Foto von Positronium (by-nc-sa)
Das Künstlerkollektiv ChimPom hat ein Wandgemälde liebevoll erweitert, das sich mit der Nuklearkatastrophe von Hiroshima und Nagasaki beschäftigt: das Meisterwerk „Der Mythos vom Morgen“. Die Behörden haben diesen künstlerischen Eingriff als Vandalismus bezeichnet und umgehend entfernt. Die in Tokio ansässige Autorin Angela Jeffs ist empört.
Für einen Maler – oder einen Künstler allgemein – ist es schwer, fehlende Anerkennung oder Verständnis für das eigene Werk und den damit verbundenen inneren Kampf zu ertragen. Vincent Van Gogh hat nie ein Bild verkauft. Taro Okamoto wurde als verrückt angesehen. Und jetzt ChimPom, deren kürzlicher Kommentar über die Nuklearschmelze in Fukushima sofort von den Machthabern, unter Androhung rechtlicher Konsequenzen, entfernt wurde.
ChimPom ist eine Gruppe von sechs Künstlern, seit 2005 vorwiegend in Japan aktiv, inter-disziplinär, cross-medial. Ihre jüngste Arbeit sollte darin bestehen, Okamotos berühmtes, nahe der Tokioter Metrostation Shibuya angebrachtes Wandgemälde „Der Mythos vom Morgen“ zu erweitern. Dort, wo rechts unten im Wandgemälde buchstäblich eine Lücke klafft, fügten sie am 30. April eine Tafel hinzu. (Anm.d.Red.: Siehe Video unten.)
Vandalismus oder politische Hommage?
Auf ChimPoms Tafel sind schwarze Wolken abgebildet, die über zwei Nuklearreaktoren aufsteigen. Während die einen den Eingriff als “nuclear art stunt” beschrieben oder als kongeniale Ergänzung zu dem “broken and still-smoking nuclear plant” des Originals, diffamierten erstaunlich viele Massenmedien die ergänzende Wandtafel umgehend als Graffiti, einen Akt von Vandalismus.
Doch das Original wurde nicht beschädigt, darauf hatte ChimPom viel Wert gelegt. Außerdem haben sie – sehr klug – im Stile des Meisters gearbeitet, so dass die hinzugefügte Tafel das Werk ästhetisch verantwortungsbewusst fortsetzt. Es ist damit nicht nur ein politisches Statement, sondern eine offensichtliche Hommage an Okamotos Vision.
Ironischerweise wurde Okamoto (1911-1996) in seiner frühen künstlerischen Zeit verspottet; mittlerweile gehört er zu den angesehensten modernen Künstlern Japans. Stark von Pablo Picasso beeinflusst, wird er für seine abstrakten Gemälde und Skulpturen bewundert, wie die zur Expo in Osaka 1970 aufgestellte Skulptur „Turm der Sonne“.
„Der Mythos vom Morgen“ stellt die nukleare Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki 1945 dar und entstand zwischen 1968 und 1969 in Mexiko. Das Gemälde, bestehend aus großen Wandtafeln, verschwand später und tauchte erst 2003 wieder auf. Es gelangte zurück nach Japan und wurde vor drei Jahren im Zentrum von Tokio über einem Fußgängerüberweg bei Shibuya angebracht.
Vielleicht waren es die Verwalter von Okamotos Nachlass, die das Entfernen von ChimPoms Tafel verlangten. Dabei wurde „Der Mythos vom Morgen“ mit soviel Leidenschaft wie Picassos Meisterwerk Guernica kreiert. Es ist ein so kraftvolles politisches Statement, dass man sich leicht vorstellen kann, Okamoto wäre einverstanden mit ChimPoms Bekenntnis zu seinem auch heute noch lebendigen Mythos vom Morgen.
Anm.d.Red.: Der Text wurde von Anne-Christin Mook aus dem Englischen übersetzt.
krass!
Und das in Japan!
danke für diesen bericht, das ist beschämend, diese empörung kann ich gut verstehen, aber die nerven liegen blank!
wenn man sich anguckt (im Video sieht man das ja ziemlich genau) um was es genau geht, um ein kleines Stück, dass da ergänzt worden ist und wie es gemacht ist, kann man nur mit dem kopf schütteln, unglaublich, sowas als vandalismus zu ahnden, aber vielleicht haben die künstler einfach nur genau den nerv getroffen: das meisterwerk thematisiert eine nuklearkatastrophe, die man im lande nicht mit fukushima in verbindung gebracht sehen möchte…
Sehr schöne Aktion, die sehr prägnant auf die weit verbreitete ideologische Trennung von bösen Atomwaffen und guter Atomenergie hinweist. Dass dies erstmal als Vandalismus geahndet wird ist aber wahrscheinlich eher ein bürokratischer Reflex, als eine politische oder künstlerische wertende Äußerung. Dies wäre woanders genauso, aber gerade in Tokyo ist die Kontrolle und Kommodifizierung des öffentlichen Raums extrem ausgeprägt. Orte wie Shibuya werden als Durchgangsräume und nicht als Lebensräume konzipiert. In Deutschland gibt es ähnliche Tendenzen. Würde so etwas zum Beispiel an einer Uni passieren, würde es sofort mit Verweis auf die Brandschutzbestimmungen entfernt und ggf. mit einem Bußgeld belegt.