Zeugen oder Ressourcen? Über Torf, arbeitende Körper und imperiale Praxis

Die Collage besteht aus Filmmaterial von Jeanna Kolesova, Material eines Torfabbauunternehmens (mit Genehmigung verwendet) sowie sowjetischen Archivbildern von TASS aus den Jahren 1943 und 1954.
Collage: Jeanna Kolesova

Die sowjetische Vision einer nahtlosen Transformation – beispielsweise die Umwandlung von Torfmooren in Energiequellen und Ackerland sowie von Menschen in gefügige Arbeitskräfte – wurde weitgehend verwirklicht. Wie Jeanna Kolesova jedoch aufzeigt, hinterließ diese Transformation Spuren anhaltender Gewalt: schwelende ‚Zombie‘-Brände, die alle 10 bis 15 Jahre zu großflächigen Waldbränden ausbrechen, erhöhte Treibhausgasemissionen sowie mündliche Überlieferungen von Arbeiter*innen, die durch unerbittliche körperliche Arbeit verletzt wurden.

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Können Sie sich eine ideal konstruierte Struktur vorstellen, ein geschlossenes System, in dem nichts verschwendet wird, sondern reine Transformation möglich ist? Ein solches System ist mir sehr vertraut: die Torfindustrie. Die Torfgewinnung war einst ein Maßstab für Fortschritt. Sie war ein Zeichen dafür, dass eine wissenschaftliche Produktionsweise vorherrscht, in der mathematische Logik bestimmt, was als Nächstes zu tun ist, und Menschen zu Daten werden, die wiederum als Input für statistische Berechnungen dienen.

Diese Struktur lässt sich am besten mit einer Gleichung beschreiben.

mₜ · vₜ² + Wₙ · hₙ = mᵢ · vᵢ² + W𝒻 · h𝒻

Auf der linken Seite:

mₜvₜ – die akkumulierte Masse und Geschwindigkeit der Arbeit von Mensch und Maschine. Oft eine Torfarbeiterin, die knietief im Schlamm steht.

Wₙhₙ – Gewicht und Höhe des Torfs als gespeichertes Potenzial für den menschlichen Verbrauch.

Auf der rechten Seite:

mᵢvᵢ – die Masse und der Impuls der ideologischen und wirtschaftlichen Triebkräfte.

W𝒻h𝒻 – das prognostizierte Gewicht und die Höhe der idealen Zukunft. Früher: Der Kommunismus ist ein Vektor: eine gerichtete Kraft, die der Umwandlung Gestalt verleiht. Jetzt: Kommodifizierung.

Doch selbst ideal geschlossene Systeme beginnen mit der Zeit zu lecken und Spuren zu hinterlassen. Diese Gleichung ist nichts als Spekulation – ein Versuch, nicht zu erklären, sondern nachzuzeichnen, wie Menschen und Landschaften zu einer Ressource gemacht wurden und welche Spuren davon noch vorhanden sind. Imperiale Praxis ist kein singulärer Modus, sondern ein Kontinuum aus Regierungsstilen, extraktiver Ökonomie und symbolischen Repräsentationen. Es begann in der imperialen Ära und findet heute neue Formen.

Wₙhₙ=W𝒻h𝒻: Das Framing von Feuchtgebieten

Im Sumpf gibt es etwas, das Widerstand leistet. Eine Textur, ein Rhythmus, eine Weigerung, sich kontrollieren zu lassen. Weder Land noch Wasser, sondern immer dazwischen, im Übergang – Sümpfe sind für die Menschheit unbeständige Substanzen. Sie überschreiten die für sie gezogenen Grenzen, widersetzen sich der Eindämmung und entziehen sich jeder Klassifizierung. Vielleicht sind sie deshalb so stark von menschlichen Eingriffen betroffen. Die Feuchtgebiete Europas tragen die ganze Last menschlicher Ambitionen: Mehr als die Hälfte aller Moore bilden keinen Torf mehr, etwa 10 bis 20 % sind bereits verschwunden.

