Das im ehemaligen Ostdeutschland gelegene Lausitzer Kohlerevier befindet sich in einem grundlegenden sozioökonomischen Wandel. Die Herausforderung besteht darin, gemeinsam und kollektiv an einem gerechten Übergang zu arbeiten – mit anderen Menschen, mit nicht-menschlichen und mehr-als-menschlichen Mitgliedern der planetarischen Gemeinschaft, argumentiert Kat Austen in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism”, der sich auf ihre künstlerische Recherche für ihr multimediales Projekt “This Land is Not Mine” stützt.
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Die Birken wiegen sich in der sanften Brise, die vom sonnengetränkten See im südbrandenburgischen Großräschen herüberweht, und das Flattern ihrer durchscheinenden Blätter wirft tanzende Schatten auf den sandigen Niederwaldboden.
Wasser ist hier wichtig. Es gibt Dürreperioden, die von Jahr zu Jahr schlimmer werden, da der Regen seltener kommt. Und wenn er doch kommt, regnet es stark. Ich bin in der Sommerhitze mit dem Fahrrad um den See gefahren, um die Hinterlassenschaften des Tagebaus zu erkunden, in dem diese riesige Grube vor zehn Jahren geflutet wurde, um ein Erholungsgebiet zu schaffen. Das Wasser in Großräschen ist schwer zu erreichen: Die Ufer sind instabil, und bis vor kurzem war das Wasser zum Baden zu sauer. Ich hatte den ganzen Tag auf dem Waldboden gelegen, um Video- und Audioaufnahmen von Birken zu machen. Die einzige Möglichkeit, eine Wasserprobe aus dem See zu nehmen, bestand darin, ein Marmeladenglas mit Hilfe der Schnur, die ich bei meinen Feldaufnahmen immer dabei habe, über den Rand des leeren Hafens zu hängen. Als ich es wieder hochzog, war ich mir sicher, dass die Haut an meinen Händen dort kribbelte, wo das Wasser sie berührte.
This Land is Not Mine begann als künstlerisches Forschungsprojekt, das vom Institute for Advanced Sustainability Studies, Potsdam, unterstützt wurde. Nach zweijähriger Arbeit in Form einer Installation und eines Musikalbums konzentrierte sich die Recherche auf die Region Lausitz, wo Deutschland, Polen und die Tschechische Republik aufeinandertreffen. Die Lausitz ist die Heimat der sorbischen Minderheit und seit Anfang des letzten Jahrhunderts Schauplatz eines großflächigen Braunkohletagebaus, der einerseits wirtschaftliche Sicherheit bot und andererseits Häuser und historische Stätten zerstörte, indem er die Oberfläche der Region mit einem hausgroßen Bagger abtrug. Unnötig sich zu erwähnen, dass die Beziehung der Region zur Gewinnung fossiler Brennstoffe äußerst komplex ist und dass viele Menschen, Wasserwege, Pflanzen und Tiere von den Folgen und der Zukunft dieser Tätigkeit betroffen sind.
Verschiebung des Gleichgewichts der Akteure
Die Zeit und der Planet treten in das post-anthropozäne Zeitalter ein. Der Mensch ist seit Jahrtausenden durch extraktive Prozesse mit dem Land verbunden und hat seine Fingerabdrücke auf der Erde, im Wasser und in der Atmosphäre bis zu dem Punkt vergrößert, an dem er die planetarischen Grenzen überschreitet. Angesichts der Überschreitung von Kipp-Punkten und der zunehmenden Häufigkeit extremer Wetterereignisse ist klar, dass sich das Gleichgewicht zwischen diesen Umwelten und den Menschen verschiebt und dass diese extraktive Beziehung zu anderen Körpern eine der Arten des Seins in der Welt ist, die sich ändern wird – und ändern muss.
Jetzt ist der Rubikon erreicht, eine Schwelle, die in eine post-extraktive und post-anthropozentrische Zeit führt. Ich habe mich gefragt, wie man sich darauf vorbereiten kann und wie man auf der anderen Seite des ökologischen Kummers Hoffnung finden kann. So begann ich im Jahr 2020 mit künstlerischen Recherchen in dieser faszinierenden Landschaft der Lausitz, genau zu dem Zeitpunkt, als die deutsche Regierung ankündigte, dass der Bergbau bis 2038 eingestellt werden sollte.
