Die Unabhängigkeit der Wissensproduktion steht an Universitäten unter Druck. In Deutschland und Österreich sind insbesondere kritische kulturanalytische Ansätze, wie die Geschlechter- und Postkolonialen Studien, davon betroffen. Diese Ansätze, die sich für die Gleichberechtigung aller Menschen einsetzen und die strukturell verankerten Gewaltmonopole des Globalen Nordens kritisieren, scheinen Menschen aus dem politischen Spektrum zwischen Konservatismus und (Neo-)Faschismus zu provozieren. Ihre Attacken auf einzelne Wissenschaftler*innen und Universitäten werden immer häufiger und ungenierter. Doch damit greifen sie nicht nur die vermeintlich ‚woken‘ Fächer an, sondern auch die Hochschulautonomie. Diese besorgniserregenden Entwicklungen kommen zu den ohnehin prekären Beschäftigungsverhältnissen der meisten Universitätsmitarbeitenden hinzu (#IchBinHanna) und lassen befürchten, dass kritische Räume an Universitäten in Zukunft von rechts geschlossen werden. Wer schützt sie? Ein Kommentar von Melanie Konrad, Laura Mücke und Katharina Seibert.
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Sie tragen angeblich Berliner Hipster Chic, sie haben Regenbogen- und FCKNZS-Pins an ihren Bauchtaschen, sie können politisch korrekt sprechen und sie wissen alles besser. So sehen die vermeintlichen Feinde aus, gegen die die selbsternannten Feldzügler der Anti-Wokeness zum Halali aufrufen. Großstädte wie Berlin und Wien werden zum Feindbild eines ‚wahren Deutschlands‘ oder ‚wahren Österreichs‘.
Die Medien bezeichnen dies als ‚Kulturkampf‘ – und dieser radikalisiert sich derzeit mit besorgniserregender Geschwindigkeit. Um zwei Beispiele zu nennen: Allein im letzten Jahr bedurfte es großer Anstrengungen von Stadtverwaltungen, örtlichen Polizeikräften und einer solidarischen Antifa, um die Mehrheit der Pride-Veranstaltungen in Deutschland halbwegs friedlich abhalten zu können. In Österreich wurde unlängst ein Netzwerk selbsternannter ‚Pedo-Hunter‘ ausgehoben – eine über den Nachrichtendienst Telegram organisierte Gruppe Rechtsextremer, die via Dating-Apps mit schwulen und heterosexuellen Männern in Kontakt trat, um sie zu überfallen und zu verprügeln.
Doch dieser ‚Kulturkampf‘ beschränkt sich nicht auf die Sozialen Medien oder die Feuilletons. Er lässt sich auch nicht über die Frage erklären, wer genau jeweils Cancel Culture betreibt: die ‚woken Hipster‘, die CSU, die FW, die AfD, die sogenannten linken Gruppierungen oder die FPÖ. In den letzten Jahren sind zunehmend auch gesellschaftskritische wissenschaftliche Perspektiven zur Zielscheibe für rechte Querschüsse geworden. Im Februar 2025 etwa hat die Fachgesellschaft für Gender Studies einen offenen Brief veröffentlicht und darin auf Alice Weidels Forderung am AfD-Parteitag geantwortet, dass Gender Studies in Deutschland abgeschafft werden sollen. Dieser offene Brief ist nur eine von vielen Stellungnahmen zahlreicher Wissenschaftler*innen und Institutionen im deutschsprachigen Raum. Schon seit Jahren warnen diese und aufmerksame Beobachter*innen vor den gegenwärtigen Entwicklungen: Die Angriffe von rechts gegen plurale Gesellschaftsentwürfe, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte nehmen nicht nur zu, sondern sie werden auch immer schamloser und aggressiver. Überall.
Ist das noch ‚Kulturkampf‘?
