Von Krise zu Krise: Warum die Verschuldung der privaten Haushalte in Osteuropa weiter zunimmt

Die Verschuldung der privaten Haushalte in Osteuropa nimmt weiter zu und ist für internationale Akteur*innen zu einer gewinnbringenden Anlageform geworden. In Ungarn etwa sind die Bedingungen für die Verschuldung ganz anders als in den stabileren Volkswirtschaften Westeuropas, und die Finanzakteur*innen können höhere und schnellere Renditen erwarten, wie Zsuzsi Pósfai in einem Interview mit Sotiris Sideris argumentiert.

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Sotiris Sideris: In einer Zeit, in der viele Menschen keine erschwingliche und anständige Wohnung finden, selbst in Wohnungsmärkten, in denen Wohneigentum vorherrscht (was in den Ländern Ost- und Südeuropas der Fall ist), sind Schulden zu einer sehr attraktiven Investition für internationale Akteure geworden. Doch welche Folgen hat das für die Lebensbedingungen der Haushalte und die Verarmungsprozesse in den “Randgebieten Europas”?

Zsuzsi Pósfai: Diese verschiedenen Aspekte des Wohnungsmarktes sind alle miteinander verbunden. Einerseits geht es um die Frage der Besitzverhältnisse: Unter welchen Bedingungen (Eigentum, Miete usw.) können Menschen eine Wohnung finden. Zum anderen geht es um die Frage der Verschuldung und deren Zusammenhang mit dem Besitzverhältnis. Und dann die Frage, ob und inwieweit das Instrument der Verschuldung zu einer Form der Investition wird und wie es mit internationalen Akteur*innen verbunden ist.

In den Ländern Süd- und Osteuropas ist die Wohneigentumsquote sehr hoch, was bedeutet, dass es gerade vor dem Hintergrund steigender Wohnungspreise für Menschen immer schwieriger wird, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Da es an anderen Formen verlässlicher Besitzverhältnisse, wie einem geregelten Mietmarkt, mangelt, werden die Menschen alles daran setzen, ein Haus zu kaufen, und dafür müssen sie einen Kredit aufnehmen, weil sie es sich sonst nicht leisten können. Diese Tendenzen verstärken sich gegenseitig: Aufgrund steigender Immobilienpreise nehmen die Menschen mehr Hypothekenkredite auf, und wenn die Menschen mehr Hypothen aufnehmen, wächst die Immobilienpreisblase.

Viele Akteure der Wohnungsbaufinanzierungsbranche werden sagen, dass die Hypothekenverschuldung in Osteuropa gering ist, und dass Osteuropa aufgrund dieser geringen Durchdringung ein guter Ort für Investitionen ist, da es Spielraum für Expansion gibt. Ich denke, das ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere Teil ist, dass die Menschen mangels anderer Möglichkeiten bereit sind, ein größeres Opfer zu bringen, um eine Immobilie kaufen zu können. Dabei spielen auch familiäre Netzwerke eine wichtige Rolle, wobei die Menschen das Einkommen oder das Haus ihrer Familienmitglieder als Sicherheit für ihren Kredit einsetzen, um einen höheren Kreditbetrag zu erhalten. Insgesamt steigt die Zahl der Menschen, die sich verschulden, und das Niveau der Immobilienpreise schneller als in den Kernwirtschaften.

Dies war vor allem Anfang der 2000er Jahre der Fall, aber ich denke, dass dies auch jetzt in gewissem Maße so ist. Die Verschuldung der privaten Haushalte nimmt recht schnell zu, und sie ist zu einer guten Anlageform für internationale Akteure geworden, auch weil die Bedingungen für die Verschuldung ganz anders sind als in den stabileren Volkswirtschaften Westeuropas. Die Finanzakteure erwarten von den östlichen Ländern höhere und schnellere Renditen. Daten aus der Zeit vor der Finzankrise zeigen, dass internationale Banken mit Sitz in Osteuropa einen großen Teil ihrer Gewinne auf diesen Märkten erzielten, weil sie Hypotheken mit höheren Zinssätzen verkaufen konnten. Das ist genau das, was eine profitable Form der Investition ausmacht.

