Welche Bedeutung hat Nationalismus für die Demokratiebewegung in Serbien?

Aleksandar Vučić, Nationalflagge Serbiens und die Gespenster der Demokratie. Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)
Aleksandar Vučić, Nationalflagge Serbiens und die Gespenster der Demokratie. Artwork: Colnate Group, 2025 (cc by nc)

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist seit 2012 an der Macht und wird sowohl von westlichen als auch von östlichen Verbündeten weithin als Stabilitätsgarant angesehen. Anstatt sich ausschließlich einem geopolitischen Block anzuschließen, versucht das Vučić-Regime, ausgewogene und kooperative Beziehungen zu mehreren Weltmächten aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck hat Vučić die von Student*innen angeführten Proteste, die durch den Einsturz des Bahnhofsdachs in Novi Sad am 1. November 2024 ausgelöst wurden, je nach Publikum entweder als vom Westen unterstützt oder als von Russland beeinflusst dargestellt. In ihrem Artikel erklärt Gresa Hasa, dass solche Verzerrungen und Delegitimierungen die innenpolitische Opposition verschleiern und gleichzeitig Spaltung, Hass sowie eine nationalistische Denkweise konsolidieren, die selbst die Bewegung gegen das Regime von Vučić nicht überwunden hat.

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Was als studentische Bewegung in Serbien begann und durch den Einsturz des Bahnhofsdachs in Novi Sad am 1. November 2024 ausgelöst wurde, entwickelte sich bald zu einer landesweiten Mobilisierungswelle, die sogar die Proteste übertraf, durch die Slobodan Milošević im Jahr 2000 gestürzt wurde. Ein Jahr später dauern die Demonstrationen und der Widerstand gegen das Regime von Aleksandar Vučić an. Bislang hat die serbische Regierung mit repressiven Maßnahmen gegen studentische Aktivist*innen und engagierte Bürger*innen reagiert, darunter körperliche Gewalt, Vergewaltigungsdrohungen und Massenverhaftungen.

Die Studierenden haben im Allgemeinen eine bemerkenswerte politische Reife bewiesen – sowohl in ihrer internen Organisation als auch in ihrer Fähigkeit, die Dynamik aufrechtzuerhalten und die Bewegung im Laufe des Jahres auszuweiten. Von Blockaden an Universitäten bis hin zu Straßenprotesten und von Demonstrationen in Städten bis hin zu EU-Hauptstädten wie Brüssel und Straßburg – einer der überzeugendsten Aspekte des Widerstands war seine Praxis der direkten Demokratie. Die sogenannten Studierendenversammlungen entwickelten sich schließlich zu Bürger*innenversammlungen – öffentlichen Foren, in denen sich Studierende und später auch Bürgerinnen und Bürger innerhalb ihrer Fakultäten oder Nachbarschaften organisierten, um gemeinsam durch Mehrheitsbeschlüsse Entscheidungen zu treffen und die Fortsetzung der Proteste zu steuern sowie andere dringende Probleme der Gemeinschaft anzugehen.

Während sich die ursprünglichen Forderungen der Proteste auf Transparenz und Rechenschaftspflicht im Zusammenhang mit der Tragödie von Novi Sad konzentrierten, nahm die Bewegung nach und nach eine kritischere Haltung gegenüber dem gesamten politischen System ein. Die Demonstranten forderten eine auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basierende Gesellschaft und verlangten den ganzen Sommer über vorgezogene Neuwahlen und die Bildung einer Übergangsregierung. Sie forderten strukturelle Veränderungen und nicht nur symbolische Verbesserungen innerhalb des bestehenden Rahmens.