“This Land is Not Mine” befasst sich mit der Identität in dieser Region, in der verschiedene Kulturen nebeneinander existieren und die mit dem Auslaufen des Braunkohlebergbaus grundlegende sozioökonomische Veränderungen durchläuft, wobei Identität, Abbau und Nachhaltigkeit aus der Perspektive einer Region miteinander verwoben werden. Die Lausitz ist nicht nur die Heimat der Sorb*innen, sondern auch für ihren Braunkohlebergbau bekannt. Die Dominanz der großen Tagebaue in der Landschaft geht einher mit ihrer Dominanz in der äußeren Darstellung der Identität der Lausitz. Da die Industrie jedoch in knapp 20 Jahren ausläuft und die alten Bergwerke in der gesamten Region bereits mit Wasser gefüllt sind, stellt sich die Frage, was die Löcher füllen wird, die die Bergwerke in der künftigen Wirtschaft und Industrie sowie in den Herzen der Menschen hinterlassen.
Mehr-als-menschliches Leben
Das Projekt umfasst jedoch mehr als nur die menschlichen Elemente der Identität der Region. Wie bei vielen meiner Arbeiten geht es auch bei “This Land is Not Mine” um nicht-menschliche Entitäten innerhalb eines Ökosystems, wie das Wasser, die Luft, Insekten… Meine erste Annäherung an das Projekt erfolgte über die Landschaft und die darin befindlichen Wesen. Ich besuchte die Landschaft, arbeitete mich in sie hinein, beobachtete sie und hörte ihr zu. Ich berührte das Wasser, benutzte Hydrophone, um unter die Oberfläche zu lauschen. Ich nahm Proben und benutzte speziell angepasste wissenschaftliche Instrumente, um zu hören, wie sauer und wie sauber das Wasser ist. Ich las Volksmärchen, Nachrichtenberichte und wissenschaftliche Abhandlungen. Gleichzeitig begann ich, mit den Menschen, die in dieser Landschaft leben, Kontakt aufzunehmen, um sie zu verstehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, um das Leben in dieser sich wandelnden Landschaft sinnvoll zu gestalten.
Ich habe eine Crowdsourcing-Plattform eingerichtet, um eine Datenbank mit Klängen zu erstellen, die die Bewohner*innen der Lausitz mit der Region identifizieren. Als Reaktion auf die durch das Coronavirus bedingten Beschränkungen für partizipative Veranstaltungen werden auf der Microsite auch Hör- und Tonaufzeichnungspraktiken geteilt, um Feldaufnahmen als eine Möglichkeit zu verbreiten, die emotionale Auseinandersetzung mit Merkmalen der Landschaft zu hinterfragen, die Teil der Identität der Region und des Hörers sind, und als eine Methode zur Vertiefung der eigenen Beziehung über die Grenze des eigenen Seins zur Umgebung.
Während einer der seltenen Aufhebungen der Beschränkungen im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie leitete ich einen Workshop für This Land is Not Mine im Brandenburgischen Museum für Moderne Kunst in Cottbus in der Lausitz, in dem wir die Geräuschkulisse städtischer Wasserwege im Rahmen des Projekts erkundeten. Außerdem half ich bei der Bepflanzung eines Forstbetriebs im ländlichen Brandenburg und nahm an Diskussionsgruppen und Workshops zum Thema Identität in der Region teil. Und ich habe mit einer lokalen Künstlerin, Inna Perkas, zusammengearbeitet, um ein gemeinschaftliches responsives Happening in Cottbus zu realisieren.
Durch ausgedehnte Besuche in verschiedenen Teilen der Region sammelte ich eine Fülle von Video- und Audioaufnahmen, die als Vignetten über die vielfältigen Komponenten der Identität dieser Übergangsregion Gestalt annahmen.
