Meeresrauschen mitten in Berlin. Das Publikum im Hochzeitssaal der Sophiensaele lauscht abwechselnd der Stimme des Ozeans und der Stimme Sabine Waffenders. Die Schauspielerin las Texte mit Wasser-Motiven unter anderem von Franz Kafka, Barry Lopez und Charles Baudelaire und leitete damit die Podiumsdiskussion >Performance< im Rahmen des Internationalen Symposiums >Meergemeinschaft< ein. Danach diskutierten ein Kuenstler, eine Wissenschaftlerin, ein Unternehmer sowie ein kleines Meer an Zuschauern. Die vorgegebene Frage der Berliner Gazette hatte Krystian Woznicki bereits in seinem Grußwort ausgesprochen: >Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?<
Im ersten Teil ging es vor allem darum, welche Moeglichkeiten Theater und andere sinnlich-erfahrbare Ereignisse haben, Gemeinschaft zu evozieren, um dann im zweiten Teil den Fragen nach fluiden Merkmalen sowie einer vermeintlichen Krise von Gemeinschaft nachzugehen. Dabei strandeten Podiumsgaeste und Zuschauer auch an den Ufern des Gemeinschaftskonzepts >Europa<. Schlusslicht bildeten zukunftsweisende Prognosen und Perspektiven zur Konstruktion beziehungsweise Dekonstruktion von Gemeinschaft, welche im Anschluss an die Diskussion in ein Meer an Stimmen und Meinungen an einer langen Tafel bei Waffeln und Wasser muendeten. Der Unternehmer Florian B. Mueck moechte das Fest als Mittel der Vergemeinschaftung nutzen und vom 02.-09. Juli 2011 ueber drei Millionen Europaeer ein europaeisches Gefuehl, welches wie eine Welle ueber sie schwappt, gemeinsam erleben lassen. Sein Ansatz: Ein Fest schafft Gemeinschaft und die Menschen, die auf dem Fest zusammenkommen, schaffen eine gemeinsame Identitaet. Der Musiker, Komponist und Produzent Christopher Uhe sah auch in der Musik als Kunstform emanzipatorisches Potenzial Gemeinschaft zu generieren und unterlegte diese These mit dem Beispiel der Techno- und Rave-Bewegung in den 1990er Jahren. Uhes Meinung nach fand in dieser Bewegung ein Nachdenken ueber andere Formen des Miteinanders statt, es kam zur Demokratisierung im Bereich der Musikproduktion und zur Absenz des Werkes. Inge Baxmann, Kulturwissenschaftlerin und Professorin fuer Theaterwissenschaft in Leipzig, wies auf die Veraenderung von Gemeinschaftsstiftung seit der Moderne hin. Heute saehen wir in den verschiedenen Kollektivformationen der Moderne ein Problem der Abgrenzung und des Ausschlusses des Anderen. Gerade in aktuellen Inszenierungen und Debatten erkenne man ein Suchen nach Zwischenraeumen, Grenzen und Bruechen ohne eine Gesamtutopie aufzuzeigen. Ihre Prognose: Es gibt einen fliessenden, unterirdischen Strom elementarer Gemeinschaftsformen, der sich ausserhalb eines politischen Modells artikuliert. Die Werte maritimer Stroeme im Zeichen der Gemeinschaft treiben in das kastrierte Meer: den Swimmingpool namens Gesellschaft. Gemeinschaft sieht sie heute vor allem im Zusammenschluss fuer gemeinsame Ziele. Es kommt zu ihrer Aufloesung, sobald der Anlass verronnen ist. An Muecks >Europa-Festival< fand Baxmann interessant, das dort mit den Mitteln und Strukturen der Eventkultur, eventuell neue Gemeinschaftsformen geschaffen werden. Es koennten sich Zwischenraeume ergeben, die nicht planbar sind. Genau in diesem Denken von neuen Gemeinschaftsformen sah Mueck zukuenftige Chancen fuer die Bildung von Gemeinschaft. In der gemeinschaftlichen Form >Europa< erkennt er kein Gedankenkonstrukt des Ausschlusses, sondern vielmehr einen Anfang in Richtung Grenzabbau. Dem stimmte auch Christopher Uhe zu, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass die Idee Europa deshalb ueber Europa hinaus gedacht werden sollte. Um die Bedeutsamkeit der Kommunikationsfaehigkeit zwischen den einzelnen Teilen einer [sich bildenden] Gemeinschaft begann die Diskussion dann zu kreisen, als sich das Publikum mit Einwuerfen und Kommentaren einzumischen begann. Uhe fuehrte abschliessend in den thematischen Hafen zurueck. Er plaedierte fuer ein politisches Konzept von Gemeinschaft, welches von der Frage der existenziellen Notwendigkeit ausgeht. Seiner Auffassung nach, sollten jene Elemente verbindend sein, die alle Menschen zum Leben brauchen, wie beispielsweise Wasser.