Der Beiruter Klub B108

In das B 018 kommt man nicht rein ohne einen engen, dunklen Schacht hinabzusteigen und von einem soldatischen Tuersteher durch eine Schiessscharte gemustert zu werden. Wer durchgelassen wird, steht auf einem Fussboden aus grauem Stein oder setzt sich auf die dunklen Mahagoni-Baenke mit samtenen Lehnen, an gedrungene Tische aus weiss geaedertem Marmor.

Bis das Personal im Lazarett-Outfit die Getraenke serviert, wird man von John Coltrane, Georges Brassens, Billy Holiday, Mohammad Abdelwahab und anderen beliebten Musikern angeschaut, die hier als gerahmte Fotografien auf den Tischen stehen. Ein Interior-Design, das auch eine Schnittstelle nach Aussen hat: Wer nachts vor dem Klub steht, kann ueber eine in den Himmel ragende Projektionsflaeche sehen, wie Drinnen die Party rockt, und wer Drinnen feiert, steht bei geoeffnetem Schiebedach unter freiem Himmel im Scheinwerferlicht der anfahrenden Autos.

Was irgendwie theatralisch und ziemlich ueberzogen daherkommt, stellt Bernhard Khourys Arbeit im Ausnahmezustand dar. >Ehrlich gesagt war die Frage am Anfang nicht so sehr die Verfassung des Gebaeudes. Das Problem bestand vielmehr darin, wie eine Masse an einem Ort beschaffen sein musste, an den man sich bis 1976 als von einer Mauer umgeben erinnerte, die ihn vom Rest der Stadt trennte. Ich erinnere mich, dass ich als Kind an der Mauer entlang lief und die Leute sagen hoerte, dass sich dahinter ein Fluechtlingslager befand. Wir liefen immer an der Mauer entlang, sahen aber nie, was dahinter geschah.< Die Mauer umgab das Lager der >Quarantaine< bis es 1976 in einem schrecklichen Massaker vernichte wurde. 22 Jahre spaeter waehlte ein privater Auftraggeber das Los 317 der >Quarantaine< als neuen Standort fuer das B 018. Ein Klub, dessen Name aus dem Postcode der Wohnung des Musikers Nagi Gebrane stammt, der das B 018 in seiner ersten Inkarnation bei sich zu Hause inszeniert hatte. Als Khoury den Auftrag annahm, war sofort klar, das er auf dem Gebiet der >Quarantaine< nicht irgendeinen Klub bauen wuerde. Er wollte den Abriss der Mauer unterstreichen und sich mit der Komplexitaet der Oberflaeche vor Ort auseinandersetzen, anstatt einen fremden Gegenstand hinzuzufuegen. Um das Gedaechtnis des Ortes zu beruecksichtigen, vor allem die Leere, die hier nach dem Massaker herrschte, entwickelte er eine unterirdische Architektur. Khourys durchgestylte Unterhaltungsmaschinerie benutzt die historische Tradition dabei nicht als Vorgabe, sondern als Bezugspunkt. Beiruts vorherrschende Baupolitik ist fuer Khoury eine Uebertreibung in jeder Hinsicht - gegenwaertig eine des kapitalistischen Systems, das ausser Kontrolle zu geraten scheint. Die gesamte Innenstadt befindet sich nach dem Buergerkrieg in den Haenden der privaten Wiederaufbaugesellschaft Solidere, die nach sterilen Vorstellungen eine Art Postkarten-Beirut zu produzieren versucht. Fuer die intellektuelle Szene Beiruts hat damit ein zweiter Krieg, ein Krieg gegen die Erinnerung begonnen. Waehrend von den Kuenstlern und Intellektuellen eine zeitgenoessische Restaurierung historischer Bauten gefordert wird, wird die architektonische Erinnerung spekulativen Hochhausprojekten geopfert. Die unverarbeitete Geschichte soll uebersprungen und eine attraktives Stadtprodukt fuer den Tourismus geschaffen werden. Weil das so ist, verpackt Khoury seine Auseinandersetzungen mit der juengsten Geschichte von Beirut in konsumierbare Unterhaltung. Im Machtbetrieb der herrschenden Baupolitik beschleunigt er damit die vorherrschende Entwicklung und treibt sie doch auf einen zynischen Bruch hin. Alle seine Auftragsprojekte sind fuer die Entertainment-Industrie, einen Kernsektor der libanesischen Wirtschaft. Doch gleichzeitig reflektieren sie die urbanistische Wirklichkeit, historisch und aktuell, und werden zu Erinnerungsbauten einer verdraengten Geschichte. Waehrend der Mietvertrag fuer das B 018 dieses Jahr ablaeuft und man sich fragt, was dann auf dem Gelaende der Buergerkriegsruinen entsteht, hat Khoury einen neuen Auftrag in Berlin bekommen. Er ist an der Umsetzung und Verwirklichung verschiedener baulicher Ergaenzungen am Komplex des >Pfefferberg< beteiligt, das nach mehr als zehn Jahren soziokultureller Nutzung nun saniert und zu einem Zentrum fuer Kunst und Kultur, Dienstleistungen und soziale Einrichtungen ausgebaut werden soll. Um das Flair der ueber hundertjaehrigen Industrieanlage zu erhalten, ist Khourys Konzept: >Nicht renovieren und rehabilitieren, sondern intervenieren und addieren; Geschichte nicht wegbauen, Zukunft hinzufuegen.< Was dabei herauskommt, wird sich zeigen.

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