In Serbien hat die Regierung die Voraussetzungen für den illegalen Abbau von Bodenschätzen geschaffen. Sie hat Sondergesetze auf den Weg gebracht, die es privaten Unternehmen ermöglichen sollen, Land für die Errichtung von Lithiumminen zu rauben. Mit einer Reihe von Großprotesten gelang es, diese Entwicklung zumindest vorübergehend zu stoppen. In diesem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” zieht der Wissenschaftler und Aktivist Aleksandar Matković eine Bilanz und sondiert die Bausteine für eine Gegenbewegung.
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Das Konzept des ökologischen Imperialismus an sich ist nicht neu (es hat seine Wurzeln in den Schriften von John Bellamy Foster und vielen anderen, vor allem Alfred Crosby und Richard Grove) und dass Firmen den Aspekt Umweltverschmutzung einfach outsourcen, lässt sich seit den Anfängen des Kapitalismus beobachten. Dennoch sind diese beide Phänomene für den Balkan neu. Nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es zu tiefgreifenden Veränderungen der Wirtschaft der Region. In jüngster Zeit wurde sie zwischen verschiedenen Formen des ökologischen Imperialismus hin- und hergerissen, und zwar von beiden Seiten – Ost und West. In der aktuellen Phase sind es die multinationalen Konzerne, die in ihrem Streben nach dem so genannten grünen Kapitalismus den Wandel vorantreiben.
Ein bedauerliches Märchen vom “Jadarit”: Wie der Lithiumabbau nach Serbien kam
Unter den vielen multinationalen Konzernen ist Rio Tinto (Sitz: London) vielleicht der bezeichnendste. Seine Ankunft auf dem Balkan lässt sich bis in die Zeit nach dem Sturz von Slobodan Milošević am 8. Juni 2004 zurückverfolgen, als die neue serbische Regierung unter Vojislav Koštunica die Region erstmals für geologische Untersuchungen freigab. Rio Tinto entdeckte daraufhin in der serbischen Region Jadar ein besonderes Erz – eine ungewöhnliche Kombination aus Lithium und Borat mit der Bezeichnung “Lithium-Natrium-Bor”, das 2006 offiziell als ein neues, nur in Serbien vorkommendes Element anerkannt wurde: Jadarit. Ein glücklicher Zufall? Sicher ist: Rio Tinto und all die Probleme, die der Konzern mit sich brachte, wäre nie in diese Ecke Südosteuropas vorgedrungen, wenn es nicht mehrere günstige Bedingungen gegeben hätte.
Zum einen ist die Gegend reich an Borat, das nirgendwo sonst auf der Welt vorkommt, und im Gegensatz zu anderen Formen von Lithium, die auch in Salzseen vorkommen und eine langsame und spezielle Verarbeitung erfordern, kann das in Serbien gefundene Erz mit bekannten Techniken abgebaut werden. Diese einzigartige Form von Lithium kann Bergbauunternehmen wie Rio Tinto einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen. Und Konkurrenten gibt es viele, denn die weltweite Nachfrage nach Lithium steigt dank des beabsichtigten Übergangs zu einem grünen Kapitalismus in Europa und darüber hinaus. Hier handelt es sich um eine aufstrebende und expandierende Form des Kapitalismus, die neue Märkte für Elektroautos und Batterien geschaffen hat, in denen Lithium die Schlüsselkomponente ist.
Zum anderen gibt es die politische Dimension: Natürlich war das rechtsgerichtete Regime von Aleksandar Vučić – das einst als “stabilisierender Faktor in der Region” wahrgenommen und daher von Angela Merkel während ihrer Regierungszeit öffentlich unterstützt wurde – vorausschauend genug, um sich den neuen Markt zunutze zu machen. Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 näherte sich der serbische Staat Rio Tinto an. Im Juli, nur drei Monate nach der Wahl, unterzeichneten Rio Tinto und die serbische Regierung ein Memorandum of Understanding (MOU) für die Umsetzung des Jadar-Projekts. Laut Mining Technology “wurde eine Vorab-Machbarkeitsstudie (PFS) für das Projekt im Juli 2020 abgeschlossen, während eine Machbarkeitsstudie bis Ende 2021 fertiggestellt werden sollte. Die erste Produktion aus der Mine wird für 2026 erwartet, bevor die Produktion in vollem Umfang im Jahr 2029 beginnen soll. (…) Rio Tinto hat im Juli 2021 2,4 Mrd. USD für das Lithiumboratprojekt Jadar zugesagt. Es wird erwartet, dass das Projekt 2.100 Arbeitsplätze während der Bauphase und 1.000 Arbeitsplätze nach Beginn der Produktion schaffen wird.”
