Deja-Vu auf Bestellung

Rauchgeschwaengerte Luft, Drinks, Grunge Musik, Yellow Cabs und Gajin-Boys: Englischlehrer, Zahnpastamodells, GIs und Drogenverkaeufer. Wir befinden uns in einer Bar des Amuesierviertels in Tokio. Die Bar heisst >Deja Vu<. Ein wahrhaft passender Name. Jedes Wochenende sind es die gleichen Leute, stets laeuft die gleiche Musik. War man mal ein paar Wochen abwesend, ist es wie ein unverhofftes Deja-vu-Erlebnis. Bei der Wiederkehr ist alles beim Alten geblieben. Die Leute wissen das. Deshalb gehen sie immer wieder hin. Deja-Vu auf Bestellung.

Ich will jetzt keine Haare spalten. Aber das ist natuerlich der poplulaere, sprich: der etwas inkorrekte Gebrauch dieses franzoesischen Begriffes. Im eigentlichen Sinne meint das >Deja-Vu-Erlebnis< zwar eine Wiederbegegnung mit bereits Gesehenem bzw. Erlebtem. Jedoch weist dieser Begriff, und das waere der Einwand, diese Wiederbegegnung als Erinnerungstaeuschung aus: Bei Gesunden besonders durch Erschoepfungszustaende bedingt, auch Symptom bei Neurosen, Psychosen, organischen Hirnleiden, spiegelt das Deja-Vu vor, soeben Erlebtes sei frueher schon einmal erlebt worden. In der Postmoderne wird das Deja-Vu-Erlebnis zu einer konstituierenden, kulturellen Bedingung: Mit ihrem Eklektizismus, dem Recyceln von verfuegbaren Codes, mit ihrem Weder-Noch-Relativismus, ihrer Anything-Goes-Attituede, dem pluralistischen Spiel entlang medialer Oberflaechen und dem damit verbundenen freien Flottieren von Zeichen, foerdert die Postmoderne eine Wirklichkeitserfahrung, die keine naeher bestimmbaren Grenzen kennt, beispielsweise zwischen gestern und heute. Also kann die Gegenwart auch als Vergangenheit anmuten. Eine Ironie der Geschichte ist, dass in Japan die Postmoderne selbst als Deja-Vu-Erlebnis wahrgenommen wurde. Japanische Theoretiker, die Derrida, Deleuze, Baudrillard und die anderen franzoesischen Denker lasen, wiesen in den 1980er Jahren darauf hin, dass die ueber Japan hereingebrochene Postmoderne in ihrem Wesen zutiefst prae-modern war. Jedenfalls haette es eine vergleichbare Zirkulation von Zeichen bereits in der Edo-Aera gegeben, also der Zeit zwischen 1600-1868, als Japan noch eine geschlossene, von aeusseren Einfluessen behuetete Gesellschaft war. Ein junger Philosoph namens Akira Asada, der diesen Zusammenhang in seinem Buch ueber die importierten Theorien aus Frankreich beschrieb, wurde daraufhin zu einer Legende. Das Buch verkaufte sich millionenfach - fuer einen Theorie-Titel eine schier unglaubliche Leistung. Doch war das so erstaunlich? Eine groessere Selbstvergewisserung haette es fuer Japaner wohl kaum geben koennen. Bankangestellte, KassiererInnen und nicht zuletzt Legionen von Buerokaufleuten lasen den Theorie-Bestseller und fuehlten sich nicht nur erinnert, sie fuehlten sich gerade zu bestaetigt. Denn: Wenn die Postmoderne in Japan prae-moderne Zuege hatte, also Charakteristika aufwies, die bereits in jener Zeit kulturell bestimmend waren, in der Japan von der Moderne und damit vom Westen noch unangetastet geblieben war, dann hatte die Verwestlichung und die damit verbundene Entwurzelung nie wirklich stattgefunden. Der in diesem Zusammenhang entfachte Identitaetsdiskurs war allerdings nichts Neues. Japan verspuerte auch frueher schon das Beduerfnis sich gegenueber den Export- und Impulsgeberlaendern USA und Europa zu behaupten. Denn obwohl es niemals wirklich kolonialisiert worden war, wurde die Oeffnung Japans Ende des 19. Jahrhunderts durch den europaeisch gepraegten Westen durch Kriegsschiffe erzwungen, waehrend die darauf folgende Einfuehrung europaeischer Kultur und Technik in einem solchen Tempo und in einem solchen Ausmass ihren Lauf nahm, dass man sich nach einigen Dekaden selbst kaum mehr kannte. So gross war die Ueberfremdung vielleicht nur noch in den 1980er Jahren: In einer Lebenswelt, die westlicher war, als der Westen, begann man die Tuchfühlung zu den eigenen Wurzeln schmerzhaft zu vermissen. Der Diskurs um die Postmoderne in Japan ist folglich ein heimlicher Diskurs des Post-Kolonialismus. Somit gebuehrt Japan, wie den anderen Laendern in diesem Monat auch, ein besonderer Platz in der Kolonialgeschichte.

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