Kapitalistische Herrschaft funktioniert, indem sie die Menschen voneinander trennt und abwertet. Dadurch wird die geteilte Basis zwischen Ausgebeuteten und Unterdrückten aktiv eingeschränkt. Aus strategischer Sicht könnte es daher sinnvoll sein, statt nach Gemeinsamkeiten zu suchen, Räume für Debatten, Experimente oder die Überbrückung einzelner Aspekte komplexerer Kämpfe zu kreiieren, argumentiert Anna Saave in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds”, indem sie zeigt, wie ökofeministische Verständnisse von Arbeit uns in die Lage versetzen, dieses Projekt gemeinsam anzugehen.
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Die Zeit, in der wir leben, ist verwirrend und “schwer”. Die vielerorts voranschreitende Faschisierung und die anhaltende Klimakolonialität erschweren es, nachhaltige, emanzipatorische und gerechte Gesellschaften zu gestalten. Diese drängenden Phänomene sind Spiegelbild einer tieferen strategischen Herausforderung für linke Politik. Denn die vielfältigen sozial-ökologischen Krisen haben viele Gesichter, die oft isoliert erscheinen. Wir wissen bereits, dass der Stoffwechsel des fossilen Kapitalismus die Ökosysteme und das Klima schädigt, und wir wissen, dass der fossile Kapitalismus aufgrund seiner Tendenz, externe ökologische und soziale Kosten zu verursachen, die Ursache dieser Krisen ist. Dennoch ist es schwierig, dieses systemische Verständnis in politische Allianzen zu überführen.
Bei der Suche nach einem Gegenmittel für diese strategische Herausforderung lasse ich mich von Analysen inspirieren, die auf gelebten Erfahrungen eines Lebens in fürsorglichen Gemeinschaften auf einem lebensfähigen Planeten beruhen. Solche Erfahrungen sind schwer zu finden, besonders in der Klimakrise, aber es gibt sie. Als Wissenschaftlerin ist meine Rolle bei der Lösungssuche, ein Stück Wissen einzubringen, das transformative Kämpfe, reproduktive Kräfte und abolitionistische soziale Bewegungen freisetzen kann. Ich werde mich an diesem Projekt beteiligen, indem ich mich auf die Tradition des radikalen materialistischen Ökofeminismus stütze, obwohl ich sicher bin, dass das, was gebraucht wird, nicht in einem Text steht.
Um zu sinnvollen Lösungen und zum Aufbau alternativer Lebens- und Handlungsweisen beizutragen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit und Energien auf das miteinander verbundene Projekt der eigenen Heilung, der Heilung in Gemeinschaft, was auch die Kämpfe um Versorgung und Reproduktion einschließt, und der Heilung auf planetarischer Ebene richten. Dafür bietet die Tradition des radikalen materialistischen Ökofeminismus eine solide Inspirationsquelle.
Die Gemeinsamkeiten zwischen getrennten Menschen
Mein Ziel hier ist zu argumentieren, dass eine Politik, die in einem engen Verständnis von Wirtschaft verwurzelt ist, zum Scheitern verurteilt ist, wenn es um ökologische und soziale Gerechtigkeit geht, egal wie gut gemeint ein Fokus auf Lohnarbeit und marktbasierte Versorgung auch sein mag. Um den Bereich der “offiziellen” Ökonomie zu überwinden und wirklich nachhaltige Ergebnisse zu stärken, brauchen wir neue Allianzen: Allianzen, die die Trennung zwischen formeller und informeller Arbeit, bezahlter und unbezahlter Arbeit, sozialer Versorgung auf und außerhalb der kapitalistischen Märkte überwinden. Wir brauchen Allianzen, die gemeinsam dafür kämpfen, die Verlagerung von Kosten in entwertete Bereiche zu stoppen – Allianzen, die versuchen, die Externalisierung zu minimieren. Wenn eine Grenze gezogen wird, sei es räumlich oder zwischen Gruppen von Menschen, werden Kosten, in welcher Form auch immer sie externalisiert werden können, über diese Grenze in einen anderen, abgegrenzten, scheinbar nicht-ökonomischen Bereich verschoben. Dies reicht von der Verlagerung von Umweltrisiken in die Peripherie bis hin zur Verlagerung der sozialen Kosten der Reproduktion von Arbeitskräften in den Bereich des Privaten. Wir brauchen Allianzen, die sich dafür einsetzen, diese Logik des Wirtschaftens zu überwinden und den symptomorientierten Lösungsansatz des grünen Wachstums abzulehnen.
