Soziale Probleme werden in unserer Gesellschaft gerne beiseite geschoben. Gibt es dafür nicht Sozialarbeiter und zuständige Behörden? Raul Krauthausen ist auf einen Rollstuhl angewiesen und packt lieber selbst an. Der Sozialunternehmer entwickelt dazu neuartige Werkzeuge und Initiativen. Wie er in seiner Arbeit mit Konflikten umgeht und mit wem er Allianzen schmiedet – darüber berichtet er für unser Jahresthema „Komplizen.“
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Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, mich mit einem Freund immer wieder in demselben Café zu treffen. Ein Café, von dem wir wussten, dass ich es auch mit meinem Rollstuhl problemlos besuchen kann. So entstand die Idee zu wheelmap.org. Dabei ist die interaktive Karte, auf der man rollstuhlgerechte Orte eintragen kann, keine endgültige Lösung dieses Problems, sondern ein fortwährender Prozess.
wheelmap.org: Der wichtigste Komplize ist der Nutzer
Ich glaube, dass es in jeder Arbeit Konflikte gibt, auch wenn meine Arbeit nicht unbedingt davon geprägt ist. Konflikte können auch nur die unterschiedlichen Puzzleteile eines Projektes sein. Natürlich hat ein Entwickler auf unser Projekt wheelmap.org einen anderen Blick und eine andere Einstellung, als vielleicht die Grafikerin. Nichtsdestotrotz haben alle im Team den Anspruch, dass das Projekt gut werden soll und wir müssen im Konfliktfall den Kompromiss suchen.
Dabei ist unser größter Komplize der Wheelmap-Nutzer und wir überlegen uns bzw. fragen, was jemand erwartet, wenn er das Projekt besucht. Leider sind manche Sachen nicht so einfach umzusetzen, wie andere und somit kommt es zu einem neuen Konflikt: Das Problem der transparenten Kommunikation.
Inzwischen hat die Plattform eine große Community von Menschen, die selbständig rollstuhlgerechte Orte eintragen. Und so eine Community ist nicht still, sondern kommuniziert. Ob es nun um technische Probleme mit der Karte geht oder andere Sorgen: Wie kann man vermitteln, warum manche Probleme schon gelöst sind und andere noch nicht, ohne dass die Kommunikation zu kleinteilig wird und man dann beim Projekt nicht mehr weiterkommt?
Doch vielleicht passt das Wort „Komplizen“ im Kontext unserer Arbeit gar nicht so gut. Ich würde eher von Partnerschaften sprechen, die sich immer wieder neu bilden können. Hier werden keine verbindlichen Vereinbarungen getroffen, wie ich es bei einer Komplizenschaft erwarten würde.
An Vorstellungen arbeiten, nicht an „einer Sache“
Grundsätzlich versuche ich immer an Zielen zu arbeiten, die unabhängig von Personen oder Unternehmen sind. Zudem versuche ich mit Projekten keine anderen zu ersetzen oder in Konkurrenz zu treten, weil ich glaube, dass es im Bereich des Sozialen viele Projekte geben kann.
Diese beiden Denkanstöße sind aber schwer zu kommunizieren, weil die weitläufigen Vorstellungen in Projektbereichen von Konkurrenz ausgehen. Deswegen suche ich eher nach Komplizen, die nicht an „einer Sache“, sondern an Vorstellungen mit mir arbeiten.
Diese können dann wiederum mehrere Projekte umfassen. So ist beispielsweise ImmobilienScout24 ein wichtiger Förderer geworden. Sie stellen ein Büro und zahlen einen Entwickler für wheelmap.org. Gemeinsam überlegen wir, was ImmoScout zu mehr Barrierefreiheit beitragen kann. So haben wir auch nicht das Gefühl ein Projekt der CSR-Abteilung zu sein, sondern Partner.
Der Gegensatz zwischen „sozial“ und „Unternehmertum“ und wie man ihn fruchtbar macht
Hinter dem was mache, steckt die Idee des sozialen Unternehmertums. Es geht darum, den vermeintlichen Gegensatz zwischen “sozial” und “Unternehmertum” zu überwinden, doch die Definitionen davon gehen auseinander. Die einen wollen Social Businesses aufbauen, die sich unabhängig vom Staat finanzieren und die anderen wollen im Sozialbereich Geld verdienen.
Beide Wege finde ich ein bisschen schwierig. Einerseits denke ich: Wenn man Sozialarbeit macht, da kann man auch Geld vom Staat verlangen, weil man ihm Aufgaben abnimmt. Andererseits sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, dass man im Sozialbereich ein Unternehmen aufbauen kann, das eine Rendite erwirtschaftet.
Genau das geht in diesem Bereich nämlich nicht. Der „Kunde“ für den man das Soziale Unternehmen aufbaut, der hat kein Geld oder sollte nichts bezahlen müssen. In dem Moment, wo man Gewinn erwirtschaften möchte, kommt man in den Konflikt, dass man nicht mehr alles Geld an Spenden etc. in Projekte stecken kann bzw. es mehr als die 10% Overhead werden, die im Verein bleiben.
Aus diesem Grund sehen wir uns als Aktivisten, die Projekte starten mit dem Gedanken, ein soziales Problem zu lösen – also uns selber abzuschaffen. Natürlich könnte das jetzt bei dem Thema Barrierefreiheit noch lange dauern, aber unsere Projekte sind so konzipiert, dass sie theoretisch auch andere machen können und wir uns wieder anderen Themen widmen können.
Anm.d.Red.: Der Verfasser hat wheelmap.org zusammen mit dem gemeinnützigen Verein Sozialhelden ins Leben gerufen. Bei den meisten Lösungen und Projekten des Vereins spielt das Internet und die Kommunikation mit UserInenn eine sehr wichtige Rolle. Das Foto oben stammt von Christian Straub und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.
danke, das ist eine schöne Inspiration, diese Komplizenschaft, vielleicht ist das so etwas wie die “accidental conspiracy” von der ein Schriftsteller neulich sprach, in einem etwas anderen Sinn vielleicht, hier der Link zum Zitat:http://craphound.com/?p=4783