzlich aus den Tiefen der Verdrängung in mein Bewusstsein auf? Nun, ich bin im Moment selbst auf Reisen und ich blogge darüber. Dr. W.s Pflichtabend dient mir als Abschreckungsbeispiel. Ich hoffe, dass meine Reise-Dokumentation offener und interaktiver wird.

6 Kommentare zu “Dia-Schau mit Erdbeerbowle

  1. Habe herzlich gelacht! Hatte auch mal so eine Erfahrung – allerdings mit einer Frau, die in Tansania unterwegs gewsesen war und uns an die 1000 Dias von der “Wildnis” gezeigt hat. Furchtbar!

  2. Oh jemine, das kenne ich auch noch! War’s damals nicht schrecklich?Da lob ich mir doch eine gelungene powerpoint- show, die auch den Namen ‘show’ verdient. Aber gespannt sein kann man dann wohl auf Brittas Reiseblogs,die, nach den Erfahrungen der 70er Jahre, den Leser nicht derart strapazieren werden. Bin gespannt.

  3. Der Artikel ist köstlich, ich habe mich sehr amüsiert! Genau so waren diese entsetzlich langweiligen Dia-Abende!

  4. Was lernen wir daraus? Geteilte Freude ist manchmal vervielfachtes Leid… Und man wird mich anflehen müssen, meine Usbekistan-Fotos ansehen zu dürfen!

  5. Das läßt schon Erinnerungen an alte Erdkunde-Lehrer wach werden… So viel Unterhaltungswert wie diese Dia-Schau haben sonst wohl nur große Samstagabenschaus im Öffentlich Rechtlichen Fernsehen. Aber wie immer gilt das alte Bundeswehr-Motto: Wenn schon Scheiße, dann Scheiße mit Schwung. ;-) Sehr gelacht!

  6. Und da gibt es Leute, die von der “guten alten Zeit” sprechen… Da braucht man wohl einiges an Erdbeerbowle, um sich das schön zu saufen! Auf die emanzipierte Gegenwart und einen Blog, der uns mit auf die Reise nimmt!

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