Das Russische Reich baute riesige Entwässerungssysteme, um „unkultivierte“, „ungeeignete“ und „wirtschaftlich nutzlose“ Feuchtgebiete in Ackerland umzuwandeln. Mit dem Aufstieg der Bolschewiki wurden die Feuchtgebiete umgestaltet. Sie traten in eine neue Phase der Transformation ein – als Ressource. Der Bürgerkrieg in Russland (1917–1922) unterbrach den Zugang zu wichtigen Energieregionen, was zu einem Zusammenbruch des Eisenbahnnetzes und zu Treibstoffknappheit führte. Die von der Kohle aus Donezk und dem Öl aus Baku abhängigen Industrien kamen praktisch zum Erliegen. Im Jahr 1920 reagierte der GOELRO-Plan darauf, indem er neben der Wasserkraft lokale Energiequellen zweiter Wahl – Torf, Ölschiefer und Braunkohle – in den Vordergrund stellte. Der Plan sah eine Steigerung der Stromproduktion um das Siebzehnfache und der Torfgewinnung um das Elffache vor. In der Rhetorik des Sowjetstaates wurde die Elektrifizierung als „revolutionärer Durchbruch“ dargestellt, durch den die Natur in eine „unendlich nützliche und kontrollierbare Kraft“ verwandelt wurde.

Das Moor, auch als „Dornröschen“ bekannt, barg auf den ersten Blick eine „verborgene“ Energie, die nur darauf wartete, freigesetzt zu werden (Gorki, Kirsanov, Peregudov, Prishvin u. a.). In seinem Buch „Conquest of Power“ enthüllt B. P. Weinberg, dass es für den allmächtigen Menschen organisch unangenehm war, ungenutztes Potenzial zu sehen. Er versuchte, ‚grüne Faulenzer‘, die ihr Leben friedlich und ohne Nutzen für die Menschen beendeten, in gehorsame Sklaven zu verwandeln. Zu diesem Zweck wurden Institutionen wie das Haupttorfkomitee geschaffen, um die Gewinnung zu organisieren, Vorkommen zu untersuchen und die Infrastruktur aufzubauen. Projekte wie das Kraftwerk Shatura – und viele weitere in der Sowjetunion –, die als unverzichtbar für die nationale Verteidigung galten, wuchsen zu Industriestädten mit autonomen Satellitenstädten heran. Torf, einst übersehen, wurde zu einer Ressource, die sowohl Maschinen als auch Ideologien antrieb.

mₜvₜ²=mᵢvᵢ²: Das Framing der Arbeit

Die Choreografie der sowjetischen Arbeit ist untrennbar mit ihrer Geschwindigkeit verbunden. Für die Elektrifizierung wurde eine enorme Anzahl von Arbeitskräften benötigt, die in die Produktion eingegliedert und auf das mechanische Tempo der Gewinnung abgestimmt wurden. Die Arbeit wurde anhand der Menge des gewonnenen Torfs oder der Anzahl der in ‚Rekordzeit‘ eröffneten Kraftwerke gemessen. Über die Transformation (Eroberung) der Natur hinaus hatte die Elektrifizierung auch die Aufgabe, den menschlichen Körper und Geist in einen „elektrisch erleuchteten neuen Sowjetmenschen“ zu verwandeln.

Die Elektrifizierung und die parallele Industrialisierung lösten eine groß angelegte Umsiedlung der ländlichen Bevölkerung aus. Laut Volkszählung sank der Anteil der Landbevölkerung von 82 % im Jahr 1926 auf 67 % im Jahr 1939, auf 48 % im Jahr 1959 und auf 38 % im Jahr 1970. Im Jahr 1926 arbeiteten 87,9 % der 16- bis 59-jährigen Frauen in der Landwirtschaft, oft in Saisonarbeit. Die Torfgewinnung war bis in die 1960er Jahre hinein saisonal geprägt und erfolgte überwiegend in Handarbeit. Für diese Tätigkeit wurden weibliche Arbeitskräfte aus benachbarten Regionen herangezogen, die immer aus ländlichen Gebieten stammten, jedoch ethnisch und kulturell vielfältig waren: Russinnen, Mordwinen, Tschuwaschen, Tataren, Maris und Baschkiren. Sie kamen mit dem Zug an, wurden rekrutiert und in hastig errichteten Baracken in der Nähe der Abbaustätten untergebracht.