Es wird häufig kritisiert, dass Hypotheken als Problem dargestellt werden. Die Argumentation lautet, dass Hypotheken notwendig und nützlich sind, da sie Menschen den Erwerb von Wohnraum ermöglichen, die dies sonst nicht könnten. Mit anderen Worten, es wird behauptet, dass das Problem darin besteht, dass man den Kredit nicht bekommt und auf dem Mietmarkt festsitzt, der natürlich nicht reguliert und teuer ist. Das ist völlig richtig, und deshalb halte ich es für wichtig, zwischen verschiedenen Arten von Darlehen zu unterscheiden. Der Hauptunterschied besteht darin, ob ein Kredit als Einkommensersatz dient oder als Hebel zur Vermögensbildung in einer Situation, in der man finanziell recht stabil ist. Die Frage, wann Schulden problematisch werden, sollte genauer untersucht werden. Es ist nicht selbstverständlich, diese Unterscheidung zu treffen, aber sie ist sehr wichtig.

Es gibt auch eine Unterscheidung zwischen Hypothekenschulden und anderen Formen von Schulden. Auch hier ist es wichtig zu differenzieren. Und hier komme ich wieder auf Ihre Frage zurück, inwieweit Schulden zu einer attraktiven Anlageform geworden sind. Seit der Krise von 2008 gibt es in Europa mehr Vorschriften zum Schutz der Verbraucher*innen oder Schuldner*innen, insbesondere auf dem Hypothekenmarkt. Außerdem waren die Zinssätze in dieser Zeit auf einem historischen Tiefstand. Dadurch sind Hypothekarkredite etwas weniger rentabel geworden. Die Finanzakteur*innen sagen, dass sie an Hypotheken “nicht viel” verdienen; der Vorteil von Hypotheken liegt eher darin, dass sie einen zu einem langfristigen Kunden machen. Gleichzeitig gibt es einen Boom bei Verbraucherkrediten und anderen Formen der Verschuldung, die in der Regel teurer sind und daher für die Kreditgeber*innen rentabler sind. Und natürlich gibt es auch eine Klassendimension bei den aufgenommenen Krediten: Privatkredite und Verbraucherkredite sind bei Haushalten mit geringerem Einkommen viel häufiger anzutreffen.

Um auf den Aspekt Ihrer Frage einzugehen, inwieweit dies zur Verarmung führt: Ich denke, dass dies der Fall ist, wenn ein Haushalt finanziell nicht stabil genug ist und wenn Schulden als Einkommensersatz aufgenommen werden, insbesondere wenn dies systematisch geschieht. In Fällen von prekärer Arbeit und geringem Einkommen ist ein Haushalt nicht in der Lage, die Schulden auf zuverlässige Weise zu bedienen. Wenn dann noch etwas Unerwartetes in ihrem Leben passiert, geraten sie in Zahlungsrückstand, und das ist eine Spirale, die leicht in eine Schuldenfalle führen kann. In Ungarn haben in den letzten Jahren etwa dreimal so viele Menschen neue Verbraucher- und Privatkredite aufgenommen wie Hypotheken. Diese Zahl wird immer höher.

SS: Ost- und Südeuropa waren in Bezug auf Technologie und Kapital schon immer vom “wirtschaftlichen Kern Europas” abhängig. Gleichzeitig hat Ost- und Südeuropa billige Arbeitskräfte für die kapitalistische Produktion im wirtschaftlichen Kern Europas bereitgestellt und Länder wie Deutschland zu wirtschaftlichen Schwergewichten gemacht. Welche Rolle spielt in diesen (Inter-)Abhängigkeitsverhältnissen auch die Verschuldung der Privathaushalte?

ZP: Es gibt verschiedene Aspekte, wie diese Abhängigkeit im größeren Maßstab und die Verschuldung der Haushalte zusammenhängen. Der einfachste ist, dass Schulden komplementär zu billiger Arbeit sind. Das ist nicht das Makrobild, sondern eher auf der Ebene des Individuums angesiedelt. In Ost- und Südeuropa gibt es viel mehr Menschen, die in irgendeiner Form verschuldet sind, weil ihre Arbeitskraft zu billig bezahlt wird, während die Lebenshaltungskosten innerhalb Europas gar nicht so unterschiedlich sind. Viele der Produkte, die wir konsumieren, sind in Europa im Umlauf und daher in der europäischen Peripherie nicht billiger. Denken Sie zum Beispiel an elektronische Geräte.

