Kindersoldaten, enthusiastische junge Westler und eine traurige und zugleich mitreißende Geschichte. Das alles zeigt der Kurzfilm „Kony 2012“, der Anfang März von der US-amerikanischen NGO “Invisible Children” veröffentlicht wurde, um Missstände in Uganda aufzuzeigen. Mit Rekordgeschwindigkeit eroberte er ein breites Publikum in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Die Berliner Gazette-Autorin Gesa Steeger fragt, was der Film wirklich bewirkt hat – außer ein virtuelles Helfersyndrom freizusetzen und kritische Stimmen auf den Plan zu rufen.
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Innerhalb weniger Tage wurde der Film Kony 2012 über 100 Millionen Mal aufgerufen. Ein Klick genügt und der Film wird mit den virtuellen Freunden geteilt. So stellt sich das Gefühl ein, etwas zur Verbesserung der Welt beigetragen zu haben. Doch kann ein Film wirklich die Welt verbessern – oder zumindest die Weltpolitik?
Die NGO Invisible Children setzt sich seit 2004 für die Verhaftung des Rebellenführers Joseph Kony ein. Der Kopf der Lord Resistance Army (LRA) nutzt den ugandischen Bürgerkrieg, um schreckliche Verbrechen an der Menschlichkeit zu verüben. Besonders betroffen sind ugandische Kinder, die die LRA systematisch entführt, zu Kindersoldaten ausbildet oder als Sexsklaven missbraucht. Mit ihren Kampagnen versucht die “Invisible Children”-Organisation Öffentlichkeit und Politik auf diese Gewalttaten aufmerksam zu machen. Ein Teilerfolg ist der Gruppe bereits gelungen.
Im Oktober 2011 entsendete Barack Obama eine Einsatztruppe, um die ugandischen Truppen in ihrem Krieg gegen die LRA zu unterstützen. Da bisher die Erfolge ausblieben, wird in diesem Jahr erneut über den Einsatz verhandelt, mit ungewissem Ausgang. Mit ihrer Kampagne „Kony 2012“ versucht die NGO nun, die US-amerikanische Politik zu einer Verlängerung des Einsatzes zu bewegen.
„Kony 2012“ ist Ausdruck einer Gefühlsmaschinerie
Um ihr Ziel zu erreichen, sucht die Organisation die Unterstützung der Öffentlichkeit. Gerade junge Menschen werden direkt von der Organisation angesprochen und aufgefordert, den Kampagnenfilm mit ihren virtuellen Freunden zu teilen. In groß angelegten Aktionen werden die Mitglieder auf das gemeinsame Ziel, die Verhaftung von Joseph Kony und eine Befriedung der LRA, eingeschworen. Das kommt an, denn welcher junge Mensch möchte nicht Teil einer großen Idee sein?
Der Dokumentarfilm „Kony 2012“ ist Ausdruck dieser Gefühlsmaschinerie. Er erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft, zwischen dem US-amerikanischen Filmemacher Jason Russel und dem ugandischen Kindersoldaten Jakob. Russel, gerührt durch das Schicksal des Jungen, verspricht diesem, sich für das Ende des ugandischen Bürgerkriegs einzusetzen und die LRA zu stoppen. Aus diesem Versprechen heraus entwickelt sich 2004 die NGO “Invisible Children”. Die Organisation setzt sich für Vertriebene der LRA ein, finanziert ehemaligen Kindersoldaten eine Ausbildung, baut Schulen und versucht Öffentlichkeit für die Probleme des zentralafrikanischen Landes zu schaffen.
Doch Kritiker werfen der NGO eine undurchsichtige Spendenpolitik vor und erheben Zweifel an den Intentionen der Gruppe. Nur 32 Prozent der rund 8,6 Millionen Dollar, die die NGO im letzten Jahr ausgegeben hat, flossen direkt in Projekte vor Ort. Der Rest finanzierte Gehälter, Reisen, Transport und Werbematerial. Auch die aktuelle Kampagne steht in der Kritik. Der Film wird von vielen als vereinfachend, naiv oder einfach nur als falsch bezeichnet. Den Initiatoren wird vorgeworfen, mit ihrem Film die Idee einer Rettung Ugandas durch den Westen zu verbreiten.
Weltverbesserung durch soziale Interaktion?
Kritiker zweifeln auch an der Aktualität der Kampagne. Schon seit 2006 ist die LRA nicht mehr in Uganda aktiv und hat sich in den Kongo zurückgezogen. Ein Sprecher des ugandischen Militärs bezeichnete die Aktion als einen Ausdruck guten Willens, der leider 15 Jahre zu spät komme. Auch Betroffene äußern sich kritisch gegenüber der Intention der “Invisible Children”. Evelyn Apoko, die selbst Opfer der LRA wurde, begrüßt zwar das Engagement der NGO, gibt aber auch zu bedenken, dass ein militärisches Eingreifen auch zu Opfern unter den bereits traumatisierten Kindersoldaten führen könnte. Apoko selbst wurde mehrere Male durch Gefechte zwischen der LRA und den ugandischen Regierungstruppen verletzt.