Nationalismus als Motor für grundlegende Veränderungen

Die Bewegung hat Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammengebracht, darunter auch Gruppen, die oft als widersprüchlich oder sogar problematisch angesehen werden, wie die Mitglieder der Special Operations Unit (‚Rote Barette‘) und der Serb Volunteer Guard, die von Željko Ražnatović (‚Arkan‘ bzw. ‚Arkan Tigers‘) gegründet und angeführt wurden. Dabei handelt es sich um paramilitärische Strukturen aus den 1990er Jahren, die für Kriegsverbrechen während des Zerfalls Jugoslawiens, insbesondere in Bosnien und Herzegowina und im Kosovo, verantwortlich sind. In einem bemerkenswerten Phänomen marschiert die radikale Linke Serbiens nun Seite an Seite mit der extremen Rechten. Beide lehnen aus ihren jeweiligen Gründen die Entscheidung Vučićs ab, was zeigt, dass die Unzufriedenheit mit dem Regime weitaus größer ist als erwartet.

Obwohl der Nationalismus in der Anfangsphase der Proteste keine tragende Rolle spielte, waren von Anfang an ultranationalistische Banner und Symbole wie Karten des Kosovo mit der serbischen Flagge und der Aufschrift ‚No Surrender‘ präsent. Diese Darstellungen wurden jedoch allgemein als Einzelfälle angesehen und nicht als repräsentativ für die Bewegung als Ganzes. Als die Bewegung wuchs, erwies sich der Nationalismus in ihren Reihen jedoch als mehr als nur ein Einzelfall.

Anders als bei früheren Protesten, bei denen Kriegsveteranen aus den 1990er Jahren und Personen, die Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg verherrlichten – wie beispielsweise der Chetnik-Führer Draža Mihailović – sichtbar präsent waren, stellten diese Elemente dennoch nicht die Mehrheit dar. Ihre Anwesenheit wurde weder offen kritisiert, noch distanzierten sich die Organisator*innen oder Teilnehmer*innen davon. Stattdessen wurde ihre Anwesenheit gerechtfertigt oder als nicht repräsentativ für die breitere Bewegung abgetan. Das Versäumnis, sich mit rechtsextremen Elementen auseinanderzusetzen, bereitete den Boden für eine deutlichere Darstellung nationalistischer Themen während der Demonstration am 28. Juni, die einen eindeutigen Wendepunkt markierte.

Die Entscheidung, am St.-Veistag zu mobilisieren, war von hoher symbolischer Bedeutung. An diesem Tag fand 1389 die Schlacht auf dem Amselfeld statt, bei der serbische Truppen auf osmanische Truppen trafen. Dieses Datum hat eine tiefe nationalistische Bedeutung und spielte eine zentrale Rolle bei der Mythologisierung der nationalen Identität in Serbien. Der St.-Veistag ist somit nicht nur ein historischer Meilenstein, sondern wurde in der Vergangenheit auch instrumentalisiert, um nationalistische Gefühle zu schüren – insbesondere von Slobodan Milošević in seiner berüchtigten Gazimestan-Rede von 1989, die den Weg für die folgenden Jugoslawienkriege ebnete. Die Verbindung der aktuellen Student*innenproteste in Serbien mit einem so brisanten Datum wirft Fragen hinsichtlich der Haltung der Bewegung zum Ethnonationalismus und zur Wiederbelebung derselben Narrative auf, die die Region einst in den Krieg gestürzt haben.

Zurschaustellung nationalistischer Rhetorik und Ikonografie

Insbesondere da die Proteste vom 28. Juni von einer offenen Zurschaustellung nationalistischer Rhetorik und Symbolik geprägt waren, darunter Forderungen nach der Verteidigung der territorialen Integrität Serbiens, ausdrückliche Aufrufe zur Aufrechterhaltung der Herrschaft über den Kosovo sowie die Beschwörung rechtsextremer, ideologischer Persönlichkeiten wie Nikolaj Velimirović – einem umstrittenen Geistlichen und Theologen, dessen Schriften aus dem frühen 20. Jahrhundert von den heutigen ultranationalistischen und klerikal-faschistischen Kreisen Serbiens aufgegriffen wurden –, waren diese Proteste von besonderer Bedeutung. Daneben wurden in den Reden staatliche Rechenschaftspflicht, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und grundlegende Veränderungen gefordert.

Während der von Student*innen angeführten Besetzung des serbischen Staatsfernsehens (RTS) im April verbreitete sich in den serbischen sozialen Medien die Nachricht über die Anwesenheit eines Kriegsveteranen, der 1992 in Bosnien und Herzegowina gedient hatte. Goran Samardžić, ein ehemaliges Mitglied der „Arkan-Tiger“, wurde weithin als Symbol der Versöhnung gepriesen, nachdem er bei der RTS-Demonstration erklärt hatte, dass der Krieg falsch gewesen sei und es keinen Unterschied mehr zwischen bosnischen und serbischen Kindern gebe. Dabei bezog er sich speziell auf Student*innen aus Novi Pazar, einer Stadt in der Region Sandžak im Südwesten Serbiens, die überwiegend von Bosnier*innen bewohnt wird. In einem kürzlich erschienenen Interview mit der deutschen Wochenzeitung Die Zeit leugnete Samardžić den Völkermord in Bosnien und Herzegowina und rechtfertigte seine Rolle dabei.

Viele Menschen in Serbien, darunter auch Angehörige linker Kreise, begrüßten Samardžićs Auftritt bei der RTS-Demonstration jedoch als einen Moment der nationalen Heilung und als Zeichen des Wandels: Ein ehemaliger Kämpfer, der vergangene Gräueltaten anerkennt, die Propaganda der Milošević-Ära anprangert und Parallelen zur Manipulation der Medien unter Vučić zieht. Für viele Beobachter*innen außerhalb Serbiens warf das virale Lob für einen ehemaligen freiwilligen Kämpfer, der auf dem Höhepunkt des Völkermords in Bosnien an der Seite einer der berüchtigtsten paramilitärischen Gruppen, Arkan, gedient hatte, jedoch beunruhigende Fragen auf. Warum wurde einem Mann, der möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt war, eine Plattform im Herzen einer angeblich progressiven Student*innenbewegung gegeben? Samardžić behauptet, er sei unschuldig. Aber wurde er jemals wegen Gräueltaten in Bosnien und Herzegowina untersucht oder strafrechtlich verfolgt? Hat er während der Jugoslawienkriege Zivilisten getötet, vergewaltigt oder terrorisiert? Das sind keine abstrakten Fragen, sondern sie stellen eine kritische Abrechnung für die Bewegung dar.

Leugnung des Völkermords und Narrative der serbischen Opferrolle

Dennoch bleibt diese Abrechnung aus. Serbien leugnet den Völkermord von Srebrenica weiterhin, spielt die Massaker im Kosovo herunter und lehnt die Unabhängigkeit und Staatlichkeit des Kosovo ab. Die Leugnung des Völkermords sowie die Darstellung Serbiens als Opfer sind keine isolierten Ansichten, sondern in der historischen Vergangenheit verwurzelt. Sie werden vom herrschenden Regime aktiv propagiert und sind tief im öffentlichen Diskurs verankert. In diesem Zusammenhang kann die fragwürdige Geste der Reue des Veteranen, so gut sie auch gemeint sein mag, keinen Ersatz für kollektive Verantwortung, Rechenschaftspflicht und historische Wahrheit darstellen. Ohne eine klare Abkehr von diesem Erbe läuft die Bewegung Gefahr, genau die Strukturen des Schweigens und der Straflosigkeit zu reproduzieren, gegen die sie angeblich kämpft.

Nach den Zusammenstößen im August zwischen Sicherheitskräften und Anhänger*innen des Regimes einerseits und studentischen Demonstrant*innen andererseits reagierten einige von Vučićs Gegner*innen auf der Straße auf die Gewalt, indem sie Polizisten oder Hooligans als ‚Šiptar‘ bezeichneten – eine ethnische Beleidigung für Albaner*innen. Damit offenbarten sie erneut einen tiefen Mangel an politischem Bewusstsein sowie die Unfähigkeit oder Weigerung, die gegenwärtige systemische Gewalt in den richtigen Kontext zu stellen.

Veränderung für wen? Und zu welchem Zweck?