Ich denke, viele Menschen verschulden sich wegen der Schwierigkeiten den Lebensunterhalt zu bestreiten, weil sie nicht annähernd so viel verdienen wie im wirtschaftlichen Kern von Europa. Dieses Lohngefälle ist natürlich eine Folge der Abhängigkeitsverhältnisse auf der makroökonomischen Ebene Europas.

Das war übrigens mein erster Anstoß, warum ich angefangen habe, mich für das Thema Schulden und für Theorien der Abhängigkeit zu interessieren. Vor zehn Jahren, als ich in Frankreich lebte, waren die Leute sehr überrascht über die Löhne in Ungarn und fragten, wie die Menschen dort ihren Lebensunterhalt bestreiten. Damals hatte ich mit diesem Thema noch nichts zu tun, aber ich dachte: “Wahrscheinlich sind sie verschuldet.” Für mich ist das der intuitive Teil der Geschichte.

Wenn wir auf der Makroebene darüber nachdenken, gibt es verschiedene Formen der Abhängigkeit, denen die ost- und südeuropäischen Länder ausgesetzt sind. In der Wissenschaft wird sehr oft zwischen Abhängigkeiten im Bereich der Finanzbeziehungen und im produktiven Sektor unterschieden (z. B. wenn westliche oder multinationale Unternehmen die Wirtschaft dominieren). Natürlich sind diese beiden Bereiche eng miteinander verwoben.

Das Beispiel Ungarns zeigt, dass ein sehr wichtiger Teil der Wirtschaft deutsche Autofabriken sind, die hier ihre Autos produzieren. Es handelt sich um große Produktionsunternehmen, die systematisch die Arbeitskräfte viel billiger bezahlen als in Deutschland. In diesem Sinne gibt es im produktiven Sektor ein klares Abhängigkeitsverhältnis. Auf der anderen Seite gab es im Finanzbereich vor der Krise von 2008 eine sehr deutliche Abhängigkeit, da sich die Devisenkredite und der Bankensektor fast vollständig in ausländischem Besitz befanden. Nach der Krise änderte sich dies, und die Regierung versuchte, diese direkten Abhängigkeiten im Finanzsektor zu verringern.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt der Abhängigkeit, der eher mit der Art der Verschuldung der privaten Haushalte selbst zusammenhängt. Die Kreditkonditionen in den osteuropäischen Ländern sind viel schlechter als im wirtschaftlichen Kern Europas, weil die Finanzakteure diese Region als risikoreicher einstufen. Das bedeutet höhere Zinssätze oder variable Zinssätze, kürzere Kreditlaufzeiten usw. Wenn Sie einen Kredit aufnehmen wollen, können Sie ihn nicht zu den gleichen Bedingungen wie jemand in Deutschland aufnehmen. Das ist die ganz praktische Auswirkung der breiteren Abhängigkeitssituation.

Dies hat auch Einfluss darauf, welche anderen Formen des Wohnungseigentums entwickelt werden können. Mit dem Periféria Policy and Research Center arbeiten wir viel an der Möglichkeit neuer Instrumente zur Wohnungsfinanzierung und an der Frage, wie gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften gegründet werden können, die die Dominanz des Wohneigentums brechen könnten. Bei dieser Arbeit kommen wir immer wieder auf die Frage der Finanzierung zurück. In Ungarn und Osteuropa im Allgemeinen haben wir keinen Zugang zu den Finanzinstrumenten, die es jeder Organisation ermöglichen würden, bezahlbare Mietwohnungen zu entwickeln und langfristig zu erhalten. Dies ist eine Sackgasse, die abgeschafft werden muss.