Auf ihrer Homepage wehrt sich die NGO gegen die Vorwürfe. Als Reaktion auf die Kritik an ihrer Kampagne, veröffentlicht die Organisation Anfang April das Video Kony 2012: Part II – Beyond Famous. Der Film setzt sich explizit mit den öffentlichen Anschuldigungen auseinander und versucht offene Fragen zu klären. Das neue Video setzt zwar weniger auf Emotionen und mehr auf Fakten, doch schon kurz nach der Veröffentlichung der Dokumentation mehren sich erneut Vorwürfe, dass der Film konkrete Aufklärung vermissen lasse.
Deutlich wird aber, dass “Invisible Children” an der ursprünglichen Botschaft fest hält: Weltverbesserung durch soziale Interaktion sei möglich und jeder könne mitmachen. Am 20. April 2012 ruft die Organisation zu einem weltweiten Aktionstag auf. In Form von Plakaten und Aufklebern sollen Unterstützer die Ziele der Gruppe in der breiten Masse bekannt machen. Ein Video soll folgen.
Wie erfolgreich diese Aktion wird, welchen Einfluss sie auf zukünftige politische Entscheidungen haben kann und in wieweit es gelingt, die Probleme tausender Menschen in Zentralafrika mit Hilfe eines clever gemachten Films zu lösen, bleibt noch offen. Als Zwischenbilanz steht die Erkenntnis, dass das World Wide Web, der richtige Ort zur Verbreitung einer Idee sein kann und dass es weltweit Menschen gibt, die das Bedürfnis haben, etwas zu ändern und anderen zu helfen.
Anm.d.Red.: Das Foto oben zeigt Aktivisten von Kony 2012/Invisible Children, die im April 2008 mit Soldaten der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) an der Grenze zwischen Sudan und Kongo posieren. Fotografiert von Glenna Gordon.
danke! auch für den optimismus, der in einem medienkritischen forum, wie der berliner gazette, nicht immer selbstverständlich ist, klarerweise. nur eine frage, die mich plagt: das alles sieht so professionell aus, dieses video, dieses ästhetik, viel geld steckt dahinter, offensichtlich – wie kommt es, dass die menschen, die das video sehen, nicht stutzig werden ob dieser professionellen produktionsästhetik? und wie schätzt die autorin selbst das verhältnis von aufwand (wer und was und wieviel geld steckt wirklich dahinter?) und wirkung ein?
Der Beitrag ist nicht schlecht, aber er hätte schon vor einem Monat kommen sollen…
Was legitimiert die Autorin, etwas über Kony 2012 zu schreiben? Hat sie eine besondere Verbindung dazu? Denn die Punkte, die sie anspricht, sind wirklich nicht neu in der Kony 2012 Debatte! Das kann man alles auf Wikipedia nachlesen… ich hätte mir mehr neue aspekte gewünscht…
Ganz guter Artikel, allerdings ist das alles wirklich keine neue Info. Ich hätte mir noch mehr aus soziologischer Sicht gewünscht- denn das Video/IC bauen Erwartungen auf, die sie niemals einhalten können.
Und eine spannende Frage zu dem Thema ist, ob es einen ethischen Code für Kampagnen geben sollte?
zu früh, zu spät – das sind komische Argumente meiner Vorredner, also ich höre das zum ersten Mal heute und ich bin froh, dass das so ist, denn das ist ein spannendes Thema.
Mich interessiert allerdings auch mehr über die Probleme und Kritik-Punkte dieser Kampagne zu lernen. Denn, dass sie positive Effekte hat, das ist gut herausarbeitet und nachvollziehbar. Aber das “Contra” sozusagen, das ist unterbelichtet in meinen Augen.
Danke an euch alle für die Anmerkungen.
@zk:
Ich denke, das Verhältnis von Geld, Aufwand und letztendlicher Wirkung sind unpropotional. Ebenso wie #Leo, bin ich der Meinung, dass hier Erwartungen aufgebaut werden, die auf Dauer nicht einzuhalten sind. Das Geld für diese Werbemaschinerie wird durch Spenden generiert.
Mehr Infos zu Invisible Children und deren Spendenpolitik gibt es hier: http://www.invisiblechildren.com
@#2 Martin und #3Leo: Leute, checkt mal die Reality! Nur weil etwas im Netz viral ist, heisst das noch lange nicht, das alle davon etwas mitbekommen, in der Tageeschau hab ichs jedenfalls nicht gesehen, von daher war ich super dankbar für den Artikel!