Solche Allianzen würden Klimaaktivist*innen, unbezahlte Pflegende, rassifizierte als auch privilegiertere Lohnarbeiter*innen zusammenbringen. Es ist schwer zu sagen, was ihr Bündnisgrund sein könnte. Schließlich funktioniert Herrschaft im Kapitalismus durch die Trennung der Menschen und die Abwertung der meisten von ihnen. Dadurch wird die gemeinsame Basis zwischen den getrennten Menschen aktiv eingeschränkt. Der Kapitalismus stützt sich auf “billige Arbeitskräfte“, die auf der Grundlage von Rassen-, Geschlechter- und vielen anderen Stereotypen manche Menschen als weniger wertvoll erscheinen lassen. Daher wird das Projekt, Kämpfe zu vereinen, durch die Tatsache vereitelt, dass Gruppen von Menschen ständig gegeneinander ausgespielt werden. Anstatt nach Gemeinsamkeiten zu suchen, wäre es vielleicht einfacher und strategisch sinnvoller, Räume für Debatten, Experimente oder Brücken zwischen einzelnen Themen komplexerer Kämpfe zu schaffen. Wenn es schon schwierig ist, gemeinsame Interessen aufgrund der eigenen Positionierung in der globalen Arbeitsteilung im Kapitalismus zu finden, so kann zumindest eine gemeinsame Sehnsucht zu einer gemeinsamen Basis werden.
Im Folgenden möchte ich untersuchen, auf welche Weise der radikale materialistische Ökofeminismus bereits den Boden für die Schaffung von Bündnisgrundlagen bereitet hat, und ich möchte vorschlagen, dass ökofeministische Verständnisse von Arbeit unsere Bündnisgrundlagen sind.
Den Boden für neue Bündnispolitik bereiten
Der radikale materialistische Ökofeminismus weist auf Tätigkeiten, Prozesse und Ressourcen hin, die oft als reproduktiv bezeichnet werden und von denen der Kapitalismus über das Lohnverhältnis hinaus abhängt. Er fordert daher ein genaueres, erweitertes Verständnis des sozial-ökologischen Stoffwechsels, einschließlich der Reproduktionsarbeit und der ökologischen Prozesse. Insbesondere aus der Perspektive der kapitalistischen Zentren im Globalen Norden muss das Spektrum linker Politik dramatisch erweitert werden: Feministische Kämpfe, abolitionistische Kämpfe, Anti-Grenzpolitik und Klima-Dekolonisierung müssen zu zentralen Bestandteilen der Bündnisbildung werden. Ein solcher ganzheitlicher Ansatz erfordert auch ein neues Verständnis von Arbeit.
In einem Interview aus dem Jahr 2009 wurde Maria Mies, die einflussreiche ökofeministische Denkerin, gefragt, wie ein feministisches Konzept von Arbeit aussehen könnte. Mies argumentierte, dass “[ein] feministisches Konzept von ‘Arbeit’ nicht auf Herrschaft beruhen kann […]” und “die räuberische ökonomische Beziehung zwischen Menschen und ‘Natur’ durch eine kooperative Beziehung ersetzen muss.” Dies zeigt den Perspektivenwechsel, der notwendig ist, um Bündnisgrundlagen zu schaffen: Kann es ein gemeinsamer Wunsch von Klimaaktivist*innen, Pflegenden, prekär Beschäftigten und privilegierteren Lohnarbeiter*innen werden, frei von Herrschaft zu sein und Kooperation zu praktizieren?