SS: Verschuldung bleibt oft ein unsichtbares Problem, das in den Bereich der individuellen Verantwortung abgeschoben wird. Welche Rolle spielt der Staat, wenn es darum geht, die Überschuldung von Haushalten zu verhindern und ihnen aus der Schuldenfalle zu helfen? Inwiefern hat das gängige europäische Paradigma zur Krisenbewältigung Haushalten mit niedrigem und mittlerem Einkommen im Kampf gegen die Armut geholfen, wenn überhaupt?

ZP: Was nach 2008 geschah, war in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich. Davor gab es kaum Vorschriften darüber, wer einen Kredit aufnehmen kann und wie. Das Jahr 2008 war dann ein großer Schock für unsere Gesellschaften, als die Menschen in eine wirtschaftliche und soziale Krise gerieten. Damals wurde den Regierungen in der Region klar, dass sie aktiv etwas gegen die Verschuldung unternehmen mussten. Die Situation war sehr problematisch. In verschiedenen Ländern entstanden soziale Bewegungen, die auf eine stärkere Regulierung oder einen Schuldenerlass oder zumindest eine Reduzierung der Schulden drängten. Und sie waren erfolgreich, zumindest bis zu einem gewissen Grad. In unseren Ländern wurden nach 2008 Vorschriften erlassen. In Ungarn zum Beispiel wurden sogar Teile der Schulden erlassen. Das war ein großer Schritt, und dank dieser Zeit ist die Kreditvergabe an private Haushalte jetzt besser geregelt.

Aber auch nach 2008 haben Unternehmen im Vergleich zu Privatpersonen und Haushalten viel mehr Vorteile und Schuldenerlasse erhalten. Es gibt viele Haushalte in Ost- und Südeuropa, die aufgrund von Krediten, die sie vor 2008 aufgenommen haben, verschuldet sind und sich in einer wirtschaftlichen Sackgasse befinden. Mit anderen Worten: Die Situation wurde “befriedet” und – bis zu einem gewissen Grad – beherrschbar gemacht. Weitreichende und nachhaltige Lösungen wurden jedoch nicht gefunden.

Was die Rolle des Staates betrifft, so ist es meiner Meinung nach höchste Zeit, ein unterstützendes regulatorisches Umfeld zu schaffen, das eine Überschuldung der Menschen verhindert und die Möglichkeiten der Unternehmen einschränkt, den Schuldenmarkt zu überdehnen. Darüber hinaus ist es die Aufgabe des Staates, Mechanismen zur Schuldenstreichung und Unterstützung beim Schuldenmanagement einzuführen. Und noch bevor dies geschieht, sollte der Staat dafür sorgen, dass sich die Menschen nicht überschulden müssen. Das bedeutet, erschwinglichen Wohnraum und und dafür zu sorgen, dass die Menschen ordentlich bezahlt werden.

SS: Die EU-Osterweiterung Mitte der 2000er Jahre war ein wichtiger Wendepunkt für europäische und globale Unternehmensakteure wie Banken, Schnellkreditanbieter und Inkassofirmen, die sich neuen peripheren Märkten öffneten. Inwieweit haben diese Unternehmen die Art und Weise beeinflusst, wie sich die Verschuldung der privaten Haushalte in den osteuropäischen Ländern entwickelt hat?

ZP: Sie haben einen grundlegenden Einfluss gehabt. Schon Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre befanden sich diese Länder in den Beitrittsverhandlungen, und es war eine Voraussetzung für den Beitritt, die Märkte zu liberalisieren, darunter auch die Finanzmärkte. Es handelte sich um einen rasanten Wandel, da die Verschuldung der privaten Haushalte in diesem Zeitraum von knapp zehn Jahren (von den frühen 2000er Jahren bis zur Krise von 2008) von nahezu inexistent zu einem unkontrollierten Anstieg führte. Darüber hinaus wurden die Akteure auf dem Wohnungsmarkt vollständig internationalisiert, und 80-90 % der Banken in den osteuropäischen Ländern wurden von internationalen, vor allem westeuropäischen Finanzinstituten aufgekauft.

In diesem Zeitraum kam es zu einer völligen Umkehr bei der Kreditvergabe an private Haushalte in diesen Ländern, und natürlich war es für den Einzelnen, für die Aufsichtsbehörden und auch für alle anderen sehr schwierig, dies zu verfolgen.