Ihre Arbeit sollte nur vorübergehend sein, doch einige von ihnen blieben. Die Siedlungen nahmen sie auf, und ihre Namen verschwanden in der homogenisierenden Logik der sowjetischen Volkszählungskategorien. „Aber was macht das schon für einen Unterschied?“, fragte ein ehemaliger Torfarbeiter und gab selbst die Antwort: „Jetzt sind sie alle Russen.“ Die Arbeit auf den Torffeldern überstieg das, was der Staat zu messen bereit war. Schmerzen, Krankheiten und Verletzungen wurden nicht erfasst. Die Arbeit war strapaziös und „primitiv“, wie ein Arbeiter es ausdrückte. Während einer achtstündigen Schicht musste eine Frau bis zu fünf Tonnen Torf tragen und jede Ladung in schnellem Rhythmus über die Schulter heben, um die Quote zu erfüllen. Pausen gab es selten. Überstunden waren selbstverständlich. Für zehn Kopeken mehr schoben sich die Arbeiter*innen bis zur Erschöpfung voran.

Die Folgen waren langanhaltend. So ergab eine medizinische Studie mit dem Titel „Rationalisierung und Verbesserung der Arbeit von Torfstecherinnen“ aus dem Jahr 1931, dass 61 von 100 Torfarbeiterinnen an chronischen Menstruationsstörungen litten. Unfruchtbarkeit war weit verbreitet. In schweren Fällen führte das langjährige Heben schwerer Lasten zu Gebärmuttervorfällen. In der Literatur und Propaganda wurden diese Frauen jedoch zu Heldinnen umgedeutet – verwandelt durch genau die Arbeit, die ihnen Schaden zugefügt hatte. Ihre Arbeit war eine unverzichtbare Ressource für die Elektrifizierung.

Imperiales Erbe

Die Vision der Sowjetunion von einer nahtlosen Transformation – von Torfmooren zu Energiequellen und Ackerland sowie von Menschen zu klaglosen Arbeitskräften – wurde weitgehend verwirklicht. Doch diese Transformation hinterließ Spuren anhaltender Gewalt: schwelende Zombiebrände, die alle 10 bis 15 Jahre zu großflächigen Waldbränden ausbrechen, erhöhte Treibhausgasemissionen, sichtbare Narben in der Landschaft, die auf Satellitenbildern zu erkennen sind, die Entvölkerung deindustrialisierter Gebiete sowie mündliche Überlieferungen von Arbeiter*innen, die durch unerbittliche körperliche Arbeit Verletzungen davongetragen haben.

Sowohl die Landschaft als auch der menschliche Körper dienen als Zeugen dieser vergangenen und anhaltenden Gewalt, denn das imperiale und koloniale Erbe endete nicht mit der Auflösung der Sowjetunion. Tatsächlich fand die sowjetische Torfpolitik in der russischen Politik eine neue Kontinuität. Im Jahr 2016 stufte die Regierung Torf als erneuerbare Energiequelle ein und versprach den lokalen Energieausbau sowie die wirtschaftliche Wiederbelebung sogenannter „deprimierter“ ländlicher Gebiete.