Ariel Salleh hat ein ökofeministisches Konzept von Arbeit entwickelt, das eine Anleitung für diesen Wandel bietet. Ihr Konzept meta-industrieller Arbeit bezieht sich auf “Arbeiterinnen, die nominell außerhalb des Kapitalismus stehen und deren Arbeit metabolische Transformationen katalysiert – seien es Bäuerinnen, Sammler*innen oder Eltern”. Meta-industrielle Arbeit ist Arbeit, die umfassender ist als Arbeit im industriellen Kapitalismus, weil sie menschliche und natürliche Zyklen vermittelt. Sie umgibt die industrielle Arbeit und schafft die Bedingungen für ihre Reproduktion und die Absorption der von ihr verursachten Schäden.
Obwohl meta-industrielle Arbeit nicht die Form von formaler Lohnarbeit annimmt und in der gängigen Wirtschaftstheorie und -praxis nicht als Beitrag zur “Wirtschaft” angesehen wird, ist sie allgegenwärtig und wertvoll. Meta-industrielle Arbeit wird von allen geleistet, die sammeln, pflegen oder Dinge instand halten. Obwohl diese Arbeit allgegenwärtig ist, ist sie weltweit ungleich verteilt und in hohem Maße geschlechtsspezifisch und rassistisch geprägt. Trotz der realen Verstrickungen von Bäuer*innen und Eltern in die globale kapitalistische Wirtschaft liegt eine Stärke von Sallehs Konzept darin, dass es Menschen, die an sehr unterschiedlichen Orten und in sehr unterschiedlichen Kontexten arbeiten, miteinander verbinden kann und dennoch ihre Gemeinsamkeiten mit der kapitalistischen Lohnarbeit aufzeigt, vor allem, dass sie alle die Reproduktivität fördern. Das Konzept der meta-industriellen Arbeit ist ein Instrument, um verschiedene Kämpfe zu vereinen und ein ökofeministisches Klassenbewusstsein zu inspirieren. Die Arbeit neu zu denken, ist selbst ein Weg, um den Boden für neue Allianzen zu betreten.
Die Politik der meta-industriellen Arbeit
Meta-industrielle Arbeiter*innen können nicht zuletzt deshalb als Schlüssel zur Überwindung der sozio-ökologischen Krise angesehen werden, weil ihre Praxis (re)produktiver und lebenserhaltender ist als das, was Petrokulturen und fossiler Kapitalismus vorschreiben. Meta-industrielle Arbeiter*innen können jedoch in die Kreisläufe der Kapitalakkumulation hineingezogen werden und werden dies auch oft. Unter diesen Umständen ermöglicht ihre Fähigkeit, zwischen menschlichen und natürlichen Kreisläufen zu vermitteln, kapitalistische Kontinuitäten. Daher muss sich die Linke vor Augen halten, dass meta-industrielle Arbeit keine nachhaltigen Ergebnisse erzielen kann, wenn sie durch soziale Organisation an ausbeuterische oder extraktivistische Formen des Wirtschaftens gebunden ist.
Aus der Kenntnis der meta-industriellen Arbeit ergeben sich zahlreiche Schlussfolgerungen. Ganz grundsätzlich gibt es noch viel zu lernen. Das Wissen um den kapitalistischen Stoffwechsel mit der Natur, der soziale, räumliche und zeitliche Ungleichheiten verstärkt, ruft alle im Globalen Norden dazu auf, sich der Klimakolonialität bewusster zu werden. Zudem gilt es sich bewusst zu machen, dass Klimagerechtigkeit den reichen Klassen mehr Angst macht als der Klimawandel. Es ist nötig, sich bewusst zu machen, dass Technologien, insbesondere solche, die die Kohlenstoffbindung ermöglichen sollen, das Klima nicht retten werden, sondern uns eher vergessen lassen, dass nachhaltige Formen des Zusammenlebens und -handelns dies tun werden. Und nicht zuletzt müssen wir erkunden, wie die eigenen Kämpfe durch gemeinsame Anstrengungen, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit abolitionistischen Bewegungen, in Einklang gebracht und radikalisiert werden können.
