Die BILD-Zeitung gab ihrer Meldung über den Alternativen Medien- preis den folgenden Titel: Blogger bekommt Alternativen Medienpreis. Dies ist für die Medienkrise bezeichnend. Es gibt acht Preisträger, nur einer davon ist Blogger. Es hätten somit auch sieben andere Titel gepasst. Etwa: Zeitung mit Zukunftskonzept bekommt… oder Qualitätsjournalismus von unten bekommt…. Doch der Titel “Blogger bekommt Alternativen Medienpreis” scheint Gewissheit in Zeiten der Krise zu verschaffen – die Gewissheit, dass die Ordnung der Nuller Jahre noch immer gilt.
Blogger und Journalisten wurden in den Nuller Jahren zu Gegenspielern im Endkampf um die Zukunft der Medien stilisiert. Doch zu Beginn der neuen Dekade können sie nicht mehr als polare Gegensätze gelten. Das hat unterschiedliche Gründe. Einer davon ist: Das Internet, lange Zeit als Zufluchtsort für Piraten und Punks gehandelt, ist zu einem Mainstream-Medium avanciert. So ist auch die so genannte Blogosphäre keine Alternative mehr, sondern inzwischen Establishment. Dies gilt insbesondere für die Top Ten der Blogcharts in Deutschland, unter denen auch der Blogger aus der BILD-Meldung rangiert.
Um die Medienkrise zu überwinden…
Der BILD-Titel ist Ausdruck einer Identitätskrise, die der Medienkrise innewohnt. Diese Identitätskrise – in den Nuller Jahren eine latente Begleiterscheinung der Medienkrise – ist heute deutlich spürbar an den zusehends verzweifelteren Versuchen aller Akteure, Grenzen zu ziehen. Etwa zwischen Bloggern auf der einen und Journalisten auf der anderen Seite. Was unterscheidet den Blogger vom Journalisten? Wer ist näher am Puls der Zeit? Wer liefert die bedeutsamere Berichterstattung? Wer erreicht Leser besser? Wer hat Autorität?
Doch es ist an der Zeit umzudenken: Die Grenzen, die bisherige Berufsbilder konstituierten, sollten nicht länger künstlich aufrechterhalten werden. Alle Beteiligten müssen ihr Selbstverständnis hinterfragen und auf einen neuen Boden stellen. Egal ob sie in der Zeitungsbranche arbeiten oder in jenen Regionen der Medienlandschaft, die bis dato als alternativ, minoritär, marginal oder wie auch immer randständig galten.
…müssen wir erst die Identitätskrise hinter uns lassen
Das Umdenken wird offenbar selbst in Hollywood in Betracht gezogen. In State of Play etwa behandelt der Regisseur den Blogger und den Journalisten anfangs als Gegenspieler. Doch letzten Endes zeigt er: Beide arbeiten zusammen, ergänzen einander, ziehen an einem Strang. Wir sollten nicht länger so tun, als sei dies im wirklichen Leben nicht möglich.
Wir sollten die Identitätskrise überwinden, um der gegenwärtigen Transformation der Medienlandschaft uneingeschränkter, aufgeschlossener, direkter zu begegnen. Nur mit einer solchen Haltung können wir die Medienkrise überwinden.
Interessante Beobachtung. Ich möchte noch eine Seitenbeobachtung zur Diskussion stellen: Das Berufsbild des Journalisten war noch nie gefestigt (kein festgeschriebener Ausbildungsweg etc.) Jetzt also mein Punkt: Journalist zu sein, hieß schon immer sich für einen fragilen Beruf zu entscheiden. Das ist jetzt durch die Medienkrise doch nicht grundsätzlich anders geworden. Plötzlich kommen nur Leute an, die am Image eines ohnehin schon brüchigen Berufs kratzen. DOCH HAT SICH SCHON MAL JEMAND ÜBER DIE FREIWILLEGE FEUERWEHR AUFGEREGT, DIE AUCH AUS ENGAGEMENT UND LIEBE ZUR SACHE FEUER LÖSCHT UND DIE NICHT VORHAT, DIE BERUFSFEUERWEHR ZU ERSETZEN?
Ich habe noch nie verstanden, was ein “Blogger” sein soll. Das ist doch nichts anderes und genauso nichtssagend wie als “Redner”, “Schreiber”, “Autor”. Leider ist der Begriff ebenso unspezifisch wie catchy, so dass man ihn selbst dann aufgedrückt bekommt, wenn man ihn selbst nicht benutzt. Sprachliche Hilflosigkeit — irgendwie MUSS man ja diese diffuse Vielfalt im Netz fassen!
Ich habe mal gelesen: “Bloggers blog, and writers write”, als Ausdruck der eher spontanen, ungeplanten, rapiden Natur des Bloggens. Dem stimme ich nicht zu, und ich glaube auch nicht, dass viele Blogger so arbeiten, aber das scheint wenigstens die verbreitete Erwartungshaltung zu sein.
