Die Krise der Zeitung ist auch eine Krise des Journalismus. Die Herausgeber von Alpha-Journalisten 2.0 konstatieren: “Bei dem derzeitigen Abschmelzen der publizistischen Pole ist das Ende des Journalismus vielleicht näher als wir glauben.” Die Berliner Gazette glaubt jedoch dies: Der Medienwandel lässt nicht zuletzt eine völlig neue Journalismuskultur entstehen. Vor diesem Hintergrund starten wir einen Aufruf, der sich mit der folgenden Frage an alle Interessierten wendet: Wie sieht Journalismus in Zukunft aus?
Zeitung, Journalismus und Krise sind Begriffe, die im Diskurs inzwischen fast automatisch zusammen gedacht werden. Aber wie sieht eigentlich diese Krise aus? Ist es ein Kampf zwischen dem ergrauten Saurier, der klassischen Zeitung als ehemals vierten Macht, in Opposition zur vitalen Blogosphäre (von der ja sogar behauptet wird, sie hätte den Bundespräsidenten zum Rücktritt gezwungen) – ist es also eine inhaltliche Krise?
Oder hängt doch alles nur an der Finanzierung, und werden bessere Paid-Content-Strukturen und Flattr-Accounts die Sache schon richten? Oder ist es letztlich doch nur eine Frage der Haptik, der tintenverdreckten Finger, die, wie Andi Weiland neulich bemerkte, auch schwachem Journalismus den Schein der Qualität verleihen können? Oder gar von allem ein bisschen?
Fragen an die Zukunft
“Die klassische Zeitung steckt in einer Krise. Kein Grund, sie für tot zu erklären. Grund genug vielmehr, an ihrer Neuerfindung zu arbeiten.”, heißt es in einem der Texte zum Selbstverständnis der Berliner Gazette. Das klingt nach Behauptung, Anspruch und Auftrag, und das alles gleichzeitig. Wie können wir dem gerecht werden? Diese Frage begleitet uns seit 1999. In Projekten, die wir dieses Jahr verfolgen, etwa den Schwerpunkt zu Bildung oder das Sommerseminar Liquid Writing, ist sie stets präsent.
An dieser Stelle fragen wir jedoch nicht nur uns selbst, sondern vor allem auch unsere AutorInnen und LeserInnen. Wir möchten Sie hiermit dazu aufrufen, mitzumachen und mitzudiskutieren, auch und insbesondere dann, wenn Sie Meinungen und Vorschläge zu folgenden Fragen haben:
Wie wird der klassische Journalismus künftig mit seinen Defiziten umgehen, um glaubwürdig zu bleiben? Werden Journalisten künftig in erster Linie Gatekeeper oder Gateopener sein? Was bleibt vom Journalismus als Handwerk des Prüfens? Steht Journalismus künftig verstärkter im Zeichen der dialogischen Kommunikation? Wird der Journalismus Geschichten fortan noch im Verborgenen ausfindig machen oder nur noch im Überangebot?
Wie wird der Journalismus mit der kaum noch zu bremsenden Beschleunigung des Publishings umgehen? Wie wird sich der Journalismus über Wasser halten in der gegenwärtigen Phase der Globalisierung, die im Zuge von Digitalisierung und Vernetzung Schriftkulturen buchstäblich ins Schwimmen bringt? Was für journalistische Formate werden in den Web-2.0.-Umgebungen überlebensfähig sein?
Wie verändert die zunehmende Mobilität aller gesellschaftlichen Akteure die Arbeit des Journalisten? Entsteht Journalismus künftig nicht mehr an einem fixen Ort, sondern an stets wechselnden Orten oder vielleicht nur noch unterwegs?
Spannender Aufruf. Für mich stellen sich da noch viel mehr Fragen: Wie wird die kommende Generation überhaupt mit dem Konzept Journalismus umgehen, wenn es irgendwann ganz normal sein wird, dass die Medien diversifiziert sind (News, Blogs etc.)? Auch: Welche deutschsprachigen Medien begegnen der Krise auf innovative Weise und sollte es nicht dafür (wie für Vieles) einen Preis geben? Fragen über Fragen. Bin gespannt auf die Debatte hier in der BG!!!
Sehr gut! Und das Thema ist ja quasi immer aktuell. Bestimmt hat man schon ähnliche Fragen vor 60 Jahren gestellt, als sich das Fernsehen etablierte. (Ich möchte aber das sehr reale “Zeitungssterben” nicht herunterspielen.) Und es ist ja nicht so, um Mos Def zu paraphrasieren, dass Journalismus wie ein Riese in den Hügeln lebt, und uns nur ab und zu besucht. What’s happening to journalism is what’s happening to us. Oder nicht?
“Lesen auf Papier ist der einzige Ort, der nicht überwacht wird und der nicht dauernd mit elektronischer Ablenkung lockt.” sagt Schirrmacher in seinem neuen Buch und er verweist wie ich finde auf eine wichtige Frage hinsichtlich des Journalismus in Zukunft. Wie wird ein Journalismus, der möglichweise nicht mehr mit Papier arbeitet, diese Qualitäten kompensieren bzw. aufwiegen können?
Social Media und Journalismus:
http://immateriblog.de/in-eigener-sache/einloggen13-oder-social-media-und-journalismus/
Zitat:
“Eigentlich keine Frage, die auf eine Lehrredaktion online begrenzt sein sollte, aber ich kenne es nun seit mehr als zehn Jahren, dass Internet-Themen mit Online-Journalismus gleichgesetzt werden. Beste Beispiele sind Recherche online (welcher Print-, Radio- oder Fernsehjournalist kann darauf verzichten?) und die Debatte um die Internet-Regulierung, die als Online-Thema verstanden wird – was ungefähr so schlüssig ist, wie die Auseinandersetzung über die Gesundheitsreform ausschließlich im „Gesundheitsmagazin Praxis“ zu verhandeln.”
Gerade im Beztug auf die Recherche und deren Quellen-Angaben im besonderen finde ich die Diskussion besonders wichtig. Ich bin ja der Meinung, dass die Qualität journalistischer Texte besonders deswegen zum Teil den Bach hinunter geht. Und das greift dann auf die anderen Bereiche über (oder umgekehret, je nachdem). Ich sag nur: Helene Hegemann lässt grüßen…
Gestern hat die Welt Kompakt ihre “Scroll-Edition” herausgebracht, die von Bloggern gestaltete Ausgabe ihrer kompakten Tageszeitung. Die Resonanz auf das Experiment fiel gemischt aus, längst nicht alle Blogger sind stolz auf die Arbeit ihrer beteiligten Kollegen. Hier ein Blick in eine kleine Blog-Presseschau:
http://blog.zeit.de/kulturkampf/2010/07/02/kleine-blogschau-zur-scroll-edition-der-welt/