Wenn ein ökofeministisches Verständnis von Arbeit den notwendigen Boden für neue Bündnispolitik bereitet, dann müssen wir Arbeitssubjektivitäten fördern, die gegen Herrschaft gerichtet sind, das heißt, wir müssen auf Lebensgrundlagen und Arbeitssubjektivitäten hinarbeiten, die in der Lage sind, die Aufrechterhaltung von Herrschaftssystemen zu verweigern. Ein ökofeministisches Klassenbewusstsein speist sich aus dem Bewusstsein, dass Klimawandel und umweltbezogene Gewalt, wie Stefania Barca betont, “die neueste Form des Klassenkampfes sind – wie immer in Verbindung mit geschlechtlicher und rassischer Herrschaft”. Der Aufbau eines ökofeministischen Klassenbewusstseins beginnt damit, zu wissen, wer die meta-industriellen Arbeiter*innen sind. Es ist ein Irrglaube, dass es sich dabei nur um Menschen wie Bäuer*innen oder Mütter von kleinen Kindern handelt, deren ganzer Körper in die Reproduktionsarbeit eingebunden ist. Der radikale materialistische Ökofeminismus macht den kapitalistischen gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur und die Logik hinter seiner Organisation immer deutlicher: “Arbeit ist ein (vergeschlechtlichter und rassifizierter) Vermittler des sozialen Stoffwechsels”, und im Kapitalismus vermittelt Arbeit den gesellschaftlichen Stoffwechsel auf kapitalistische Weise. Die Ökosystemleistungen, die wir brauchen, sind stattdessen das Produkt vermittelter Beziehungen der Erhaltung, Pflege und Koproduktion.
Zeit zurückgewinnen
Der vom radikalen materialistischen Ökofeminismus ermöglichte Boden neuer Bündnispolitik ist nicht zuletzt stark von der Rückgewinnung von Zeit geprägt. Da Zeit für Care-Arbeit sowohl in bezahlten als auch in unbezahlten Arrangements knapp ist, muss die Rückgewinnung von Zeit noch stärker als wichtiger Baustein im Mosaik der Gestaltung alternativer Ökonomien anerkannt werden: Zeit, um sich zu kümmern, Zeit, um gepflegt zu werden, Zeit, um Dinge anders zu tun, und Zeit, um zu trauern und sich zu erinnern.
Transformation in diesem Sinne bedeutet, dass wir es wagen, einen anderen sozialen Stoffwechsel zu fordern, mit niedrigen externen Kosten, aber reichlich reproduktiven Qualitäten und viel Zeit, und dass wir es wagen, Strategien zu entwickeln, um dies zum Standard für die Organisation der Wirtschaft zu machen. Meta-industrielle Arbeiter*innen zu werden, d.h. materiell aus den Lohnarbeitsverhältnissen auszusteigen und nachhaltige Arbeitsverhältnisse zu schaffen, bedeutet, Ansprüche im Sinne der eigenen Gesundheit zu entwickeln und zu artikulieren. Es bedeutet in einem Umfeld zu leben und zu arbeiten, in dem unsere externen Kosten niedrig sind und es leicht wird, zur Reproduktivität beizutragen.
Zu einer solchen Heilung gehört es, sich der eigenen Erschöpfung bewusst zu werden, die darauf zurückzuführen ist, dass nicht genug Zeit ist, sich zu kümmern oder sich umsorgen zu lassen, auf mehreren Ebenen. Zu heilen bedeutet auch zu lernen, zu erkennen, wann es an der Zeit ist, zu Sorge zu empfangen und wann es an der Zeit ist, anderen Sorge zukommen zu lassen. Für einen gemeinsamen Kampf auf dem Boden neuer Bündnispolitik brauchen wir dies und die gründliche Analyse, die der radikale materialistische Ökofeminismus hinsichtlich des strukturellen Zusammenhangs zwischen kapitalistischen Wachstumsimperativen, ökologischer Krise und der Entwertung (re)produktiver, meta-industrieller Arbeit bietet. Die nötige Transformation ist keine Frage der Schuld oder des Verlustes individueller Autonomie, sondern eine Frage wahrer Freiheit.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Schauen Sie mal rein: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds