Eliminierung des kognitiven Kapitals: Zur politisch-ökonomischen Infrastruktur postsozialistischer Autokratien

Ausrangierte russische Bücher zum dialektischen Materialismus. Bildlizenz: Public Domain
Ausrangierte russische Bücher zum dialektischen Materialismus. Bildlizenz: Public Domain

Wenn Wissensmärkte und kognitive Ökonomien für den zeitgenössischen Kapitalismus von zentraler Bedeutung sind, dann lohnt es sich, über die Auswirkungen dieses Faktors in liberalen Demokratien und Autokratien nachzudenken, um einerseits den geoökonomischen Wettbewerb in einer zunehmend multipolaren Welt zu verstehen und andererseits eine emanzipatorische internationalistische Perspektive zu entwickeln, die die Politik des ungleich verteilten Wissens berücksichtigt. Mit Blick auf das heutige Russland unternimmt Keti Chukhrov eine Bestandsaufnahme.

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Meine Motivation, die politisch-ökonomischen Unterschiede zwischen Autokratie und Demokratie zu untersuchen, rührt von den anhaltenden Bemühungen progressiver politischer Denker*innen her, die behaupten, dass sich die heutige westliche Demokratie nicht so sehr von den postsozialistischen Autokratien im Süden oder Osten unterscheidet und dass es keinen Sinn macht, sich auf die Formalisierung der Demokratie zu verlassen, wenn bestimmte autokratische Staaten auch die demokratisch positionierte Verfassung anwenden könnten. Mit anderen Worten: Skeptiker*innen sehen keinen systemischen Unterschied zwischen heutigen Autokratien und Demokratien. Die Linke tut dies, weil sie sich per definitionem weigert, in der liberal-demokratischen Realpolitik irgendein Emanzipationspotenzial zu erkennen, und die Rechte, weil sie sich mehr auf die Idee des ‚Volkes‘ als auf zivile Handlungsfähigkeit verlässt.

In seinem Aufsatz argumentiert der Politikwissenschaftler Greg Yudin unter Berufung auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, dass sich die zivile Handlungsfähigkeit der Demokratie im Gegensatz zu den wirklich demokratischen föderalistischen Sowjets auf Volksabstimmungen und Wahlen beschränke, was letztlich zur Unterstützung einer caesaristischen Figur führen könne. Er geht von einer solchen Annahme aus, weil er glaubt, dass die Autokratie ebenso wie die Demokratie in der Regel auf einer konstitutionellen Gesetzgebung beruht. Ich möchte demgegenüber argumentieren, dass die Machtergreifung autokratischer Regierungen immer noch demokratischen Gesetzen oder Verfassungen unterliegt, weil unter den Bedingungen der Autokratie die Obrigkeit mit Unterstützung des ‚Volkes‘ eine illegale Fälschung des Gesetzes gewaltsam und offen durchsetzt und so durch Kooptation oder Einschüchterung unrechtmäßig an die Macht gelangt.

In der westlichen repräsentativen Demokratie hingegen muss man, um das Gesetz zu brechen, diese Fälschung eher verbergen. Sie kann nicht offen im Gesetz funktionieren und legal ausgeübt werden. Mit anderen Worten: Autokratien, insbesondere postsozialistische Autokratien, haben ihre eigene infrastrukturelle Logik und ihr eigenes Vokabular entwickelt, die sich auf sozialer, politisch-ökonomischer und kultureller Ebene erheblich von der Demokratie unterscheiden. (Auch wenn wir die europäische repräsentative Demokratie für all ihre Ungereimtheiten kritisieren müssen, ist es wichtig, diese Tatsache im Auge zu behalten).

Ich werde daher die drei oben genannten Ebenen – die soziale, kulturelle und politisch-ökonomische – in der infrastrukturellen Organisation der postsozialistischen Autokratie untersuchen und (1) das Paradox der Klassenumverteilung aufzeigen, (2) diskutieren, warum die Repression in einem autokratischen Staat wie Russland eigentlich eine Kulturrevolution ist, und schließlich (3) fragen, was informelle Herrschaft und Schattenwirtschaft für die postsozialistischen Autokratien profitabler macht als die nach dem Zerfall der Sowjetunion proklamierte Demokratie.