Vladimir Simović, politischer Aktivist und Koordinator des Arbeitsrechtsprogramms am Center for the Politics of Emancipation in Belgrad, argumentiert in diesem Artikel, dass „die [Student*innen-]Bewegung der Regierungspartei die serbische Flagge deutlich zurückerobert hat“. Doch was bedeutet es wirklich, eine Flagge zurückzugewinnen, die so stark mit dem Erbe von Völkermord und ultranationalistischer Aggression belastet ist? Ein Symbol kann nicht einfach dadurch zurückgewonnen werden, dass man es in einen neuen Kontext stellt – insbesondere, wenn dieser Kontext immer noch genau die Rhetorik und Ideologie widerspiegelt, die es einst als Waffe eingesetzt haben.

Wie kann eine Flagge zurückerobert werden, wenn sich die Bewegung weigert, die nationalistischen Narrative, die die Kriegsverbrechen in Bosnien, Kroatien und im Kosovo angeheizt haben, entschieden zu verurteilen? Wenn potenzielle Kriegsverbrecher toleriert oder sogar unterstützt werden und Forderungen wie „keine Kapitulation“ in Bezug auf den Kosovo unangefochten bleiben, besteht die Gefahr, dass solche Gesten die ideologischen Grundlagen vergangener Gräueltaten eher verstärken als abbauen. Ohne eine radikale Ablehnung der nationalistischen Denkweise, die mit den nationalen Symbolen Serbiens wie der Flagge einhergeht, ist die sogenannte Rückeroberung der Flagge nichts anderes als symbolische Schönfärberei – eine Handlung, die die Vergangenheit bereinigt, anstatt sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Simović argumentiert, dass „die Bewegung in Opposition zu einem Regime steht, das von nationalistischen Persönlichkeiten, Rhetorik und Praktiken durchdrungen ist“. Er stellt fest: „Es ist die herrschende Elite, die den Nationalismus am deutlichsten und nachhaltigsten zum Ausdruck bringt – und die institutionelle Macht hat, ihn umzusetzen.“ Zwar verfügt die herrschende Elite in Serbien über die institutionelle Macht, eine nationalistische Agenda durchzusetzen, doch garantiert die Opposition gegen dieses Regime nicht unbedingt eine antinationalistische Haltung. Tatsächlich wirkt der Nationalismus oft über verschiedene politische Strukturen hinweg, nicht nur in der offiziellen Staatspolitik, sondern auch in Basisbewegungen.

Diese Spannung wird besonders deutlich am Beispiel von Simović selbst, also dem Aufstieg der Student*innen in Novi Pazar. Zwar ist es wichtig, dass sich ethnisch bosnische Student*innen aus einer historisch marginalisierten und überwiegend muslimischen Stadt durch ihre Teilnahme an den Protesten plötzlich „auf der Landkarte Serbiens verortet“ fühlten, doch auch diese Einbeziehung verdient eine kritische Betrachtung. Vor allem, da der Rahmen, in dem dies geschieht, nahelegt, dass die Randregionen Serbiens nur dann legitimiert werden, wenn sie sich den symbolischen Zielen des Zentrums anpassen. Wenn Inklusion jedoch nur unter der Bedingung gewährt wird, dass man sich der vorherrschenden Vorstellung davon anpasst, was es bedeutet, Serbe zu sein, oder wer als zu Serbien gehörig gilt, ohne dabei Serbiens Geschichte der Gewalt in der Region und seine anhaltenden territorialen Fantasien anzuerkennen und kritisch zu hinterfragen, dann ist dies keine echte Inklusion, sondern eine Form der Assimilation durch kulturelle und historische Auslöschung.

Die Tunnelblickmentalität auf dem Balkan

Serbien hat ein Problem mit Nationalismus. Das ist nichts Neues. Tatsächlich könnte dies sogar eine Untertreibung sein. Das Vučić-Regime hat in den letzten zehn Jahren die Spaltung, den Hass und eine tief nationalistische Denkweise weiter angeheizt. Serbien hat seine Vergangenheit nicht aufgearbeitet, aber es sieht so aus, als würde es versuchen, seine Gegenwart zu bewältigen.