Längst geht es nicht mehr darum, ob Behörden diskriminierungssensible Sprache verwenden sollen oder nicht. Heute, im Sommer 2025, geht es im Klartext um Kürzungen von Forschungsgeldern und um ernstzunehmende Angriffe auf unabhängige und kritische Wissensproduktion. Ein erster trauriger Höhepunkt war bereits im Mai 2024 zu beobachten. Als Antwort auf einen offenen Brief von Lehrenden an Berliner Universitäten zum ‚Recht auf friedlichen Protest‘ auf dem Campus und über die Verantwortung von Hochschulen, Räume für Debatten trotz Kontroversen offen zu halten, wollte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger a. D. (FDP) die Unterzeichnenden des Briefs individuell ‚prüfen‘ lassen. Ihnen seien womöglich wegen „strafrechtlich relevanter Inhalte (etwa in die Richtung Volksverhetzung o.ä.)“ bereits erhaltene Forschungsfinanzierungen zu entziehen. Dass dieser Eklat nicht zum Rücktritt der Ministerin führte, sondern mit einem Bauernopfer – der Entlassung von Staatssekretärin Sabine Döring – abgetan werden konnte, ist symptomatisch.
Ein zweiter Höhepunkt: Ende März 2025 brachte in Rheinland-Pfalz die FW-Politikerin Lisa-Marie Jeckel eine sogenannte Kleine Anfrage ein, die die Wissenschaftsautonomie bestimmter Fächer infrage stellt. Die Anfrage forderte die rheinland-pfälzische Landesregierung dazu auf, ihr Verständnis der Critical Race Theory offenzulegen sowie konkrete wissenschaftliche Institutionen und Forschungsprojekte zu listen, die sich mit ihr beschäftigen. Eine wortgleiche Kleine Anfrage wurde bereits im Juli 2024 von der AfD an den hessischen Landtag gestellt.
Ende April 2025 hat die FPÖ in Österreich ebenfalls eine Anfrage an die Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung herangetragen. Darin forderte sie die Ministerin auf, die vermeintlich „linksextremistischen und antisemitischen Umtriebe an der Universität für Angewandte Kunst“ zu überprüfen, die sie u.a. mit dem Gaza-Krieg in Verbindung bringt. Dabei werden die ‚Sorge‘ um problematische Inhalte und eine Diskussion über Antisemitismus schlicht vorgeschoben, um namhafte Forscher*innen zu diskreditieren und Diskussionsräume zu schließen. Das zeigt sich auch daran, dass keinerlei Interesse an einer kritischen Diskussion über Antisemitismus besteht.
Kleine Anfragen, so hat es Magdalena Beljan für den afg erklärt, seien „grundsätzlich […] ein wichtiges Mittel der parlamentarischen Kontrolle“. Doch nutzen Parteien wie die AfD diese als Mittel, um demokratische Institutionen oder Universitäten in ihrer Förderpolitik von Gleichstellungsanliegen und gesellschaftskritischen Fächern infrage zu stellen. Auch die Union hat kürzlich eine solche Kleine Anfrage zur politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen gestellt. Bürokratieabbau sieht anders aus. Denn diese Strategie bindet Arbeitszeit und Ressourcen und damit Steuergeld, das für Wichtigeres gebraucht wird: für mehr soziale Gerechtigkeit, mehr bezahlbaren Wohnraum, zur Bekämpfung von Kinderarmut, für Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft – und für mehr kritische Forschung.
Nur kritische Forschung ist innovativ
Der unbestreitbare gesellschaftliche Wert unabhängiger Forschung liegt in ihrer Fähigkeit, angesichts der Komplexität der Welt neugierig und selbstkritisch zu bleiben und auch unangenehme Fragen zu stellen. Nur kritische Forschung ist somit auch innovative Forschung. Kritische Fächer wie Gender Studies, Migrationsforschung und Postcolonial Studies verweigern sich einfachen Antworten. Sie fordern Komplexität ein und können Dissonanzen aushalten.