Aber nicht alles ist gut bei Rio Tinto. Ganz im Gegenteil. Die Mine sollte “nur” 40 Jahre lang betrieben werden, doch ein Informant von Rio Tintos serbischer Tochtergesellschaft (“Rio Sava”) hat vor kurzem Dokumente veröffentlicht, die die internen Pläne des Unternehmens enthüllen, die Mine 99 Jahre lang zu betreiben, also weit über das Auslaufen der Genehmigungen hinaus.
Umweltverschmutzung durch Jadarit-Abbau
Da Lithium nicht allein in Jadarit vorkommt, sondern mit anderen Materialien vermischt ist, die keinen Handelswert haben, ist ein langwieriger Prozess mit mehreren Techniken erforderlich, um das Mineral, das der Hauptträger des Tauschwerts ist – in diesem Fall Lithium – physisch zu gewinnen. Dieser Prozess würde unweigerlich zu einer Umweltverschmutzung führen. Abgesehen von möglichen anderen anorganischen Säuren würde das konzentrierte und zerkleinerte Mineral Jadarit mit heißer Schwefelsäure behandelt werden, um Lithium, Natrium und Bor in wasserlösliche chemische Verbindungen umzuwandeln. Bei diesen Reaktionen – mit Säure und anschließender Neutralisierung mit basischen Salzen – würden Kohlendioxid und andere schädliche Gase freigesetzt. Die Widersprüche zwischen Nutz- und Tauschwert manifestieren sich also in der physischen Trennung des auszutauschenden Elements, ein Prozess, der unweigerlich Umweltschäden, einschließlich Verschmutzung, verursacht.
Durch den künftigenJadaritabbau verursachte Schäden, sind jedoch nicht die einzigen Probleme. Das bereits erwähnte Institut für Chemie, Technologie und Metallurgie in Belgrad hat bereits eine Verunreinigung des Wassers und des Bodens in der Nähe und flussabwärts der Erkundungsbohrungen festgestellt, wo die Borkonzentration mehr als zehnmal höher ist als der zulässige Höchstwert. Selbst in Trinkwasserbrunnen, die von den Anwohner*innen genutzt werden. Die Verschmutzung wird sich jedoch nicht auf die Landesgrenzen beschränken, wenn der Abbau beginnt.
Nach Angaben von Uroš Anđelković, einem Forscher am Institut, wird neben der Boden- und Wasserverschmutzung auch die Luftverschmutzung erheblich sein. Vor allem Kohlendioxid und andere Gase werden bei der chemischen Verarbeitung des Minerals Jadarit entstehen. Bei der mechanischen Aufbereitung des Erzes wird Staub entstehen. Eine weitere große Menge an Kohlendioxid wird durch die für die Produktionsprozesse erforderliche Wärme freigesetzt, da die Verarbeitung von Jadarit die Erhitzung der Lösung erfordert. Die CO2-Emissionen werden drastisch ansteigen, wenn anstelle von Erdgas Elektrizität zum Heizen verwendet wird, da Elektrizität in Serbien hauptsächlich aus minderwertiger Kohle erzeugt wird. Das freigesetzte Kohlendioxid, 5 bis 15 Tonnen CO2 pro Tonne Lithium, wird sich über die serbischen Grenzen hinaus verbreiten.
Ungleiche Beziehungen zwischen den beiden Staaten und ihren Unternehmen
Jegliche Reaktion des serbischen Staates gegen Rio Tinto, das seinen Hauptsitz in London hat, würde jedoch auf harte Hindernisse im internationalen Recht stoßen. Der Grund dafür ist ein bilaterales Abkommen zwischen Serbien und dem Vereinigten Königreich, das die beiden Länder beim Schutz “gegenseitiger Investitionen” in eine ungleiche Position bringt. Es scheint zwar beide Staaten gleichermaßen zu begünstigen, ist aber im Grunde nur für eine Seite nützlich: Investitionen aus Serbien in die britische Wirtschaft sind vergleichsweise klein. Die Investitionen aus UK in Serbien – wie die von Rio Tinto – sind jedoch enorm. Mit anderen Worten: Was offiziell als Schutz gegenseitiger Investitionen deklariert wird, ist in Wirklichkeit der Schutz des ökologischen Imperialismus per Gesetz.
Ein weiteres Beispiel für ein ungleiches Verhältnis zwischen Unternehmen und Regierung sind die Erzmieten, die in Serbien mit 5-7 Prozent zu den niedrigsten in der Region gehören (im Vergleich zu Kroatien mit 10 Prozent, Ungarn und Rumänien mit 12 Prozent und Slowenien mit 18 Prozent). Und da sich Minen im Gegensatz zu Wäldern nicht regenerieren, gibt es keinen Weg zurück, weder beim Preis noch, was noch wichtiger ist, bei der Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen oder einer unberührten Umwelt. Rio Tinto nutzt also die Ungleichheiten zwischen den Staaten aus, um durch den Abbau lokal seltener Rohstoffe, der ebenfalls zur Umweltverschmutzung führt, weiteres Kapital anzuhäufen. Daher kann man sagen, dass Rio Tinto die Verkörperung des modernen Öko-Imperialismus ist.
