1867 als Markthalle errichtet, als Zirkusgebäude genutzt, im Krieg zerstört und für DDR-Fernsehproduktionen wie “Ein Kessel Buntes” neu erbaut. Der Friedrichstadtpalast ist eine Berliner Institution, die heute eher das ältere Publikum anzieht. Auf den ersten Blick entpuppt sich aber die neue Revue “Yma” als gar nicht so züchtig wie erwartet. Doch hinter knappen Lady Gaga-Outfits und nackten Männerpopos steckt eine mehr als konservative Message.
Sie stehen gut frisiert im Foyer des Friedrichstadtpalastes. Der Sekt für die Pause steht schon beim Catering kalt. Hat sich der durchschnittlich über 60-jährige Körper einmal in den Polstersesseln vergraben, können sie sich endlich ganz der klimatisierten Inklusion hingeben. Erwartet wird ein orgiastischer Rausch aus Glitzerkostümen, verschwenderischen Bühnenbildern und gewaltigem Personal. Erwartet wird, einmal auszusteigen aus allem, was Wirklichkeit ist. Und Yma liefert.
300.000 Leuchtdioden schleudern energetische Videos in den Raum, Drehbühnen heben und senken sich, Kulissen wechseln im Sekundentakt – “Yma” ist die beste Modenschau der Welt. Designer Michael Michalsky hat wunderbar wahnsinnige Kostümexplosionen von exzellenter Lady Gaga-Tauglichkeit entworfen, die noch jedes letzte bisschen Erotik aus den trainierten Künstlerkörpern ins Licht der Schwarzlichtlampe pressen.
Echte Liebe ist Seilakrobatik
Denn auch das ist “Yma”: der beste Stripclub Berlins. Der mit einer begnadeten Stimme ausgestattete Andreas Renee Swoboda führt als Puffmutter Yma in seine Welt voll erotischer Projektionen. Knackige Männerpopos duschen hinter’m halbdurchsichtigen Plastik, Halbnackte schweben vom Himmel, andere balgen sich verführerisch im Pool. Erst später klingt in diesem Dschungel aus langen Frauenbeinen Verlorenheit und der Wunsch nach echter Liebe an. Ein Klischee, das in einer wahrhaft poetischen Seilakrobatik von Dmitriy und Olesya Shulga seine Erlösung findet.
“Yma” ist also das Fest einer entgrenzten, hoch sexualisierten Gesellschaft. Scheinbar. Denn tatsächlich verbirgt sich hinter dem Mantel aus Pornopop übelster Konservatismus. In einer Einlage impliziert Yma mehr als deutlich, dass die neuen Wahlfreiheiten der Frau zu Depression und Unentschlossenheit führen. Bedächtig nicken die Hausfrauen.
Broadway im DDR-Klotz
So entlarvt sich “Yma” nach und nach als eine Art Moulin Rouge-Museum, das dem Publikum Gelegenheit gibt, in all die schaurig-schönen Abgründe zu blicken ohne Angst zu haben, als gut situierte Dame plötzlich von den Freundinnen schräg angeschaut zu werden. Das Ticket gewährt Einlass in einen Möglichkeitsraum, in dem man Dinge sehen darf, deren Betrachtung sonst das eheliche Glück ins Wanken brächte.
Dabei kann man der Revue nicht die Professionalität absprechen. Entgleisungen à la “Captain Jack und das NDR Fernsehballett” lenken nicht davon ab, dass wir es hier mit exzellenter Unterhaltung zu tun haben. Die Qualität der Show bläst den deutschen Kleinkunstbühnenmief mal eben in eine Lichtjahre entfernte Vergangenheit. Möglicherweise steht der Friedrichstadtpalast mit seiner Strategie damit am Anfang einer neuen Unterhaltungsindustrie in Deutschland, die ihre Vorbilder in Las Vegas, New York und London sucht. Wer hätte das dem alten DDR-Klotz zugetraut.
Ey, Captain Jack ist tot. Nicht lustig!
Wir haben Captain Jack immer auf Klassenfahrt gehört, unter der Dusche. War wohl unser eigenes YMA. Cooler Text!
Richtig guter Text, mehr davon!