Im Poltern gegen diskriminierungssensible Sprache und gegen die Berücksichtigung marginalisierter Lebenswelten in der Wissensproduktion wird somit Eines konsequent übersehen: Diese Forschungsperspektiven sind kein „verzichtbares Doppelangebot“ an Universitäten. Sie sind Teilbereiche der Grundlagenforschung, die wir benötigen, um gesellschaftliche Prozesse und soziale Ungleichheiten besser zu verstehen. Geschlecht ist auch in vermeintlich geschlechtsneutralen Fächern wie der Klimaforschung, der Informatik, der Rechtswissenschaft und der Medizin schon längst eine unverzichtbare Kategorie geworden. Ohne sie wüssten wir beispielsweise heute nicht, dass ein Herzinfarkt bei Frauen andere Symptome verursachen kann und dass KI bestehende Machtverhältnisse verstärkt. Angriffe auf die Gender Studies sind somit ganz klar Angriffe auf die Wissenschaft und ein faktenbasiertes Weltbild.
Wenn allerdings in der gegenwärtigen Auseinandersetzung Wissenschaftler*innen auf „Wissenschaftsfreiheit“ pochen, meinen sie nicht nur, dass sie ein verfassungsmäßig geschütztes Recht darauf haben, ihre Forschung unabhängig von parteipolitischem Agenda-Setting durchzuführen. Wie die NUWiss und NGAWiss fordern sie auch, dass anerkannt wird, dass innovative und kritische Forschung Zeit, Ressourcen und stabile Arbeitsverhältnisse benötigt. Aus diesem Szenario ergibt sich für uns ein klarer und überfälliger Handlungs- und Verantwortungsbedarf: Die Grundlagenforschung muss geschützt und gefördert werden, denn sie ist für ein friedliches Miteinander, die Demokratie und somit für unsere Zukunft unverzichtbar.
Doch wie stehen die Chancen? In Deutschland blicken Beobachter*innen mit Skepsis auf die neue Ministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, Dorothee Bär (CSU). Für progressive Sozial- und Frauenpolitik ist diese nicht bekannt. Ob und wie sie die im Koalitionsvertrag formulierten Absichten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft umsetzt und den „Anteil von Frauen an wissenschaftlichen Führungspositionen“ erhöht, bleibt abzuwarten. In Österreich setzen derzeit viele ihre Hoffnung auf die Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung, Eva-Maria Holzleithner (SPÖ), die sich selbst als Feministin bezeichnet und „Wissenschaft und Forschung als zentrale Säulen der Gesellschaft versteht.“ Angesichts der schlechten Wirtschaftszahlen in Österreich und einem daraus resultierenden geschrumpften Budget muss sie aber erst zeigen, was unter diesen Bedingungen möglich ist.
Denn eines ist klar: Auch wenn die politische Großwetterlage derzeit düster scheint, kann die Bilanz der Geschlechterforschung sich sehen lassen. Vor etwa 50 Jahren begann ihr Akademisierungsprozess, bei dem sich eine heterogene, aktivistische Bewegung in wissenschaftliche Disziplinen verwandelte. Mittlerweile haben sich die Geschlechterstudien zu einem der produktivsten und internationalsten Forschungszweige entwickelt. Ihr Wissen wandert produktiv zwischen Disziplinen und hat sich über die Fachgrenzen hinweg etabliert. Und die Effekte sind deutlich spürbar. Wissen ist heterogener, weil diverser, geworden: weniger Elfenbeinturm, mehr gesellschaftliche Augenhöhe. Auch die studentische Nachfrage bleibt anhaltend hoch. Lehrveranstaltungen mit intersektionalen Themen sind regelmäßig überfüllt und, wenn nötig, gründen Studierende vielfach weitere, eigene Lernzusammenhänge. Nochmal: Geschlechterforschung hat kein Interesse an Spaltung. Das lässt sich allerdings über die Attacken von (mitte-)rechts nicht sagen.