Mozart komponierte so schnell, dass einer aus unserer Zeit nicht einmal schneller seine Noten abschreiben kann. Japanische Postboten vor dreihundert Jahren brauchten keine Woche, um von Tokio bis Kioto zu Fuss zu gehen. Wir sind langsam geworden und denken, dass wir uns nur deshalb langsam vorkommen, weil die technische Entwicklung unmenschlich schnell ginge. Ich teile nicht die Nostalgie nach der guten, alten Zeit, in der alles langsamer gewesen sein soll. Es ist dennoch wahr, dass es heute einen Zeitdruck gibt: das Gefuehl, immer schneller mehr, oefter, groesser und billiger produzieren zu muessen.
Das einzige, was ich gegen diesen Druck machen kann, ist schreiben, einfach weiter schreiben an poetischen Texten. Denn im Schreiben messe ich die Zeit anders und somit befreie ich mich vom Zeitdruck.
Meine Geschichten haben weder einen Anfang noch ein Ende. Es ist eine einzige vernetzte Gegenwart, die sich durch Missverstaendnisse und Musik stets verschiebt. Ich will keine Familiengeschichte erzaehlen, denn ich will die Identitaet einer Figur nicht durch ihre Herkunft herausbilden, sondern nur durch ihre Gegenwart. Auch die Planung der Zukunft interessiert mich nicht. Wenn man die Gegenwart wach haelt, sieht man den Zeitraum, den man gerne als Zukunft bezeichnet, schon hinter sich.
Wenn man einen Text uebersetzt, kann man ihn in die Gegenwart hinein holen. Man sagt zum Beispiel, man koenne Hermann Hesse den heutigen Jugendlichen nicht anbieten, weil seine Sprache veraltet sei. In Japan oder in den USA werden seine Buecher immer wieder in eine neuere Jugendsprache uebersetzt und deshalb von den pubertierenden Menschen auch weiterhin gerne gelesen. Die Pubertaet hat etwas, was man gerne hinter sich hat, genau wie Hesses Buecher. Aber sein Gestank ist mir gerade deshalb manchmal sympathisch.
Es war klug, dass Okakura Kakuzo >The Book of Tea< [1906] auf Englisch schrieb. Das Buch wurde seitdem immer wieder erneut ins Japanische uebersetzt. Sonst waere seine Sprache heute zu veraltet und schwer verstaendlich fuer junge Menschen. Der Originaltext bleibt in seiner Zeit, spuert aber den Blick, der seine Uebersetzungen aus der Zukunft auf ihn werfen. Ich versuche, jeden Morgen als erstes, an meinem literarischen Text zu arbeiten. Denn direkt nach dem Aufwachen gibt es in meinem Kopf noch keinen Ueberblick ueber die Tagesordnung. Ich kann mich noch an keinen Termin erinnern und daher kann ich vermeiden, meine Kraft vernuenftig aufzuteilen. So giesse ich meine ganze Kraft in den naechsten kleinen Satz hinein, den ich schreiben will, als haette ich an dem Tag sonst nichts vor. Mein Umgang mit der Zeit ist unterschiedlich je nach Buch. Oft kaempfe ich gegen die Vorstellung einer linear fortlaufenden Zeit, indem ich nur kleine Fragmente schreibe und sie so nebeneinander stelle, dass sie an der Beruehrungsstelle mit dem direkten Nachbarn einen Funken erzeugen. Die Chronologie spielt keine Rolle und es soll kein durchgehendes System entstehen. Das Wort >Zeitgeist< ist wahrscheinlich sehr deutsch. Neulich hoerte ich dieses Wort in den USA als Fremdword. Es gibt ein japanisches Wort dafuer, >Jidai-Seishin<, aber dieses Wort findet man nur in der Uebersetzung von Hegel. Man spricht vom >Fluss der Zeit< [Jidai no nagare], um die Denkweisen, die Verhaltensweisen und die Werte zu bezeichnen, die sich mit der Zeit aendern. Das Wort hat aber einen unangenehmen Beigeschmack, denn es impliziert, dass die einzelnen Individuen eigentlich dagegen sind aber nicht anders koennen, weil der Fluss der Zeit staerker ist.