Ob die neue Enquette-Kommision “internet-und-digitale-gesellschaft” dieser “Identitätskrise” Abhilfe schafft?
http://www.netzpolitik.org/2010/konstituierung-enquete-kommission-internet-und-digitale-gesellschaft/
Kann man die Identitätskrise (dass es sie gibt, glaube ich sehr wohl!) denn überhaupt getrennt von der ökonomischen Problematik der Medienkrise betrachten? bzw. überhaupt als losgelöste Dimension der Medienkrise?
Writers write ? was schreiben sie denn die sogenannten Zeitungsprofis, im Regelfall tippen sie doch PR Meldungen ab, basteln sie ein wenig um, haken vielleicht mal nach,aber auch nur ein paar wenige . Nicht das sie nicht wollten, aber sie dürfen ja im Regelfall nicht. Die Berliner Mainstreamtagespresse zb ist echt Horrorshow. Sogenannte Informationssnippets Galore, keine Reflektion, keine sturen Redakteure die auch mal die Nase ausm Fenster halten.. Für Blogger wengistens eine Möglichkeit etwas dagegenzuhalten, leider wirds , bis der Printpresse der letzte Werbekunden abgesprungen ist, noch ein paar Jahre mehr Informationssnippets Galore geben, aber irgedwann wird dann hoffentlich alles anders..
@ John Turbo: von welchen Zeitungsprofis sprechen wir? Boulevard-Journalisten? Newsportalen? CNN-Journalisten? Zeitungen, die gestern professionell berichtet haben, berichten auch heute noch professionell, unter einem gestiegenen Legimitationsdruck und möglicherweise unter den Vorzeichen einer “Identitötskrise”.
kann man mit den folgenden Worten tatsächlich Blogs aber nicht Zeitungen charakterisieren? „Außergewöhnlich, andere Wege als der Mainstream nutzend, engagiert, kritisch, nicht populistisch”.
Blogs sind längst Mainstream und deshalb vor keiner Krise gefeit. Vielleicht ist die deutschsprachige Blogosphäre noch nicht so weit, wie ja allenthalben behauptet wird, wie in den USA und vielleicht ist der Typus “Blogger” hier in Deutschland deshalb eher eine Schlagzeile wert. Dennoch: Die Krise des unabhängigen Qualitätsjournalismus darf nicht auf Nebenschauplätzen ausgetragen werden (z.B. Der Nebenschauplatz “Blogger sind keine Journalisten”). Die Krise gibt es hier und jetzt und dass es nun Journalisten gibt, die auch andere Möglichkeiten der Veröffentlichung suchen (z.B. in Blogs) ändert nichts an der Krise. Oder?
@Leon: cooler Neologismus “Identitötskrise” – hat das was mit Töten zu tun? ;)
Bloggen ist Kommunikation, selten Journalismus –++- sagt Matthias Dell, der sich mit Bloggern wie dem in der BILD Schlagzeile gut auskennt.
@Shondra: Berufsbilder erweitern sich immer weiter, wenn nicht, sterben sie aus, oder werden museal; die Ungefestigtkeit des “Journalisten” bietet insofern eigentlich eine gute Ausgangsposition. Es gibt noch Hoffnung! :)
@Not quite like Beethoven: “die Vielfalt im Netz” lässt uns nach Worten, nach Klassifizierungen, Kategorisierungen ringen, das ist ein guter Punkt. Dauert dieser Sprach-Dusel inzwischen nicht etwas zu lang an?
@Fabian W, p & John Turbo: Stimmt: alle haben das Schreiben gemeinsam und es geht um die Mitteilung von Erfahrung, das Veröffentlichen, das Eingreifen in den Lauf der Dinge qua Text; wenn die als “Blogger” bezeichneten Schreiber hier eine neue Ebene einführen oder stärker machen (die Kommunikation), dann entsteht für mich kein Gegenpol zum Journalismus, sondern dessen Erweiterung.
@Leon: Definitiv machen Journalisten mehr als nur Pressemeldungen reproduzieren. Sie schreiben, wie alle, die schreiben, nicht immer gut, nicht immer sorgfältig recherchiert, aber sie schreiben.
@Magdalena: Die Krise hat einen Grad der Unübersichtlichkeit erreicht, dass eine Steigerung derselben kaum noch denkbar ist; wir brauchen Übersicht, Durchblick; deshalb können wir uns nicht herumplagen mit so dämlichen Debatten wie “Der Blogger ist kein Journalist”; ich appeliere an die kollektive Intelligenz, die durch so genannte Blogs und andere Medien von unten deutlich gewachsen ist.-
@Krystian: Bitte keine Appelle an die kollektive Intelligenz. Das führt doch meist ins Verderben. Wenn selbstgemachte Medien wie die Berliner Gazette oder Blogs keine Alternative zum Mainstream sind, was ist dann überhaupt noch die Alternative?
Der Diskurs um “Blogger” scheint mir schon auch ein Ersatzdiskurs mangels anderer Themen zu sein. Da Politik nicht mehr en vogue ist, die große Geschichtsschreibung laut Postmoderne am Ende, beginnt man, sich auf die Schreiber zu konzentrieren. Das Diskutieren einer “Krise” erweist sich schnell als Zuschreibung, die mit ihrer eigenen Erfüllung droht. Je öfter ich lese, das Bloggen sei in der Krise, der weniger Lust verspüre ich, auf dem absteigenden Ast etwas zu veröffentlichen – wodurch die Krise irgendwie eben auch erst beginnt.