Die serbische Regierung könnte als Opfer des Öko-Imperialismus betrachtet werden. Aber so einfach ist es nicht, denn das Regime von Aleksandar Vučić ist aktiv am Aufbau und an der Aufrechterhaltung dieser öko-imperialen Beziehung beteiligt, z. B. durch die Einführung des Enteignungsgesetzes, das es privaten Unternehmen ermöglichen soll, Land zu enteignen und den Weg für Rohstoffunternehmen wie die Lithiumminen von Rio Tinto zu ebnen.
Eine Revolte gegen Rio Tinto oder ein neuer “grüner Durchbruch”?
Noch bevor überhaupt das ganze Ausmaß des Rio-Tinto-Skandals bekannt wurde, starteten landesweit Proteste, die die serbischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 2022 stark beeinflussen könnten. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels (16. Februar 2022) sind noch nicht einmal 24 Stunden vergangen, seit in Belgrad mehrere Blockaden vor der Nationalversammlung stattgefunden haben, deren einzige Forderung die Einführung eines Moratoriums für den Lithiumabbau in Serbien ist. Dies scheint notwendig zu sein, denn selbst wenn die Proteste Rio Tinto davon abhalten können, in der Region Jadar Lithium abzubauen, könnten andere Unternehmen wie Volt und Eurolithium, die ebenfalls geologische Forschungen zu Lithium in Serbien und auf dem Balkan durchführen, an ihrer Stelle weitermachen.
Vor allem aber knüpfen die Blockaden an die vorangegangenen dreimonatigen und anhaltenden Proteste in ganz Serbien an, an denen Zehntausende von Demonstrant*innen teilnahmen und die bisher dazu geführt haben, dass der Abbau durch Rio Tinto verschoben und einige Lizenzen widerrufen wurden. Sowohl das Verhalten von Rio Tinto als auch die Unterwürfigkeit der Regierung haben landesweite Kämpfe ausgelöst, deren Komplexität und diversen Klassenkonflikte durch die Linse der offiziellen politischen Landschaft betrachtet, nur schwer zu erkennen sind.
Dies vorausgeschickt, ist es dennoch interessant zu beobachten, dass eine neue Koalition entstanden ist. Nämlich zwischen einer sehr bekannten ökologischen Bewegung namens Ecological Uprising, der grünen Mitte-Links-Partei Together for Serbia und Let us (not) Drown Belgrade, die für ihren Widerstand gegen die Stadterneuerung, die das Gesicht der Hauptstadt verändert, bekannt ist. Dieser grüne Mitte-Links-Block nennt sich jetzt Moramo (Wir müssen), in Anlehnung an das kroatische Možemo (Wir können), das wiederum vom Namen der spanischen Podemos inspiriert ist.
Die Stärke von Moramo: Die Bewegung ist aus einer Massenbewegung in Verbindung mit etablierten politischen Akteuren hervorgegangen. Vor diesem Hintergrund könnte sie einen Durchbruch darstellen. Die Koalition, die diese verschiedenen Kräfte vereint, würde Wahlumfragen zufolge landesweit neun Prozent und in Belgrad 13 Prozent erreichen und damit wahrscheinlich die Macht der regierenden Serbischen Fortschrittspartei schwächen. Dies wäre ohne den Rio-Tinto-Skandal nicht möglich gewesen.
Kurzum, Rio Tinto hat es geschafft, das Land zu verändern, indem es eine Gegenbewegung auslöste, die die serbische Politik radikalisierte. In der Zwischenzeit haben ähnliche Unternehmen in anderen Ländern wie Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Lithium gesucht oder Anlagen zur Wiederaufbereitung und Verarbeitung von Batterien eröffnet. So begann der globale Wettlauf um Lithium, die politische Landschaft des postjugoslawischen Balkans nachhaltig zu beeinflussen. Und bei den Veränderungen geht es nicht nur um das Wahlverhalten in Serbien, sondern, wie inzwischen klar sein sollte, um eine komplexe landesweite Bewegung, deren Zukunft noch ungewiss ist, die aber eine Inspiration für andere Länder sein könnte. Der Höhepunkt dieser Bewegung, mit einer abschließenden Resolution im April 2022, steht noch bevor.
Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Version ist auf hier verfügbar. Weitere Info zum Projekt finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Schauen Sie mal hier: https://after-extractivism.berlinergazette.de
Ein Kommentar zu “Warum auf dem Balkan eine neue Form des Öko-Imperialismus entsteht”