Verwirklichung einer Ästhetik
Die Realisierung von “This Land is Not Mine” erfolgte iterativ und im Dialog mit der Forschung. Die endgültigen Formen sind eine Installation, die ein 20-Kanal-Video mit einer 2-Kanal-Klanglandschaft kombiniert, ein 7-Track-Album mit experimenteller Musik und die Crowd-Sourcing-Website mit der dort angebotenen Klangdatenbank.
Ausgehend von chemischen und klimawissenschaftlichen Ansätzen zu dynamischen Systemen entwickelte ich einen Rahmen für die Arbeit mit Videomaterial, der auf verschiedenen Klassen chemischer Reaktionen basiert, um drei Linsen abzuleiten, mit denen ich das Gesehene verstehen kann: Stetig, Dissipativ und Multi. Die Installation aus 20 separaten Kanälen wird als 7-6-7 Triptychon über diese Perspektiven auf einer Gesamtlänge von 16 Metern präsentiert. Jeder der synchronisierten Videokanäle wird auf 7-Zoll-Bildschirmen in maßgefertigten Holzrahmen präsentiert und von einer Klanglandschaft begleitet, die aus Feldaufnahmen aus der Lausitz besteht.
Die Herausforderung bestand darin, sich angemessen auf die Landschaft einzulassen – die Ästhetik des Bergbaus ist sowohl in Bezug auf die Geräusche als auch auf die Bilder so episch, dass die Gefahr besteht, von ihr verschlungen zu werden. Aber auch in kleinerem Maßstab gibt es eine große Schönheit und Vielfalt, die durch aufmerksame Beobachtung, Verkörperung und technologische Vermittlung zugänglich ist und eine viel reichere Geschichte erzählt.
Inspiriert von den vielfältigen Geschichten und Identitäten, die in der Lausitz nebeneinander existieren, greift die Struktur des Albums auf Strukturen zurück, die in der Volks- und Protestmusik weit verbreitet sind. Jedes Lied nimmt die Perspektive eines anderen Protagonisten ein, sei es die Spree, die Stadt Cottbus oder der sagenumwobene Heilbrunnen von Duborka. Das digital veröffentlichte Album wird als komplette Konzeptalbum-Performance präsentiert, bei der Wasserproben aus der Lausitz neben Wasserproben aus der Umgebung des Aufführungsortes gespielt werden.
Beide Arbeiten befassen sich mit der Komplexität von Identität. Sie betonen die Bedeutung und Vielfalt der Subjektivität (menschlich, nicht-menschlich und mehr-als-menschlich) in Bezug auf den Ort und die Bedeutung des Maßstabs bei der Erforschung post-extraktiver und post-anthropozentrischer Ästhetik. Für mich haben sie dazu beigetragen, die Erkenntnisse aus meinen früheren Projekten, wie z. B. The Matter of the Soul, zu bekräftigen, dass die Fähigkeit, sich über die Identität hinaus auf andere einzulassen, genauso wichtig ist wie die Identität – die Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten anzuerkennen, zu akzeptieren und sich offen mit ihnen auseinanderzusetzen.
Die Qualität der Übergänge in postextraktiven Landschaften ist ein entscheidender Aspekt bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft. Es reicht nicht aus, nur auf technologische Lösungen und Materialien zurückzugreifen, um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Es ist auch notwendig, die Motivation und das Verständnis zu haben, kollaborativ und kollektiv zu arbeiten – mit anderen Menschen und mit nicht-menschlichen und mehr-als-menschlichen Gemeinschaftsmitgliedern. Da die Menschen an der Schwelle zum Postanthropozän stehen, müssen wir neue – oder alte – Wege des Seins einschlagen, Wege, um mit der Welt und anderen Menschen in ihr in Beziehung zu treten. Unabhängig davon, ob das zeitgenössische Experimentieren mit diesen Formen in post-extraktiven, städtischen, ländlichen oder post-industriellen Landschaften stattfindet, steht die Menschheit kollektiv vor einer außergewöhnlichen Gelegenheit, sich innerhalb der von ihr geschaffenen Welt neu zu gestalten.
Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur Berliner Gazette Textreihe “After Extractivism”; die englische Fassung ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Schauen Sie mal hier: https://after-extractivism.berlinergazette.de