Die Bewohner*innen ehemaliger Arbeiter*innensiedlungen leben oft in angenehmer Nostalgie. Ich sprach mit einer ehemaligen Saisonarbeiterin in der Torfindustrie, die mir von ihrer Arbeit auf den Feldern als Teenager erzählte. Sie berichtete von strapaziösen Arbeitsquoten, bei deren Überschreitung man zehn Kopeken extra verdienen konnte, von chronischen Krankheiten und von Insektenschwärmen, die die unbedeckte Haut zerfraßen. Dennoch schloss sie mit einem bemerkenswerten Widerspruch: „Wir waren jung, das Leben war damals sehr schön und angenehm.“

Während einer Forschungsreise nach Lettland im letzten Jahr lernte ich zufällig einen Ingenieur und ehemaligen Manager der Torffabrik in Baloži kennen, der während der Sowjetzeit in meiner Heimatregion gearbeitet hatte. Unser Gespräch kam schnell auf den großen Torfbrand von 1972 in der Nähe von Moskau zu sprechen, der in den Abbaugebieten ausgebrochen war. Nur fünf Jahre später, im Jahr 1977, ratifizierte die Sowjetunion die Ramsar-Konvention und verpflichtete sich damit offiziell zum internationalen Schutz von Feuchtgebieten. Unter den 35 in Russland ausgewiesenen Gebieten befindet sich eines, dessen Koordinaten fast genau mit denen meiner Heimatregion übereinstimmen. In der offiziellen Beschreibung wird jedoch nur vage auf ein nahe gelegenes Gebiet verwiesen. Vor Ort wurde die Torfgewinnung trotz dieses formalen Schutzstatus und sogar trotz der Existenz eines Nationalparks nicht nur fortgesetzt, sondern in den letzten Jahren sogar noch intensiviert.

Fähigkeit zur Verweigerung

Im Jahr 2010 erlebte die Region einen weiteren massiven Waldbrand mit ähnlichem Ausmaß, ähnlicher Intensität und ähnlichen Emissionen. Seit 2016 hat sich die Torfgewinnung weiter ausgeweitet, insbesondere in Gebieten, die bereits zu Sowjetzeiten ausgebeutet wurden. Auch in Lettland findet die heutige Torfgewinnung auf Flächen statt, die während der Sowjetzeit entwässert wurden. Was sich aus diesen Entwicklungen ergibt, ist nicht nur eine Reflexion über die Gewinnung, sondern auch eine Wiederholung imperialer Logik im Laufe der Zeit. Moore werden nach wie vor als unerschlossene Reservoirs für Energie, wirtschaftlichen Wert oder geopolitische Stabilität dargestellt, während die Menschen, die in ihnen arbeiten, erneut zu Instrumenten staatlicher Politik oder Markteffizienz werden. Die Sprache mag sich ändern, doch die Struktur bleibt bestehen.

Wir kehren also zu der Gleichung zurück:

mₜ · vₜ² + Wₙ · hₙ ≠ mᵢ · vᵢ² + W𝒻 · h𝒻

Dies ist kein ausgeglichenes System mehr. Die Transformation war nie vollständig abgeschlossen. Die ideologische Maschine hat Lecks. Zurück bleiben ihre ungelösten Rückstände: ein Übermaß an Schmerz, Erinnerung, Verweigerung und ökologischem Widerstand. Das System besteht weiter, aber unvollkommen. Feuchtgebiete widersetzen sich jeder Klassifizierung. Körper erinnern sich an das, was Regime vergessen. Die einst projizierte Zukunft war weder ideal noch sauber, aber ihre Maschinerie dreht sich in veränderter Form weiter.

Die Torfmoore von heute zu betrachten bedeutet, sich dieser Dualität zu stellen: Sie sind Orte der Rohstoffgewinnung und Landschaften des Widerstands. Sie sind nicht nur Kulisse für Politik oder Geschichte, sondern aktive Terrains, auf denen Körper, Narrative und Ökosysteme mit den anhaltenden Folgen imperialer Transformation konfrontiert sind. Solange die ideologische Maschine läuft, besteht auch die Fähigkeit zur Verweigerung – zum Verlangsamen, zum Auslaufen oder zum Überlaufen ihrer Grenzen.

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