Der Kannibalen-Begriff

Der von Kolumbus gepraegte Begriff des Kannibalen wurde so schnell und so bereitwillig in den europaeischen Sprachen aufgenommen, dass es den Anschein hat, als waere schon immer eine Leerstelle dafuer warmgehalten worden. Das meint zumindest Sprachwissenschaftler Peter Hulme. Kolonialhistoriker Urs Bitterli scheint Hulme in dieser Hinsicht zuzustimmen, wenn er in den beiden polar entgegengesetzten Bildern des Inselbewohners >vertauschbare Abstraktionen< erkennt, die darin >ihr Gemeinsames haben, dass beide das bezeichnen, wofuer die Europaeer sich selbst nicht halten.<

Doch ist sich Kolumbus bewusst, dass seine Ausfuehrungen im Dienste der europaeischen Beduerfnislage stehen? Eines ist sicher, als der Entdecker zur Feder greift, will er die ueberwaeltigende Realitaet kompensieren. Ueberwinden muss er auch die ihm durchaus bewusste Tatsache, dass er nicht vor der Kueste Asiens angekommen ist. Ausserdem versucht er im vorauseilenden Gehorsam, seine koeniglichen Vorgesetzten zu besaenftigen, und stellt ihnen deshalb das Erwartete in Aussicht. In diesem Interessengeflecht bleibt der Koerper des Inselbewohners auf der Strecke.

Er verschwindet gewissermassen zwischen den Zeilen des Bordbuchs: Er wird entweder durch Anleihen bei Marco Polo mit mittelalterlichen Bildern ueberschrieben oder er wird – wie durch den Kannibalen-Begriff – in einen Zusammenhang sich gegenseitig ausradierender [bzw. verspeisender] Koerper gestellt. Kurz, der Koerper des karibischen Inselbewohners ist bereits im Verschwinden begriffen, bevor Ausrottung, toedliche Instrumentalisierung und ethnische Vermischung beginnen.[Anm.d.Red.: Dieser Text ist bereits der dritte Teil einer neuen Serie in unserer Rubrik Reisen. Fortsetzung folgt!]

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