Diese Unternehmen haben also die Entwicklung der Verschuldung der privaten Haushalte auch durch ihre internen Unternehmensstrategien beeinflusst, durch die Art und Weise, wie sie beim Eintritt in einen neuen Markt vorgehen. Sie haben diese internen Verfahren, die zu Marktpraktiken in diesen Ländern wurden, auch erweitert. Da es sich um internationale Unternehmen handelt, hängt das, was sie auf dem Markt eines osteuropäischen Landes tun, von ihrer globalen Unternehmensstrategie ab, die sich dann in eine Strategie für die Beziehungen zum Einzelnen verwandelt.

Aber wir sollten auch an andere Finanzakteure jenseits der Banken denken. Schnellkreditanbieter und Inkassobüros sind sehr interessant, und wir sprechen sehr wenig über sie. Schnellkreditanbieter haben einen besonderen Bezug zu den Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung. Sie ähneln dem, was wir in den angelsächsischen Ländern “payday lenders” nennen. Sie haben nicht unbedingt etwas mit dem Zahltag zu tun, aber sie bieten diese kurzfristigen, sehr teuren Kredite für Menschen aus der Unterschicht an. Das ist in Osteuropa sehr präsent.

Und dann die Schuldeneintreiber. Das ist eine andere Geschichte, aber sie ist auch sehr eng mit den vielen Menschen verbunden, die nach 2008 in Verzug geraten sind. Ausgefallene Kredite sind zu einem riesigen Markt für Inkassounternehmen geworden, insbesondere nach 2015 und der Anweisung der Europäischen Zentralbank an die Banken, ihre Portfolios an notleidenden Krediten (NPL) zu bereinigen und sich auf einen neuen Kreditvergabezyklus vorzubereiten. Damals begannen die Banken, große Pakete von NPL an Inkassounternehmen zu verkaufen. Heute wird die Mehrzahl der Zwangsvollstreckungen in Hypotheken, die zu Immobilienversteigerungen führen, von Inkassounternehmen und nicht von Banken eingeleitet. Die überwiegende Mehrheit der NPLs befindet sich bereits bei den Inkassofirmen. Das ist etwas, das in der öffentlichen Diskussion nicht vorkommt und für den Einzelnen sehr schwer nachzuvollziehen ist. Sehr oft sind sie verwirrt darüber, ob sie der Bank oder dem Inkassounternehmen etwas schulden, und am Ende des Prozesses steht dann der Gerichtsvollzieher, der Vollstrecker, der die gesetzlichen Rechte hat, die Versteigerung durchzuführen. Der Inkassobeauftragte hat dieses Recht nicht, er ist nur ein Unternehmen, das die “Eigentumsrechte” an den Schulden hat.

Bei diesen Prozessen, die zwischen verschiedenen Akteuren stattfinden, ist es für den Einzelnen sehr schwer zu verstehen, wer diese Unternehmen sind. Wenn man die Prozesse auf verständliche Art und Weise erklärt, kann das dem Gefühl entgegenwirken, eine riesige Black Box vor sich zu haben, die abstrakte Bedrohungen ausstrahlt. Wir müssen viel mehr von diesen Prozessen verstehen, als wir es derzeit tun.

SS: Während Bürger*innen und soziale Bewegungen diese Unternehmen wegen mangelnder Transparenz und missbräuchlicher Taktiken kritisieren, zeigen sich die politischen Eliten zufrieden mit der Effizienz des Vollstreckungs- und Inkassosystems. In Ermangelung staatlicher Interventionen und staatlicher Institutionen für den Umgang mit Überschuldungsfällen werden diese Situationen ausschließlich nach der Marktlogik gehandhabt. Wie gehen die Haushalte damit um? Sind sie völlig machtlos?

