In einer Tageszeitung denkt man im Grunde niemals an Heute, sondern immer nur an morgen. So werden Themen auch nicht davon bestimmt, wie sie bereits diskutiert worden sind, sondern was man aus ihnen noch machen kann. Dieser Arbeitsalltag hat sich durch das Internet ungeheuer beschleunigt. Denn anders als bei Printmedien wird im Netz unentwegt aktualisiert, was zur Folge hat, dass die Zeitungen der unverbrauchten News noch mehr hinterher rennen.
Das fuehrt teilweise zu absurden Situationen, in denen etwa ein Sachverhalt sozusagen schon von seiner zukuenftigen Entwicklung her kommentiert wird. An einen Ist-Zustand oder gar eine Vergangenheit der jeweiligen Fakten ist dabei ueberhaupt nicht mehr zu denken. Dieser Druck fuehrt umgekehrt dazu, dass ich ausserhalb der Arbeit eben genau dieser verloren gegangenen Zeit der Vergangenheit nachspuere – also durch ein zuviel an Zukunft den Weg ins Gestern mache, melancholisch werde etc.
Wenn man von einem Museum der Gegenwart spricht, so klingt es zunaechst einmal paradox. Denn die Gegenwart als Jetzt-Zustand kann nicht schon der eigenen Speicherung anheim gefallen sein. Das gilt auch fuer Kunst: Wenn sie tatsaechlich jetzt gemacht wird, dann besitzt sie in der Regel noch ueberhaupt keine Institutionsfoermigkeit – nicht von ungefaehr spielt die Bezeichnung >Vernissage< [synonym mit Ausstellungseroeffnung] auf die noch feuchte Firniss der Malerei an. Dagegen kann ich mich mit dem Begriff des Zeitgenoessischen durchaus anfreunden - viele Kuenstler und Kuenstlerinnen sind ja schlichtweg Zeitgenossen, weil sie meiner Generation entstammen und entsprechende Vorlieben haben, die ich auch teile: Musik, Film, Kleidung, Buecher und auch Kunst von anderen Kuenstlern und Kuenstlerinnen. Zudem mag ich die Vorstellung, es auch in der Kunst mit Genossen zu tun zu haben, das schafft manchmal Buendnisse gegen die Zumutungen der Gegenwartsdiktatur. Absolut modern sein - dieser Satz, den Arthur Rimbaud 1873 verkuendigte, er hat ziemlich an Faszination eingebuesst. Nach den Modernitaets- und Postmodernitaetsversprechen ist das Label abgenutzt, der Trend geht eher zu Gleichzeitigkeiten aller moeglichen Epochen. Wer sich im Paris der Madame Pomapdour wohl fuehlen mag, bekommt von Sophie Coppola huebschen Rueschenpop und die Musik des Gothic Punk a la Siouxsie and the Banshees hinterher geliefert. Tatsaechlich laufen parallel jede Menge Revivals ab, die ein geschlossenes Zeit-als-Weltbild nicht mehr zulassen. Aber auch das ist vermutlich nur deshalb moeglich, weil sich die Informationen und Kommunikationen, auf denen gesellschaftliche Teilhabe beruht, in den letzten Jahren durch die technische Entwicklung so unglaublich beschleunigt und ausdifferenziert haben. Wenn ich mir einen Abend lang das Gesamtwerk von Sun Ra herunterladen kann, nur um am naechsten Tag in die Soundfiles von Miles Davis abzutauchen oder den Hype um eine MySpace-Band mit abzufeiern, dann spielt es eben keine Rolle mehr, was Neuheit bedeutet. Es ist immer wieder interessant festzustellen, ob in einer Idee oder einem Entwurf tatsaechlich immer schon das Wissen aller vorhergehenden Ideen und Entwuerfe sedimentiert ist. Ablagerungen, Geo-Schichten, Wurzelbehandlungen - dafuer sind bekanntlich die Philosophen Deleuze/Guattari zustaendig. Kunst erscheint mir, wie bereits oben angedeutet, nicht immer als gegenwaertig, wohl aber als gegenstaendig, als Standpunkt zu dieser oder jener Sache. Vielleicht darf man auch nicht zu viel erwarten: Kunst verhandelt Dinge und handelt mit Dingen. Manche dieser Dinge sind aber auch ohne die Kunst zu haben, es ist aber schoener und manchmal auch angenehmer, wenn man ueber sie nachdenkt, weil sie die Form von Kunst angenommen haben. Was damals die Industrialisierung, Kolonialisierung und letztlich auch Globalisierung [im Sinne von Weltentdeckung, Kommunikation und Transport] war, ist heute immer noch der Motor des Geschehens. Nur stimmen Sweatshops in Asien oder Oel im Irak nicht eben hoffnungsfroh, wenn es um den Fortschritt im Sinne von Modernitaet geht. Wenn sich Kuenstler deshalb aus den oeffentlichen Angelegenheiten zurueckziehen, mag man das als Eskapismus werten. Modernitaet im Sinne von utopischem Denken ist aber weiterhin machbar - warum sonst sollten Kuenstlergruppen, wie die daenischen Superflex, die Welt retten wollen mit ihren Oeko-Projekten?