Das Paradoxon der Klassenrekonstruktion

Beginnen wir mit dem Paradox der Klassenrekonstruktion. Während der Klassenkonflikt traditionell zwischen den Reichen und den Unterprivilegierten ausgetragen wird, spielt er sich in autokratischen Gesellschaften (einschließlich Russlands) weniger zwischen Arm und Reich ab, sondern vielmehr zwischen wohlhabenden autokratischen Herrschaftsgruppen, die mit dem ‚Volk‘ (einschließlich sozial schwacher Bevölkerungsgruppen) und der gebildeten und international orientierten Mittelschicht vereint sind. In diesem Fall steht die aufgeklärte Mittelschicht beiden gegenüber: den konservativen Eliten der herrschenden Klasse und dem sogenannten Volk. Ohne die soziale Kluft zwischen der aufgeklärten Mittelschicht und den arbeitenden und ungebildeten Massen wäre ein Wahlerfolg der autokratischen Eliten unmöglich. Da es keine starke linke Opposition im Parlament gibt, steht das ‚Volk‘ auf der Seite der paternalistischen Autokratie.

Liberale Demokratien sind meritokratisch, sie stützen sich auf die Minderheit der legalen Gewinner des Wettbewerbs und agieren daher auf den Wissensmärkten und in der Kreativwirtschaft des kognitiven Kapitalismus. Ein solches System kann keine Gleichheit erreichen, aber seine Ungleichheiten werden letztlich durch sozialdemokratische Agenturen und nichtstaatliche Institutionen der Sozialfürsorge und der Bürgerrechte ausgeglichen. Seine bürgerlichen Praktiken und kognitiven Produkte sind von Autonomie bestimmt. Historisch gesehen bedeutete der Kampf gegen den ehemaligen sowjetischen Autoritarismus für die frühen postsozialistischen Liberaldemokraten (insbesondere in Russland) jedoch die vollständige Zerstörung des entprivatisierten Wohlfahrtsstaates und seiner sozialen Garantien. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen um paternalistische politische Kräfte scharten, die zumindest minimale Sozialausgaben garantierten. Autokratische, oligarchische Herrscher wie Wladimir Putin, Bidsina Iwanischwili und Alexander Lukaschenko machen ein und dasselbe klassenbildende Manöver: Sie proklamieren eine paternalistische Sozialfürsorge für das ‚Volk‘ und setzen daher vor allem auf die Loyalität der Massen, indem sie sie mit Wohltätigkeit und dem Anschein von Stabilität ködern.

Kulturrevolution des ‚Volkes‘

Die Kulturrevolution – als zweite Bedingung der autokratischen Infrastruktur – weicht von der oben erwähnten Klassenrekonstruktion ab und verschleiert das Scheitern des Übergangs der ehemals sozialistischen Staaten zum Kapitalismus. Was viele seit 2011 als Unterdrückung von Kultur und Bildung durch die Behörden beklagen, wird von Kreml-freundlichen Kulturschaffenden als regelrechte Revolution der Massen gegen die intellektuellen Eliten gefeiert. Mit anderen Worten: Die Plünderung von Bildungs- und Kultureinrichtungen und der intellektuellen Produktion in Russland wird von den Anhänger*innen der Autokratie als Aufstand des ‚Volkes‘ und nicht als staatliche Repression interpretiert. Eine solche Razzia in kulturellen Einrichtungen hat zu einer in der Geschichte Russlands beispiellosen Verdrängung der kognitiven und intellektuellen Produktion geführt. Kognitive Raffinesse und spekulative Fähigkeiten, die vor allem auf Autonomie und kritischem Denken beruhen, wurden aus dem sozialen Raum verbannt, so dass nur noch Platz für Dienstleistungen und Konsum blieb. Es sei darauf hingewiesen, dass es nicht darum ging, Wissen als solches zu verbieten. Vielmehr wurde durch die Einschränkung von Autonomie und kritischem Handeln die Wissensproduktion quasi automatisch unmöglich gemacht.

Während die postsozialistischen autokratischen Staaten also die kapitalistische Produktion aufrechterhalten, Sanktionen umgehen und Handel und Dienstleistungen wiederbeleben, müssen sie gleichzeitig die Entwicklung des wichtigsten zeitgenössischen kapitalistischen Gutes – Wissen, Geisteswissenschaften und Information – einfrieren.

