Es ist haeufig so mit Personen. Erst, wenn sie aus dem Leben geschieden sind, nimmt man sie sich richtig zur Brust. Als ob das Leben ein Sperre fuer die Annaeherung darstellte. So geschehen jetzt auch mit Karlheinz Stockhausen. Einstmals erstand ich die Texte Band 2, den Zeitraum 1951 bis 1963 betreffend. Unter den Texten ein Bericht ueber eine USA-Reise Ende 1958.
Die hat viele detailinteressante Aspekte, aber ein Hinweis macht mich schon richtig Erstaunen. Stockhausen zitiert eine Person, die er dort traf, einen Grossfabrikanten C.L. Der sagte ueber die jungen Leute: >In der Fabrik gibt es kein Autoritaetsempfinden und keine Arbeitsmoral mehr.< Der Fabrikant weiter: >Die jungen Leute, die in den letzten 20 Jahren mit der Psychologie gross gezogen sind [lass jedes Kind machen, was ihm einfaellt und sag ihm ja nur nichts], diese Jungen koennen sich im Berufsleben nicht einordnen. Sie sind ohne Selbstdisziplin, koennen keine Stunde lang konzentriert arbeiten, wechseln die Arbeitsstelle, ohne auf Wiedersehen zu sagen, und haben an nichts wirklich Freude.< Man macht sich ja haeufig ungenaue Vorstellungen, wann wem welche Idee zuzuschreiben waere. Wenn ich bei Stockhausen zurueckrech- ne, komme ich auf 1938. Was da vom Grossfabrikanten vorge- bracht wird ist ja diese Art von >antiautoritaerer Erziehung<. So wie sie sich im allgemeinen Volksglauben festgebissen hat, aber nur wenig mit Summerhill zu tun hat. Nur schreibt man hier eben nicht die Zeit der boesen 60er Jahre mit ihrem Aufbegehren an den Universitaeten, sondern die 40er Jahre, die in Deutschland wegen einer gewissen Heterogenitaet von Erziehungsidealen kaum in einer Klarheit erforscht wurden. Zwischen den Nazi-Idealen und der Re-Education, die dann eigentlich auf diesem Motto mitfussen muesste, waere eine problematische Spannung. Man kann natuerlich einwenden, dass dies eine spontane Beobachtung des Grossfabrikanten ist. Und dass sie sehr uebertrieben dargestellt wurde.
Doch das ist fast egal. Dass so ein Phaenomen 1938 [subjektiv] festgestellt wurde, macht es aus. Man wuerde so eine Aussage ganz einfach 1938 nicht erwarten. Jedenfalls nicht so, wie es sich in den Rueckblicksdiskursen unserer Gesellschaft darstellt [und wie es beispielsweise eine Eva Hermann fuer sich reklamieren will, ebenso wie zahlreiche Neo-Konservative – denen es uebrigens sehr gut ins Konzept passen duerfte, endlich 1933 bis 1945 abschalten zu duerfen angesichts eine Neubetonung des Jahrestages der 68er Zeit. Allerdings steht nicht zu erwarten, dass diese >Aufarbeitung< ernsthaft geschehen wird. Im Gegenteil, es bietet sich die gleich zweifache Chance deutsche Vergangenheit zu entsorgen].