ZP: Nach 2008 haben die Bewegungen und die Bürger*innen nicht so viel erreicht, wie sie könnten oder wie sie wollten. Es scheint jedoch so, als sei der Moment vorbei, in dem man sich rund um das Thema Schulden organisieren konnte. Die Bürger*innenbewegung hat an Schwung verloren, nachdem viele Anstrengungen unternommen wurden, um die Schuldenproblematik zu verstehen und die Regierungen unter Druck zu setzen. Ich denke, dass es immer noch ein wichtiges Thema ist, mit dem die Menschen in ihrem täglichen Leben zu kämpfen haben. Gleichzeitig ist es aber sehr schwierig, das Thema auf die Tagesordnung des öffentlichen Diskurses zu setzen. Die Medien und die Regierung geben vor, dass es sich um ein spezifisches Problem im Zusammenhang mit der Krise von 2008 handelt, dass es kein Problem mehr ist, dass die Krise von 2008 vorbei ist.

Im Moment wären kleinere Maßnahmen möglich, aber wahrscheinlich nicht diese Art von großem politischem Druck (obwohl, warten wir ab, was nach der Wirtschaftskrise im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie passiert, denn ich denke, es wird eine neue Welle von Schuldenproblemen geben). In der Zwischenzeit wäre es interessant zu untersuchen, wie eine Art kollektive Aktion oder kollektive Verhandlung mit bestimmten Unternehmen funktionieren könnte. Inkassobüros sind in dieser Hinsicht besonders interessant. Einerseits ist das ganze Thema der Schuldeneintreibung wirklich beängstigend, da es vollständig vermarktet und an diese Unternehmen übertragen wird. Andererseits ist dies auch eine Möglichkeit, denn die Inkassobüros haben diese Forderungen zu einem relativ günstigen Preis gekauft. Es ist für sie in Ordnung, wenn sie etwas über dem Kaufpreis bekommen, und es ist besser, wenn sie einen niedrigeren Preis bekommen, anstatt irgendetwas zu bekommen. Daher denke ich, dass es Verhandlungsspielraum geben könnte.

Es gibt auch Formen der direkteren Beteiligung, die sehr interessant sind, wie z. B. eine Initiative im Vereinigten Königreich, die ihre eigene Inkassofirma betrieb. Sie kauften Geldforderungen auf und tilgten dann die gekauften Schulden. Und auch in den USA gibt es solche Initiativen. Aber die Finanzvorschriften in diesen Ländern sind liberaler, so dass man solche Bottom-up-Initiativen ins Leben rufen kann. In Ungarn zum Beispiel sind die Finanzdienstleistungen sehr stark reguliert, so dass man nicht einfach ein Inkassounternehmen gründen oder Schulden aufkaufen kann. Ich denke, es kann sich lohnen, darüber nachzudenken, wie man die sehr marktorientierte und sehr liberalisierte Natur des Inkassowesens in irgendeiner Weise zu unserem Vorteil nutzen kann. Allerdings handelt es sich dabei zumeist um Hacking-Initiativen, während das Thema Schulden nach größeren Regelungen verlangt.

Es gibt auch ein Beispiel für einen staatlichen Schuldenerlassmechanismus, der in Slowenien entwickelt wurde. Dort wurde festgelegt, welcher Teil der Schulden gerecht und welcher ungerecht ist. Das ist ein sehr interessanter Weg, denn in diesem langwierigen Black-Box-Verfahren entstehen viele zusätzliche Kosten, was bedeutet, dass die Schulden am Ende viel höher sind als zu Beginn. Das ist etwas, das man auch politisch einfordern könnte: dass man nicht alle Kosten, die auf die Schulden aufgeschlagen werden, bezahlen muss. Es sollte eine Möglichkeit geben, nur die ursprüngliche Schuld zu bezahlen und einen Weg, von diesen Zusatzschulden loszukommen.

Es gibt also durchaus kleinere Initiativen, die zu einem Paket von Empfehlungen zum Thema Schuldeneintreibung führen könnten.