Das bedeutet, dass die postsozialistischen Autokratien trotz der urbanen Nachhaltigkeit und des relativen Wohlstands der Großstädte, insbesondere nach 2011, keine guten Ergebnisse bei der Produktion von Wissensbaukästen und -technologien vorweisen können. Die kulturelle Innovationskraft und der politische Scharfsinn von öffentlichen und Bildungseinrichtungen sind heute untrennbarer Bestandteil eines solchen spekulativen autonomen Produkts. Im Wettbewerb um die Produktion des wichtigsten Elements des zeitgenössischen kognitiven Kapitalismus – Wissen – ist Russland ins Hintertreffen geraten. Das lag nicht daran, dass es keine Akteure der Wissensproduktion gab. Es lag vielmehr daran, dass die Wissensproduktion nicht richtig institutionalisiert war. Infolgedessen fand sich Russland unweigerlich in einer unterlegenen Position im globalen Wettbewerb der Wissensmärkte wieder und musste sich mit der Unfähigkeit auseinandersetzen, seine Bedingungen in der globalen kapitalistischen Produktion zu diktieren. Um diese unterlegene Position nicht zu akzeptieren, zog es Russland vor, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen, als seine Ambitionen, eine Weltmacht zu werden, nicht durch seine bescheidenen Erfolge in der postindustriellen Produktion unterstützt wurden. Die Frage, warum sich der Aufbau einer hochentwickelten Wissensinfrastruktur für die postsozialistischen Staaten nicht als lohnend erwies, ist leicht zu beantworten: weil ihre informellen oligarchischen Regime nicht mit kognitiver oder sozialer Autonomie koexistieren konnten und weil sie Überwachung nicht mit bürgerlichen Freiheiten verbinden konnten. Das Regierungssystem der postdisziplinären Demokratie kann in der Ambivalenz zwischen Überwachung und Freiheiten (einschließlich Pathologien und Vergnügen) funktionieren. Wie Michel Foucault und Judith Butler gezeigt haben, sind in diesem flexiblen System Regulierung und Freiheit miteinander verwoben. Das autokratische System verbietet nicht die Sexualität oder die Repräsentation der Geschlechter an sich, aber es kann sich nicht an diese Ambivalenz des Managementsystems der Demokratie anpassen, das sowohl die Überwachung als auch die Kritik beinhaltet, die es untergräbt.

Deshalb ist der gegenwärtige Krieg gegen die Ukraine für den Kreml das Mittel, um endgültig die Praktiken und Institutionen auszulöschen, die den Anspruch auf intellektuelle Autonomie in ihrer Produktion hatten. Daher die Desertion der Wissens- und Kulturarbeiter*innen, d.h. der aufgeklärten Mittelschicht, als unvermeidliche Folge einer solchen Politik in Russland, Weißrussland, Georgien, Ägypten, Iran oder jedem anderen autokratischen System.

Zu Sowjetzeiten konnten die sozialistischen Staaten ihre Position im globalen Machtwettbewerb aufgrund ihrer entwickelten Produktionsverhältnisse behaupten, die im Vergleich zu den entwickelten Produktivkräften des Kapitalismus ein wichtiges, weltweit anerkanntes humanitäres Produkt darstellten. Mit der Ablehnung des sozialistischen Credo hörten die ehemals sozialistischen Länder auf, Ikonen einer entwickelten humanitären Ethik zu sein, d.h. entwickelte Produktionsverhältnisse im Vergleich zu ihren weniger entwickelten Produktivkräften. Nun mussten die postsozialistischen Staaten in einen Wettbewerb eintreten, um kapitalistische Exzellenz zu demonstrieren: fortgeschrittene Produktivkräfte. Aber in einem solchen Wettbewerb konnte Russland nur als normaler Nationalstaat auftreten – einer unter vielen – und nicht als Akteur, der die globale kapitalistische Politik definiert.