Simović argumentiert, dass „die Konzentration auf den Nationalismus allein verschleiert, was tatsächlich eine Verschiebung nach links sein könnte“. Zwar darf die Student*innenbewegung in Serbien nicht allein auf ihre nationalistischen Dimensionen reduziert werden, da dies ihre Komplexität, ihr beispielloses Ausmaß, ihre direkte Herausforderung des Vučić‘schen Autoritarismus und ihr lehrreiches Beispiel für basisdemokratische Organisation übersehen würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Nationalismus als nebensächlich oder harmlos abgetan werden kann – insbesondere nicht in einem regionalen Kontext, in dem die Vergangenheit ungelöst bleibt.

Die Präsenz des Nationalismus verzerrt nicht nur die Prioritäten der Bewegung, sondern überschattet auch ihr progressives Potenzial und führt zu ideologischen Widersprüchen, denen man sich stellen muss. Der Ruf nach antiautoritärem Widerstand bei gleichzeitiger Übernahme der Rhetorik und Symbole, die seit Langem zur Rechtfertigung von Gewalt, Ausgrenzung und Unterdrückung verwendet werden, untergräbt die demokratische Glaubwürdigkeit der Bewegung. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte die Bewegung laut Simović den Keim für einen Linksruck in sich tragen. In sozialer und politischer Hinsicht droht jedoch ihre Toleranz gegenüber Nationalismus und Rechtsextremismus ihre emanzipatorischen Ansprüche zu untergraben und sie zu einem Instrument des Rechtspopulismus in progressivem Gewand zu machen. Nationalismus als Randthema zu behandeln, bedeutet, sich mitschuldig zu machen an der Reproduktion genau der Strukturen, gegen die sich die Bewegung angeblich wehrt.

Konfrontation mit ideologischen Widersprüchen?

Die Gründe für das Ausbleiben einer öffentlichen Verurteilung extrem nationalistischer Elemente sind nachvollziehbar – insbesondere in der Anfangsphase der Proteste, als den Organisator*innen eine breite Einheit gegen Vučić wichtiger war. In einem politisch fragilen Kontext ist es denkbar, dass die Organisator*innen befürchteten, eine Auseinandersetzung mit internen Spannungen könnte die Bewegung spalten und dem Regime die Möglichkeit geben, sie zu delegitimieren. Die Aufrechterhaltung einer einheitlichen Front schien ihnen dringlicher als die Auseinandersetzung mit ideologischen Widersprüchen.

Ebenso muss anerkannt werden, dass keine Kontrolle darüber besteht, wer sich der Bewegung anschließt. Angesichts des Ausmaßes und der Spontaneität der Proteste ist es nahezu unmöglich, jede*n Teilnehmer*in zu kontrollieren. Die Bewegung hat Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum angezogen, von denen viele weniger durch ein gemeinsames Bekenntnis zu demokratischen Werten als durch eine gemeinsame Opposition gegen das Regime vereint sind. Da die Proteste jedoch mittlerweile ins zweite Jahr gehen, die Studierenden vorgezogene Neuwahlen fordern und der Nationalismus am 28. Juni zum zentralen Thema der Massenmobilisierung geworden ist, ist es für die Bewegung von entscheidender Bedeutung, eine klare, prinzipielle ideologische Haltung zu formulieren.

Es wäre zwar unrealistisch zu erwarten, dass Serbien sein nationalistisches Erbe innerhalb weniger Wochen oder Monate überwinden kann, doch ist es unerlässlich, dieses Thema neben dem Lob für die strategische Organisation und die demokratischen internen Praktiken der Student*innenbewegung anzusprechen. Die Bewegung – und die breitere politische Dynamik, die sie repräsentiert – verdient es, in ihrer ganzen Komplexität verstanden zu werden, ohne in Romantisierung oder völlige Verurteilung zu verfallen. Kritisches Engagement muss ihre Widersprüche und die weiterreichenden Auswirkungen auf die Zukunft der Demokratie in Serbien und der Region berücksichtigen. Denn echte Demokratie kann nicht auf selektiver Gerechtigkeit aufgebaut werden.

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