SS: Die Hauspreise und die Verschuldung der privaten Haushalte sind in Europa in den letzten 20-30 Jahren erheblich gestiegen, wobei die Länder in den Randgebieten Europas den größten Anstieg zu verzeichnen hatten. Heute, nach einem Jahrzehnt der Rezession und der von der Troika auferlegten Sparpolitik auf europäischer Ebene, wenden die Haushalte einen größeren Teil ihres Budgets für Wohnkosten auf als früher, während immer mehr Menschen über die Unbezahlbarkeit von Wohnraum in der Stadt oder Region, in der sie leben, unzufrieden sind. Gleichzeitig kaufen Menschen aus Westeuropa Ferienhäuser und Altersheime in Ost- und Südeuropa. Inwieweit wird diese Ausbeutung durch die Instrumentalisierung “des Ostens” durch “den Westen” inszeniert? Gibt es ein Potenzial für Alternativen zu dieser Dynamik?

ZP: Ich würde es nicht auf diese Ebene der individuellen Verantwortung von Menschen herunterbrechen, die hierher kommen, um Urlaub zu machen oder Häuser zu kaufen, wenn sie im Ruhestand sind. Gleichzeitig hat es aber auch Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, insbesondere in Südeuropa. Airbnb ist auch hier in Budapest zu einem großen Thema geworden, während Rentner*innen, die kommen und leere Häuser auf dem Land kaufen, weniger ein Problem darstellen.

Es kommt immer wieder auf das Einkommensniveau an, und wie unterschiedlich es in Europa ist. Die Leute können einfach hierher kommen, weil es für sie superbillig ist. Gleichzeitig hat dies einen drastischen Einfluss auf unsere Städte. In den letzten zehn Jahren hat sich auch Budapest sehr touristisch entwickelt. Ich würde nicht sagen, dass dies der Hauptgrund für den Anstieg der Immobilienpreise ist, aber es hat dazu beigetragen. Ich denke, in Südeuropa ist das viel problematischer. Also ja, es ist eine Herausforderung, und es könnte mehr Bewusstsein für dieses Thema geben, da wir uns in diesem gemeinsamen europäischen Raum befinden.

Wir sollten auch bedenken, dass die Hauspreise und Wohnkosten auch in Westeuropa gestiegen sind. Das wird auch dort mehr und mehr zu einem Problem. Bei den Rentner*innen zum Beispiel gibt es das Argument, dass sie nach Osteuropa kommen und dort Eigentum kaufen, weil sie ihren Lebensstandard im Westen nicht halten können, weil alles teurer geworden ist. Es wäre sehr interessant, das genauer zu untersuchen: wie die Hauspreise und Wohnkosten im Westen steigen und welche Auswirkungen das im Osten und Süden Europas hat. Ich denke, wir sollten dieses ganze Thema eher als ein zusammenhängendes Ganzes von grenzüberschreitenden Problemen betrachten und auch über transnationale Lösungen und Mechanismen der transnationalen Solidarität nachdenken.

Für Letzteres habe ich ein sehr schönes Beispiel: Wir sind an einem osteuropäischen Netzwerk für Wohnungsbaugenossenschaften namens MOBA beteiligt. MOBA hat vor zwei Jahren einen Zuschuss von der größten Wohnungsbaugenossenschaft in Zürich erhalten, und zwar im Rahmen ihres Programms für internationale Solidarität mit Genossenschaften. Diese Art von Solidarität wird nur selten praktiziert, und es ist sehr interessant zu untersuchen, wie die finanzielle Unterstützung alternativer Wohninitiativen funktionieren könnte.

Internationale Netzwerke von Wohnbewegungen sind ebenfalls wichtig in diesem Prozess der Erkenntnis, dass wir in ganz Europa mit ähnlichen Problemen kämpfen und voneinander lernen müssen. Wenn wir die europäische Dimension der Entscheidungen, die unser Leben vor Ort beeinflussen, aufzeigen können, ist das stärker als wenn wir nur aus einem Land kommen.

Die Funktionsweise der EU gleicht die bestehenden Ungleichheiten nicht aus, sondern verstärkt sie in vielerlei Hinsicht. Trotz all der Mittel aus den Strukturfonds, die an ärmere Länder gehen, ist es in Wirklichkeit so, dass die wirtschaftlichen Mechanismen in der EU die reichen Länder begünstigen. Dies ist etwas, das aus der Perspektive der ost- und südeuropäischen Länder hervorgehoben werden muss.

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