Wenn aber der Wettbewerb mit dem kognitiv-kapitalistischen Westen unmöglich oder völlig erfolglos ist (ich glaube, dass der gegenwärtige kapitalistische Wettbewerb ein kognitiv-kultureller Wettbewerb ist), dann kann Russland im Falle seiner freiwilligen Degradierung von der ‚zweiten‘ entwickelten Welt zur sich entwickelnden ‚dritten Welt‘ symbolisches Kapital auf andere Weise gewinnen: nicht durch entwickeltes kognitives Kapital, sondern durch die Nachahmung der antikolonialen Kritik des Westens im Namen der aufstrebenden Ökonomien des globalen Südens. (Die Expansion der BRICS unter der Schirmherrschaft des Kremls ist ein guter Beleg dafür). In dieser Position des antikolonialen Sprechers gegen die westliche Vorherrschaft kann Russland paradoxerweise beides tun: sich gegen die westliche Hegemonie aussprechen und seine eigenen imperialistischen Ambitionen gegenüber den postsozialistischen Ländern aufrechterhalten.

Schattenwirtschaft und informelle Macht

Der gegenwärtige Krieg ist in gewisser Weise ein konstruktiver Bestandteil des Projekts der endgültigen Abspaltung Russlands von seinen Bestrebungen, sich in die ‚entwickelten‘ Volkswirtschaften zu integrieren, und ein freiwilliger Schritt in Richtung der ‚aufstrebenden‘ Volkswirtschaften. Es war also nicht der Krieg, der die Isolation verursachte, sondern die Notwendigkeit, sich von der ‚zweiten‘ und der ‚ersten‘ Welt zu trennen. Ich habe die Unfähigkeit der Autokratien erwähnt, ihre Verwaltung auf Recht zu gründen. Im Falle der postsozialistischen Staaten ist diese Unfähigkeit darauf zurückzuführen, dass sie zwischen zwei Unmöglichkeiten gefangen sind.

Erstens ist es unmöglich, zur sozialistischen politischen Ökonomie zurückzukehren, in der es nicht notwendig war, mit den fortgeschrittenen Vertretern des Kapitalismus zu konkurrieren. Zweitens war es unmöglich, das Projekt einer vollwertigen kapitalistischen Wirtschaft zu verwirklichen, die durch Gesetze gestützt wird, während die entscheidenden Bereiche der Wirtschaft und des Sozialmanagements in der informellen Schattenzone verbleiben. In der Zwischenzeit muss sich das wettbewerbsorientierte kapitalistische System an das internationale Recht halten, auch wenn es zahlreiche Ungereimtheiten und Hierarchien aufweist. Rechtstreue bedeutet, dass das internationale Finanzsystem von allen seinen Mitgliedern Transparenz und Nachvollziehbarkeit verlangt.

Die Weigerung, die kognitive Produktion und die Wissensinfrastruktur als Produkt des kapitalistischen Fortschritts zu integrieren, macht es unvermeidlich, auf der Schattenwirtschaft und der informellen Verwaltung zu bestehen und dieses illegale Modell als legal auszugeben. Die Aufrechterhaltung der Grenzzone zwischen dem vergangenen Sozialismus und dem illegalen Protokapitalismus ist nur unter den Bedingungen informeller Herrschaft und informeller Justiz möglich, was auch das Regime der informellen Ökonomie voraussetzt.

Wie Boris Kagarlitsky betont hat, werden in zeitgenössischen liberalen Demokratien – insbesondere in ihren sozialdemokratischen Varianten – Überschüsse teilweise in kommunale Infrastruktur, Bildung, Technologie, zeitgenössische Kultur, institutionelle Aufwertung usw. investiert, wenn auch ungleichmäßig und sogar durch die kapitalistische Logik des Eigentums bedingt. In postsozialistischen Autokratien werden Überschüsse jedoch häufig veruntreut, in Luxusgüter und Privateigentum, in die Verschönerung von Fassaden und Konsumzonen oder in das Militär investiert. Autokratische Regierungen müssen also Überschüsse veruntreuen, aber sie tun dies nicht unbedingt, weil sie es immer wollen. Sie tun es vielmehr, weil ihnen das Know-how fehlt, die überschüssigen Einnahmen in die Wissens- und Kreativwirtschaft zu investieren: Entweder sind sie nicht in der Lage, ein Infrastrukturnetzwerk aufzubauen, um den Überschuss in die Bereiche Wissen und Institutionenaufbau umzuverteilen, oder sie zögern, die kognitiven und kulturellen Bereiche der Sozialität zu stärken. Wie Kagarlitsky argumentiert, werden Kleptokratie und Nepotismus unweigerlich zum grundlegenden Funktionsprinzip des Systems, selbst wenn nur wenige Personen in einem solchen System korrupt sind.

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