@Caspar & solfrank: Es ist klug nicht immer gleich auf jeden Debatten-Hyper hereinzufallen und Funktion im größeren Zusammenhang zu fragen, aber eines dürfen wir nicht vergessen: Die Medienkrise dreht sich um Probleme, die ganz konkret und so drastisch sind, dass sie angestammte Konzerne zur Verzweifelung bringen. Und damit aber auch angestammte Vorstellungen von Gesellschaft. Oder wäre eine moderne Gesellschaft ohne Zeitung denkbar gewesen? Was für eine Gesellschaft werden wir haben, wenn die Zeitung sich komplett transformiert? In der Tat @solfrank sollte man die ökonomischen Rahmenbedingungen dieses Debatten-Hypes um Schreiber niemals unberücksichtigt lassen: Wird es künftig eine Finanzierung für Schreiber geben?
@Krystian: Natürlich bin ich sofort dabei, eine Wechselbeziehung von Medien, Ökonomie, Gesellschaft herzustellen. Das ist ja ganz klassische Kanadische Medientheorie. Jedoch ist die “Medienkrise” auch ein Konstrukt, dass in einer gewissen genealogischen Schule steht. Bei der aktuellen Diskussion um Blogger scheint mir, dass ein Modell übertragen wird, das so vielleicht gar nicht (mehr) funktioniert, weil es zum Beispiel auf klassische Broadcast-Medien zugeschnitten ist (also 1 zu n Kommunikation). Dieses Unbehangen mit dem Thema schwingt ja eigentlich immer mit, sobald es zugespitzt wird.
Für mich ist das alles ein ganz normales Übergangsstadium einer Entwicklung, mit Rückzugsgefechten, Stamdesdünkel, neuem Aufbegehren und Drang nach Anerkennung von unten und dies alles in einem wogenden Meer wirtschaftlicher Veränderungen und tosendem Kapitalismus. Keiner hat allumfassend Recht. Capar liegt mit dem ins Wanken geratenen Broadcastmodell natürlich richtig. Klassische Zeitungen haben ihre Stärken in vertiefender Kompetenz und seriöser Umfassenheit. Agenturnachrichten kann ich schneller anderen Medien entnehmen, dafür bedarf es keiner gefällten Bäume. Also wird viel bedrucktes Papier im Verlagsgrab verschwinden, ohne eine Träne meines Bedauerns. Blogs und alle ihre kommenden Derivate, haben auch ihre Zukunft und wahrscheinlich auch ein Erlösmodell, das jetzt noch nicht installiert ist. Aber auch sie bedürfen gewisser Alleinstellungsmerkmale, ansonsten dümpeln sie dort, wo sie hingehören, in die Schnittstelle zwischen nerdigen Geek Sprechblasen, besessenen leserbriefquerulantentum und Bild-Leserreportern. Wer professionell ständig jammert, hat zuviel Zeit und nen schlechten Therapeuten.
@Caspar: Bitte erklär’ kurz, was Du damit meinst, wenn Du sagst, dass in der “Diskussion um Blogger ein Modell übertragen wird, das so vielleicht gar nicht (mehr) funktioniert”. Die Medienkrise hat doch gerade darin ihre Ursache, dass mit dem Blogger eine Figur die Medienlandschaft zu dominieren beginnt, die sich 1) des alten Broadcast-Modells nicht bedient und somit, im Zuge der Mainstream-Werdung, 2) den Raison d’etre der etablierten Medien grundlegend in Frage stellt.@Jörg: Aber was für ein Erlösmodell? Das ist doch die Frage, um die es schon jetzt geht, mal mehr mal weniger explizit geht, und wir sollten doch dies fokussieren statt im Nebel des Identitätskrisengedöns anayltische Munition zu verpulvern.
Etwas off-topic, vielleicht: Die Macht der Blogger
http://www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-nrw/artikel/1/die-macht-der-blogger/
@Krystian: Vielleicht geht es mir (welch Zufall) um den Begriff “Leitmedium”. Dieser Begriff stammt aus einer Zeit, in der die “Medienlandschaft” (eine schöne Wortkombination) recht klar strukturiert war und eben jene Leitmedien produzieren konnte. Der Versuch, auch heute noch Leitmedien im Diskurs freizulegen, scheint mir als Versuch, eine Struktur argumentativ zu retten, die nicht adäquat ist, weil sie so nicht mehr funktioniert. Etwas profan: Postmoderne Medienlandschaft kennt keine Leitmedien (und braucht vielleicht auch keine). Der Versuch, hier Leitmedien und Krisen zu sehen, liegt nahe, muss aber daran scheitern, dass das Modell nicht mehr aktuell ist und es vielmehr auf die deutlich fragmentiertere Situation Rücksicht nehmen muss.